Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 120

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16.33

Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! "Zweck dieses Bundesgesetzes ist die Einrichtung einer Stelle, deren Aufgabe es ist, Gefährdungen, die von Sekten oder sektenähnlichen Aktivitäten ausgehen können, zu dokumentieren und darüber zu informieren."

Den soeben zitierten Text – es handelt sich um § 1 des zur Debatte stehenden Gesetzes – begrüße ich, ja ich kann ihn persönlich sogar vollinhaltlich unterstützen. Dies vor allem deshalb, weil es – Schätzungen zufolge – allein in Österreich rund 50 000 Mitglieder in Sekten beziehungsweise rund 200 000 im Umfeld von Sekten tätige Menschen gibt.

Als grundsätzlicher Optimist gehe ich allerdings davon aus, daß viele dieser in Sekten oder deren Umfeld tätigen Menschen ihre persönliche Lebensphilosophie, ihre Erwartungen und individuellen Vorstellungen dabei erfüllt sehen und sich in derartigen Gemeinschaften vielleicht sogar wohlfühlen, jedenfalls aber eine Einflußnahme des Staates als Eingriff in ihre Grundrechte betrachten könnten.

Leider gibt es aber auch gegenteilige Erfahrungen, vielfach verbunden mit persönlichen Schicksalen jener Menschen, die durch derartige Gemeinschaften und Einrichtungen getäuscht wurden und denen ein freier Ausstieg aus diesen Kreisen oft nicht mehr möglich war, Menschen, die psychisch oder physisch, vielfach auch unter Gewalteinwirkung oder durch andere Abhängigkeiten, so unter Druck gesetzt wurden, daß sie sich oft erst dann loslösen konnten oder losgelassen wurden, als ihr Leben zugrunde gerichtet oder aufgrund finanzieller Ausbeutung im wahrsten Sinn des Wortes bereits existentiell vernichtet war.

Die Sammlung von Informationen über Einrichtungen und Gemeinschaften – ich vermeide bewußt das Wort "Sekten", weil es mir zu allgemein zu sein scheint –, die mit solchen Methoden arbeiten, die Menschen unfrei machen und ausbeuten, muß zentral gesteuert und forciert werden.

Die Art ihrer Werbung von Sympathisanten und Mitgliedern, der Pflichten, die dabei – unter gleichzeitiger Verweigerung von Grund-, Staats- oder Menschenrechten – auferlegt werden, die verschiedensten Formen persönlicher Ausbeutung, oftmals verbunden mit Freiheitsentzug, müssen genauestens untersucht und unterbunden werden. Dabei angewandte Strukturen sowie die Namen dieser Gruppierungen und der jeweils handelnden Personen müssen erhoben und transparent gemacht werden. Ihre Hintergründe und Arbeitsmethoden gilt es ebenso wie ihre oft im verborgenen liegenden Ziele nachzuweisen und öffentlich zu machen. Es müssen diese Hintergründe, Methoden und Ziele glaubhaft dargestellt werden und neben der Information ausreichende Schutzmechanismen des Staates angeboten werden und verfügbar sein.

Zielsetzung des Staates muß es sein, die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten auf allen Ebenen – aber auch nach jeder Richtung hin – zu gewährleisten. Zur Erfüllung dieser Forderung und Zielsetzung gäbe es sicherlich viele Wege. In den parlamentarischen Verhandlungen wurde die Bundesstelle für Sektenfragen als Lösung vorgesehen und als jener Weg vereinbart, den wir heute hier beschließen. Ich halte die getroffene Regelung nicht für die beste, aber für eine akzeptable Lösung.

Nicht meine Zustimmung findet jedoch die in § 2 dieses Bundesgesetzes aufgenommene Festlegung, wonach "auf gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen dieses Bundesgesetz keine Anwendung findet". Dieser Bestimmung kann ich – im Gegensatz zu § 1 – deshalb nicht mit der gleichen positiven Überzeugung und Notwendigkeit zustimmen, weil hinreichend bekannt ist, daß selbst namhafte Kirchenvertreter des öfteren sektenähnliche Vorgänge und Gefährdungen in ihren Reihen aufzeigen und auch entsprechend verurteilen.

Über Großkirchen und Religionsgemeinschaften soll es auf der Grundlage dieses Bundesgesetzes keine Sammlung von entsprechenden Informationen geben. Damit wird mit zweierlei Maß gemessen: Jene bereits Etablierten haben den Schutz des Staates, alle übrigen werden künftig "gläsern".


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