Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 73

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Präsident Gottfried Jaud: Des weiteren zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Hedda Kainz. Ich erteile ihr dieses.

13.16

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zum Kernstück der Strafprozeßnovelle 1999, zum außergerichtlichen Tatausgleich für Erwachsene, bekennen und zähle mich damit zu den visionären Utopisten oder humanitären Visionären, wie das heute bezeichnet wurde. Wenn es als Vorwurf gedacht war, daß diese Strafrechtsnovelle seit der Brodaschen Änderung eine Erosion bedeutet, dann glaube ich, daß das abzulehnen ist, wenn man Erosion als etwas Unkontrolliertes und Negatives bezeichnet. Ich gehe davon aus, daß diese Systemänderung eine Ergänzung und Erweiterung des bestehenden Strafrechts bedeutet, nämlich auch auf der Grundlage der bisher gemachten Erfahrungen, zum Teil aus dem außergerichtlichen Tatausgleich im Bereich des Jugendstrafrechts, aber auch aus dem Modellversuch im Zusammenhang mit Erwachsenen.

Ich sehe in dieser erweiterten Möglichkeit neben der besseren Bedeckung der Bedürfnisse der Opfer eine starke Hinwendung zur Wiedereingliederung der Täter in die Gesellschaft. Diese Wiedereingliederung erfolgt nicht im Rahmen eines – wie von den Freiheitlichen gefordert – gerichtlichen Festhaltens, mit dem Rachegedanken im Hintergrund. (Bundesrat Dr. Böhm: Das habe ich ausdrücklich abgelehnt! Bitte unterstellen Sie das nicht!) Ich gebe zu, daß das eine Unterstellung meinerseits ist, doch ich kann mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Ich bin froh, in einem Rechtssystem Staatsbürger und politisch tätig sein zu können, das andere Wertvorstellungen hat. Ich beobachte mit Schaudern die Situation, die sich in den USA darstellt. Dort befinden sich 3 Prozent der männlichen Bevölkerung in den Gefängnissen, und dort wird mehr Geld für die Erhaltung der Gefängnisse ausgegeben, als für die Bildung zur Verfügung steht.

Ich möchte jetzt nicht auf die Gegenüberstellung von Pro und Kontra eingehen, das haben meine Vorredner schon bestens gemacht. Die zusammenfassenden Ausführungen des Herrn Ministers haben sehr gut vor Augen geführt, welche Möglichkeiten in dieser Strafprozeßnovelle vorhanden sind und wie sie angewendet werden sollen.

Es ist im Zusammenhang mit dem immer wieder vorgebrachten Hinweis auf die Schwere der Taten und auf den Strafrahmen von fünf Jahren darauf zu verweisen, daß das keine losgelöste Einzeldefinition sein kann, sondern daß das Zusammenwirken von vielen Maßnahmen zur Entscheidung darüber führt, ob der Tatbestand einer strafrechtlichen Verfolgung zu unterziehen ist oder ob es – die Zustimmung der Betroffenen voraussetzend – zu einem außergerichtlichen Tatausgleich kommen soll.

Ich glaube, daß das Argument, daß ein Überfallener nicht zu seinem Recht kommen kann, wenn der Täter nicht strafrechtlich verfolgt wird, jedenfalls dann hinkt, wenn die Einbringung eines allfälligen Schadenersatzes in Frage gestellt wird – sei es deswegen, weil das Opfer diese Möglichkeit auf zivilrechtlichem Weg nicht hat, oder sei es deshalb, weil die Einbringung dadurch verhindert wird, daß der Täter nicht in der Lage ist, den Forderungen nachzukommen. (Bundesrat Dr. Böhm: Dann kann er es freiwillig auch nicht!)

Ich glaube, daß all jene Maßnahmen, die dem Täter permanent, längerfristig und viel beeindruckender seine Schuld vor Augen führen, als das jede andere Bestrafung tut – sei es eine finanzielle Strafe oder auch eine Gefängnisstrafe, die dann unter Umständen auch auf die Wiedereingliederung, auch der Familie, gravierende Auswirkungen hat –, sehr viel durchschlagender dazu führen, dem Täter seine Schuld zu beweisen und zu einer Wiedereingliederung in un-ser gesellschaftliches System, was einen großen Stellenwert haben muß, zu verhelfen. Die Zahlen, die derzeit im Zusammenhang mit der Diversion vorliegen, beweisen auch, daß die Rückfallquoten wesentlich geringer sind.

Ich glaube, daß diesen Umständen viel mehr Augenmerk geschenkt werden muß. Das muß im Vordergrund stehen, und es darf nicht – auch wenn ich Ihnen das jetzt unterstellt habe und Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben – der Rachegedanke das Maß für jene Maßnahmen sein, die zu einer Situation führen, daß wir uns, mehr als es bisher mit Strafen möglich war, in


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