Bundesrat Stenographisches Protokoll 644. Sitzung / Seite 56

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Meine Damen und Herren! In dieser Vorlage werden nicht alle Probleme der österreichischen Demokratie angesprochen und gelöst. Auch das Wort "Demokratie" ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie allein werden es auch nicht lösen!) – Selbstverständlich nicht, Herr Kollege! Demokratie ist ein Prozeß. Wer behauptet, die ideale demokratische Form, in der die parlamentarische Demokratie mit Elementen der direkten Demokratie in optimaler Weise vermischt ist, als Gesetzesantrag einbringen zu können, lügt schon deshalb, weil das unmöglich ist – völlig unabhängig davon, wer das tut. Darüber gibt es eine breite theoretische und praktische Diskussion. Einige Aspekte dieser Diskussion werden in einer meiner Meinung nach positiven Weise von diesen heute zu Beschluß stehenden Vorlagen berührt und wahrscheinlich günstiger, als es bisher der Fall war, gelöst.

Es hat auch niemand behauptet, daß dahinter ein größerer Anspruch steht. Wir haben, ausgehend, wie gesagt, von diesem Volksbegehren, eine Reihe von Bestimmungen lebensnäher, realitätsnäher und bürgernäher zu lösen versucht, und wir haben eine Reihe von Bestimmungen, die ihre Geschichte haben mögen, wie etwa sozusagen die "schwere" Stimme – golden share heißt das, glaube ich, im Aktienrecht – der Abgeordneten, rückgängig gemacht, aufgehoben, weil sie unserem heutigen Gleichheitsverständnis nicht entsprechen und in die heutige politische Realität, in der das Monopol der Parteien auf Präsidentschaftskandidaten gewissermaßen gebrochen ist, nicht mehr passen.

Ich halte das in Wirklichkeit für das Wesentliche, das in diesem Paket zum Ausdruck kommt, nämlich die Einsicht, daß eine Demokratie, die diesen Namen verdient, allemal den Bürgern zu gehören hat und nicht den Parteien!

Die Parteien sind Instrumente der Demokratie, sind ein – wie ich doch hoffe – wirkungsvolles Instrument der Vertretung gesellschaftlicher Interessen in der Demokratie, aber die Parteien bestehen nicht aus sich selbst und aus eigenem Machtanspruch heraus, sondern haben eine dienende Funktion gegenüber dem Bürger.

Ich sage aber mit großem Nachdruck dazu, daß das für alle anderen Institutionen und Mitspieler des demokratischen Prozesses auch gilt: Weder die Regierung noch die Landeshauptleute, noch die Landtage, noch die Parteien in den Bundesländern haben einen originären Vertretungsanspruch, einen originären Begutachtungsanspruch – oder was auch immer. Sie alle sind, so wie die politischen Parteien selbst, so wie die Abgeordneten dieses Hauses, Diener am Bürger. Es gibt eben verschiedene Bürger und verschiedene gesellschaftlichen Interessen, sonst wären wir alle einer Meinung. Es gibt Mehrheitsmeinungen und Minderheitsmeinungen, aber es ist immer legitime Interessenvertretung.

Es ist auch legitime Interessenvertretung – gerade das ist ein wichtiges Element der Demokratie –, daß sich Mehrheiten durchsetzen und daß Minderheiten, so sehr sie Anspruch auf Gehör und in einem Kompromißverfahren auf Berücksichtigung so mancher ihrer Interessen haben, eben Minderheiten sind, die keinen Anspruch auf Durchsetzung ihrer Standpunkte erheben können, auch und gerade dann, wenn sie diese besonders lautstark vertreten.

Es stimmt, daß der Bundesrat, Vertreter des Bundesrates, wenn es Änderungen in diesem schwierigen und doch auch umfassenden Feld der Demokratie gab – in diesem Fall und in anderen vergleichbaren Fällen –, in den Meinungsbildungsprozeß nicht miteinbezogen waren.

Ohne jetzt eine solche Debatte zum Anlaß zu nehmen, jede Idee, die jemals jemand von uns geäußert hat und die er für die Demokratie für förderlich erachtet, hier Revue passieren zu lassen, meine ich, und zwar aus diesem konkreten und spezifischen Anlaß heraus, daß es unser aller Meinung nach notwendig ist, daß der Bundesrat aus seiner Funktion als sozusagen letztes "Ventil" in einem politischen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozeß befreit wird und daß wir – auch wenn es in diesem Fall nicht das technisch richtige Wort wäre – mit dem, was wir "Begutachtungsrecht" genannt haben, in den parlamentarischen Beratungsprozeß zu jenem Zeitpunkt eingebunden werden, zu dem Gesetze geändert beziehungsweise geschmiedet werden. – Diese Erinnerung scheint mir angebracht zu sein.


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