Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 72

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den Verzicht auf die Durchführung eines Strafverfahrens ohne Schuldspruch und ohne förmliche Sanktionierung des Verdächtigen ermöglichen.

Die Diversionsmaßnahmen gegen Verdächtige in dieser Novelle zum Strafgesetzbuch sind ein großer Reformschritt zugunsten der Opfer. Erstmalig hat nun das Opfer eine entscheidende Rechtsposition, in der es auf jeden Fall höher, rascher und unbürokratischer entschädigt wird, als es im bisherigen gerichtlichen Verfahren der Fall war. Das Instrument wirkt nämlich nur dann, wenn der Schaden beim Opfer gutgemacht wurde und alle verhängten Maßnahmen erfüllt werden. Insbesondere von der Verpflichtung des Täters, gemeinnützige Arbeit zu erbringen, geht eine große erzieherische Wirkung für den Täter aus. Dies ist eine stärkere Reaktion auf strafbares Verhalten als jede Strafverfügung – die auch in der Vergangenheit des öfteren wirkungslos war – und auch jede bedingte Verurteilung. Die Möglichkeit der Abwendung von Urteilsfolgen erhöht zudem die Bereitschaft des Täters zur Wiedergutmachung. (Präsident Jaud übernimmt den Vorsitz.)

Wie Kollege Ludwig bereits erwähnt hat, ist in Deutschland schon seit dem Jahre 1924 die Möglichkeit der Diversion gegeben, und in der deutschen Praxis wurde die Anwendung solcher Reaktionsformen nach und nach ausgedehnt. Im Jahre 1993 kam es bereits bei fast der Hälfte aller dringend Tatverdächtigen zu einer diversionellen Verfahrenserledigung. Bei den Jugendlichen betrug der Diversionsanteil schon 65 Prozent aller Fälle.

In Österreich ist der Diversionsgedanke im Jugendstrafrecht bereits seit dem Frühjahr 1985 umfassend verankert und hat sich auch bestens bewährt. Es gibt damit sehr positive Erfahrungen im Jugendstrafrecht. Die Einbindung der Opfer in den außergerichtlichen Tatausgleich war daher eine sehr sinnvolle und äußerst notwendige Maßnahme.

Die bisher in Österreich gemachten Erfahrungen mit dem außergerichtlichen Tatausgleich bei Jugendlichen bieten ein ähnliches Bild wie jene in Deutschland. So ist es in 90 Prozent der Fälle bei Jugendlichen und in 70 Prozent der Fälle bei Erwachsenen zu einem tragfähigen Ausgleich gekommen. 85 Prozent der Täter und 84 Prozent der Opfer wollen an einem solchen Tatausgleich teilnehmen. Statistische Erhebungen zeigen, daß die Rückfallhäufigkeit bei den gerichtlich verurteilten Tätern mehr als doppelt so hoch ist wie jene nach einem außergerichtlichen Tatausgleich.

Es gibt allerdings auch Delikte, bei welchen ein außergerichtlicher Tatausgleich unbedingt abzulehnen ist. Neben Delikten, in deren Verlauf es zur Gewaltanwendung im häuslichen Bereich kommt, darf auf gar keinen Fall bei Delikten gegen die Staatsgewalt der außergerichtliche Tatausgleich zur Anwendung kommen. (Bundesrat Dr. Böhm: Wo steht das?) Ich fordere Sie daher auf, sehr geehrter Herr Justizminister, dafür Sorge zu tragen, daß im Einführungserlaß sowie bei laufenden Dienstbesprechungen und Fortbildungsveranstaltungen darauf hingewiesen wird, daß es bei Delikten nach §§ 269 und 270 Strafgesetzbuch zu keiner Diversion kommen darf. (Bundesrat Dr. Böhm: Wissen das auch alle?)

Was mich allerdings verwundert, geschätzte Damen und Herren des Bundesrates, ist die Reaktion von Innenminister Schlögl. Er hat seine Beamten im Regen stehenlassen, anstatt sich schützend vor sie zu stellen. Er verlangte bei der diesbezüglichen Besprechung im Justizausschuß lediglich eine Protokollanmerkung zu Delikten, bei welchen es zur Gewaltanwendung im häuslichen Bereich kommt. Daß die Chefin des Liberalen Forums gerade für Delikte gegen die Staatsgewalt diversionelle Maßnahmen verlangte, darf einen bei der sogenannten liberalen Haltung von Heide Schmidt nicht weiter verwundern. (Bundesrat Dr. Böhm: Das versteht sich von selbst!)

Hohes Haus! Die ÖVP-Fraktion hat bei der Gesetzwerdung im Nationalrat ihre Vorschläge in dieses Gesetz eingebracht. Wir von der ÖVP sind überzeugt, daß dieses Gesetz eine gute Möglichkeit ist, den Opfern und den Tätern zu helfen, und werden ihm daher unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.16


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