Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 222

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ratifizieren können und wohl auch sollen. Sachfremde Erwägungen hatten uns zunächst davon abgehalten. Unsere zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen mit dem LGVÜ sind durchaus positiv. Auch Rechtsprechung und Rechtslehre haben sich mit ihm bereits vertraut gemacht.

Keine Kritik will ich an dem Umstand üben, daß Österreich das EuGVÜ im wesentlichen ohne jede inhaltliche Änderung zu übernehmen hat. Denn zum einen liegt dies daran, daß es beim Beitritt neuer EU-Mitglieder grundsätzlich nur um technische Anpassungen geht. Und zum anderen steht demnächst ohnehin eine Revision des Brüsseler und des Luganer-Übereinkommens bevor. An den Verhandlungen zu dieser Revision nimmt Österreich bereits unter Einbringung eigenständiger und sachkompetenter Vorschläge aktiv teil.

Anders als bei substantiellen Veränderungen des Vertrages von Maastricht beziehungsweise von Amsterdam, bei denen es unverkennbar auch auf das realpolitische Gewicht der Kontrahenten ankommt, wird die Stimme Österreichs bei diesem justizpolitischen Reformvorhaben durchaus ernst genommen. Im übrigen ist den Anliegen, die Österreich schon bei den Verhandlungen über den Beitritt zum EuGVÜ vorgebracht hat, bis zu einem gewissen Ausmaß Rechnung getragen worden.

Die einzige echte Kritik – die ich, und das nicht erst heute – anbringe, bezieht sich gar nicht auf das Justizressort, sondern auf die Inkonsistenz der österreichischen Anti-Atompolitik. Von Anfang an war nämlich klar, daß sich jene EU-Staaten, die sich der Nutzung der Kernenergie verschrieben haben, auch im Rahmen des EuGVÜ abgesichert hatten. Dies dadurch, daß sie im Artikel 57 den Vorrang der von ihnen abgeschlossenen Spezialabkommen, so etwa auch der Atomhaftungskonventionen, verankert haben.

Was bedeutet das nun für Österreich konkret? – Der Wahlgerichtsstand des Artikels 5 Nr. 3 EuGVÜ sieht für Klagen wegen unerlaubter Handlungen, also auch etwa aus AKW-Unfällen, die Zuständigkeit der Gerichte jenes Staates vor, in dem der Schaden eingetreten ist. Der EuGH hat diese Bestimmung so ausgelegt, daß der Geschädigte bei grenzüberschreitenden Delikten oder Immissionen die Wahl hat, ob er das Gericht anruft, in dessen Sprengel das schadensverursachende Verhalten gesetzt worden ist, oder aber jenes, in dessen Sprengel sich der Schaden ausgewirkt hat, das heißt, eventuell auch ein Gericht im eigenen Land.

Nach diesem sogenannten Ubiquitätsprinzip könnte also ein österreichischer Geschädigter eine Klage gegen den ausländischen Schädiger durchaus auch vor einem österreichischen Gericht erheben. Das hätte neben dem eigenen Forum noch den weiteren Vorteil, daß dann das österreichische internationale Privatrecht und somit gegebenenfalls auch in der Sache österreichisches Atomhaftpflichtrecht anwendbar wäre.

Gemäß Artikel 57 EuGVÜ kann sich jedoch jeder andere Staat, der ein entsprechendes Spezialabkommen, hier: die Pariser Konvention, abgeschlossen hat, auf dessen Vorrang berufen. Da nun in der genannten Pariser Konvention eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Betreiberstaates vorgesehen ist, kann der eventuell ersatzpflichtige Betreiber dem Geschädigten durch eine negative Feststellungsklage an seinem eigenen Forum zuvorkommen. Diese würde – wieder nach der Rechtsprechung des EuGH – gegenüber einer späteren Leistungsklage des Geschädigten in seinem Land, also zum Beispiel in Österreich, das Prozeßhindernis der Rechtshängigkeit gemäß Artikel 21 EuGVÜ auslösen.

Aber noch schlimmer: Nach herrschender Meinung wäre sogar ein auf den Gerichtsstand des Artikels 5 Nr. 3 gegründetes Urteil eines österreichischen Gerichtes in den anderen Vertragsstaaten nicht anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn sich diese auf ihre Mitgliedschaft zum betreffenden Spezialabkommen, zum Beispiel der Pariser Konvention, berufen können. Denn Österreich hätte sich dann über die ausschließliche Zuständigkeit des Betreiberstaates hinweggesetzt, die nach dem Spezialabkommen maßgeblich ist, dem der Vollstreckungsstaat angehört, obwohl dieses Spezialabkommen für Österreich gar nicht gilt. Es beraubt uns aber dennoch aller Rechte, die uns nach dem EuGVÜ an sich zustünden.

Wir müßten daher sogar das für den österreichischen Geschädigten ungünstige Urteil, das im Betreiberstaat ergangen ist, in Österreich anerkennen. Eben das hätte bisher nach dem LGVÜ


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