Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 63

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einer willenlosen oder wehrlosen Frau oder einer unmündigen Person, um sie zur Unzucht zu mißbrauchen; pornographische Darstellungen mit Unmündigen; die sittliche Gefährdung von Personen unter 16 Jahren; die Zuhälterei; die gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren; fast alle Vermögensdelikte; Urkundenfälschung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Weshalb wurden die entsprechenden Kategorien von Verbrechenshandlungen und -formen nicht generell ausgenommen?

Meine Damen und Herren! Ich frage Sie: Wo bleibt insbesondere die angemessene Bestrafung von Delikten wie dem sexuellen Mißbrauch von Kindern und der Kinderprostitution, über die wir uns in diesem Haus bereits über alle Parteigrenzen hinweg vorbehaltlos verständigt und geeinigt hatten? – Gewiß müßten diese Delikte bei vernünftiger Handhabung an sich schon deshalb aus der Neuregelung herausfallen, weil sie ihrer Natur nach keinen Ausgleich zulassen; denn es ist eine Verständigung in diesem Sinne zwischen Täter und Opfer gar nicht möglich. Aber ist eine solche Praxis gesichert?

Freilich wurde sowohl in den Erläuterungen zu dieser Vorlage als auch in der Nationalratsdebatte versucht, die Neuregelung mit folgenden Argumenten zu verharmlosen. Zum einen mit den Voraussetzungen der Diversion: das sei ein hinreichend geklärter Tatverdacht – das ist natürlich in Ordnung –; ferner mit einer nicht als schwer anzusehenden Schuld des Verdächtigen – was bedeutet das, und wer beurteilt es? –; und dann noch mit der Einschränkung, daß keine spezial- oder generalpräventiven Gründe gegen die Diversion sprechen. Erneut: Wann trifft das zu, und wer beurteilt es, nach welchen Kriterien, und ist das von Fall zu Fall und regional möglicherweise unterschiedlich?

Damit komme ich zum nächsten wesentlichen Kritikpunkt: Diese Voraussetzungen beurteilt zunächst nicht das unabhängige Gericht – konkret: der Untersuchungsrichter –, sondern künftig der an sich weisungsgebundene Staatsanwalt allein. Was dies bedeutet, wenn die von der Strafrechtssektion des Bundesministeriums ausgehende Strafrechtspolitik die Diversion, insbesondere den Außergerichtlichen Tatausgleich, tendenziell anstrebt, versteht sich auch ganz ohne – von mir in keiner Richtung unterstellte – Richtlinien des Herrn Bundesministers dennoch von selbst.

Zudem ist es als Nichtigkeitsgrund mit Rechtsmittel anfechtbar, wenn diese Begünstigung nicht gewährt worden ist. Ihre ungerechtfertigte Erteilung ist hingegen unanfechtbar. Das allein läßt die politische Schlagseite überdeutlich erkennen.

Man wende nicht ein, daß der Außergerichtliche Tatausgleich ohnehin nur dann in Betracht komme, wenn ihm das Verbrechensopfer zustimmt; denn zum einen setzt die Beachtlichkeit der Ablehnung seitens des Opfers voraus, daß sie nicht auf Gründen beruht, die in einem Strafverfahren nicht berücksichtigungswürdig sind. Was soll das heißen? Werden dem Opfer atavistische Rachemotive unterstellt, oder handelt es sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, eine Generalklausel, der beziehungsweise die es jedenfalls ermöglicht, den Außergerichtlichen Tatausgleich im Zweifel durchzusetzen? – Allein diese Formulierungen zeigen meines Erachtens zur Genüge die ideologische Voreingenommenheit der Verfasser auf.

Zudem hindert die mangelnde Zustimmung des Verbrechensopfers zwar allenfalls den Außergerichtlichen Tatausgleich, nicht aber sonstige Arten der Diversion. Mit anderen Worten kann zum Beispiel der Staatsanwalt den Täter dennoch mit einer Bußzahlung an den Bund von einem Strafverfahren entlasten.

Im höchsten Maße fragwürdig ist jedoch der Umstand, daß die Anwendung diversioneller Maßnahmen keine Eintragung im Strafregister bewirkt. Daraus folgt, daß der Straftäter weiterhin uneingeschränkt öffentliche Ämter bekleiden kann, also etwa auch Funktionen in gesetzgebenden Körperschaften; daß er vor allem unverändert als unbescholten gilt, daß somit auch Rückfalls- und Wiederholungstätern die Rechtswohltat der Diversion zugute kommen kann, weil weder die nicht registrierten Straftaten, die der – bloß intern dokumentierten – Diversion unterzogen wurden, noch sogar echte Vorstrafen eine neuerliche Diversion ausschließen. Wie soll ferner die Öffentlichkeit – anders als bisher durch die öffentliche Verhandlung und zumindest die


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