Bundesrat Stenographisches Protokoll 647. Sitzung / Seite 110

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Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Crepaz. – Bitte.

15.16

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Frau Bundesministerin! Frau Präsidentin! Mein Redebeitrag befaßt sich mit Punkt 12, mit dem Verbrechensopfergesetz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zahlreiche Studien und aktuelle Medienberichte dokumentieren erschütternde Fakten über Ausmaß und Formen der Gewalt. Berichte über Mißhandlungen von Frauen und Kindern, Vergewaltigungen, sexuellen Mißbrauch, Kinderpornographie im Internet bis hin zu Mord lösen Entsetzen und Verständnislosigkeit in uns aus.

Mit der Aufdeckung der Dutroux-Affäre in Belgien und dem Weltkongreß in Stockholm gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern fiel allmählich ein Tabu, das vor allem den Kindesmißbrauch und die Gewalt in der Familie umgab, und die Öffentlichkeit beginnt das Ausmaß eines Übels mit 1 000 Facetten zu erfassen.

Seit Jahren verabschiedet das Europäische Parlament Entschließungen zur Lage der Kinder innerhalb und außerhalb der Union und prangert unablässig den Mißbrauch von Minderjährigen an. Einen Bereich zu enttabuisieren ist der erste Schritt zur Hilfe für die Betroffenen und Vorbeugung für die Zukunft. Enttabuisierung geschieht aber nicht über Nacht und bedarf einer ständigen Thematisierung und Beachtung dieses allzu gerne verdrängten Bereichs. Daher bin ich auch sehr froh, daß wir heute diese Änderung des Verbrechensopfergesetzes beschließen werden.

Das Gesetz in seiner bisherigen Fassung war sicher eine Pionierleistung in Europa. Die Leistungen wie Verdienstentgang, Unterhaltsentgang, medizinische Vorsorge, Heilfürsorge, Rehabilitation und in Zukunft auch Anspruch auf Pflegegeld sind sicher wichtig und notwendig, und dennoch haben wir seit 1972 – seit der Verabschiedung dieses Gesetzes – einiges dazugelernt. Die starre schulmedizinische Ausrichtung, wonach nur der Körper zu heilen sei, ist einem umfassenderen Verständnis von Gesundheit gewichen. Allmählich werden auch psychische Erkrankungen ernster genommen und wird ein Therapiebedarf anerkannt.

Besonders nach Gewalt- und Sexualdelikten leiden die Betroffenen unter starken psychischen Beeinträchtigungen, und es ist dringend notwendig, daß mit Therapie und Hilfe sofort begonnen wird. Wir leisten heute mit diesen Gesetzesänderungen einen Beitrag dazu, daß Verbrechensopfern, die durch die Traumatisierung, die sie erlitten haben, oft stark beeinträchtigt sind, geholfen werden kann.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, daß Sicherheitsbehörden, Staatsanwälte und Richter ihrer Belehrungspflicht nachkommen, die im Verbrechensopfergesetz festgeschrieben ist.

Die relativ geringe Zahl jener, die ständig aus dem Verbrechensopfergesetz betreut werden, im Vergleich zur Kriminalstatistik ist unter anderem auf die sozialrechtliche Absicherung in Österreich zurückzuführen. Ein weiterer Grund mag darin zu sehen sein, daß sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung, der als therapiebedürftig eingeschätzt wird, in psychotherapeutische Behandlung begibt. – Leider erfolgen manche Änderungen zu langsam, und bei psychotherapeutischem Behandlungsbedarf ist der Patient auf das Wohlwollen des Sozialversicherungsträgers angewiesen und hat einen nicht unerheblichen Selbstbehalt zu leisten, was für andere medizinische Behandlungen nicht zutrifft. Dieser Bereich ist sicher verbesserungswürdig.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Experten begrüßen die heutige Gesetzesvorlage. Der Vorsitzende des Weißen Ringes, Dr. Jesionek, sieht diese Änderung als sehr positiv an, da jene, die es sich bisher nicht leisten konnten, nun eine Therapie in Anspruch nehmen können. Er berichtet von vielen Fällen, die schon auf das Inkrafttreten des Gesetzes warten. Als verbesserungswürdig sieht er an, daß nur bei Verbrechen, die mit schwerer Körperverletzung oder Tod


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