Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 64

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öffentliche Urteilsverkündung – die Praxis dieser alternativen Bewältigung von Straftaten ausreichend beurteilen können?

Lassen Sie mich zuletzt auf die zunächst so sympathisch anmutende, aber letztlich doch täuschende Devise zu sprechen kommen, daß diese Novelle vor allem den Verbrechensopfern zur besseren Befriedigung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche verhelfen werde. Auch dabei handelt es sich um eine leere Ankündigung: Zum einen ist nämlich dem Verdächtigen die Erfüllung der Ersatzforderungen des Opfers nur insoweit aufzuerlegen, als dies möglich und zweckmäßig ist – mit anderen Worten hängt dieser Zuspruch von der aktuellen Leistungsfähigkeit des Verdächtigen ab. Worin soll dann der Vorteil dieser Lösung bestehen? – Bislang hätte zum anderen das Strafgericht dem durch die Straftat Geschädigten im Adhäsionsverfahren seine zivilrechtlichen Ersatzansprüche zur Gänze zuerkennen müssen. Selbst wenn es diese Ansprüche – wie leider in der Praxis allzu häufig – auf den Zivilrechtsweg verwies, bildete doch die strafgerichtliche Verurteilung eine bindende Grundlage für den nachfolgenden Zivilprozeß.

Im Rahmen des Außergerichtlichen Tatausgleiches ist es jedoch künftighin denkbar, daß ein Konfliktregler – das muß und wird in aller Regel kein Fachjurist sein, das kann ein Sozialarbeiter oder Bewährungshelfer sein – sogar einen außergerichtlichen Vergleich herbeiführt, dem das Opfer mangels rechtsfreundlicher Vertretung in Unkenntnis der ihm zustehenden Ansprüche und daher unter Umständen im unbewußten Verzicht darauf zustimmt. Meines Erachtens müßte dann eine solche Vereinbarung freilich anfechtbar sein, aber das steht keineswegs fest.

Problematisch erscheint uns auch, daß das Opfer nicht etwa nur aus Angst, bedingt durch die vorliegende Tat oder durch weitergehende Bedrohung, sondern auch unter moralischem Druck – ich selbst würde ihn durchaus empfinden, das gestehe ich Ihnen offen ein – dem Außergerichtlichen Tatausgleich sogar gegen seine Überzeugung zustimmen könnte. Prinzipiell fragwürdig verbleibt dabei meines Erachtens auch, ob selbst das Opfer – unbeschadet seines Genugtuungs- oder Ausgleichsanspruches – über den Grundsatz der Rechtsbewährung verfügen kann. Bei Delikten gegen Staatsorgane wird das in den Erläuterungen auch zu Recht bezweifelt. Aber letztlich gilt dieser prinzipielle Einwand bei jeder Straftat, weil eben jedes Delikt eine Negation der Rechtsordnung darstellt.

Abschließend ist festzuhalten, daß es nicht bloß ein Streit um Worte ist, ob diese Novelle, wie wir meinen, eine äußerst weitreichende potentielle Entkriminalisierung oder bloß eine spezifi-sche Erweiterung in der Palette staatlicher Reaktionen auf die Straftat darstellt. Jedenfalls schließt die Diversion sowohl Schuldspruch als auch Strafe aus.

Unseres Erachtens bedeutet diese Novelle einen revolutionären Abbau des Strafrechts in ganz erheblichen Teilen seines Anwendungsbereiches. Wir meinen daher, daß mit diesem Gesetz allein Christian Broda – weit über seine kühnsten Erwartungen hinaus – posthum gesiegt hat (Beifall bei den Freiheitlichen), ohne daß das die seitherige Entwicklung der Gesellschaft wie auch des traurigen Phänomens der Kriminalität rechtfertigt. Eben und gerade deshalb werden wir dieser Vorlage aus voller Überzeugung unsere Zustimmung versagen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.31

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Günther Hummer. Ich erteile ihm das Wort.

12.31

Bundesrat Dr. Günther Hummer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich müßte meinem Vorredner, dem geschätzten Herrn Professor Böhm, recht geben, wenn ich nicht das Vertrauen hätte, daß die mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragten staatsanwaltschaftlichen Behörden beziehungsweise auch die Gerichte hiebei von der in Kraft zu setzenden Rechtslage ausgehen. Wenn man nämlich den Gesetzesbeschluß des Nationalrates, der auf einer Regierungsvorlage des Justizministeriums basiert, gründlich liest und studiert, so muß man feststellen, daß, wenn man nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist und den Zusammenhang dieses Gesetzeswerkes im Auge hat, den Befürchtungen, die hier geäußert


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