Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 71

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positiven oder negativen Deliktskataloges abgesehen haben, weil sonst eine allzu starke Einschränkung des Handlungsspielraumes für die Praxis zu unbefriedigenden Härtefällen führen würde.

Es zeigt sich aber ein immer wieder auftretender Denkfehler, wenn im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich gesagt wird, daß der Umstand, daß die Diversion gesetzlich nur in jenen Fällen ausgeschlossen ist, die in die Zuständigkeit des Schöffen- und des Geschworenengerichts fallen, bedeuten würde, daß alle in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes oder des Einzelrichters erster Instanz fallenden Strafsachen einer diversionellen Erledigung zugeführt werden sollen. Das ist keineswegs der Fall.

Es gibt – es wurde schon erwähnt – eine Reihe von zusätzlichen Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit überhaupt eine Überlegung stattfindet, ob eine diversionelle Maßnahme ins Auge gefaßt werden kann. Diese Voraussetzungen sind: keine schwere Schuld, general- und spezialpräventive Verträglichkeit und keine Todesfolgen.

Daß das Vorliegen dieser Voraussetzungen vom Staatsanwalt beziehungsweise vom Gericht zu beurteilen ist, stellt den gleichen Vorgang im Bereich der mittelschweren Delikte dar wie die Überlegungen, die in jenem unteren Bereich, für den Sie, Herr Professor Böhm, diese Maßnahmen als angemessen bezeichnet haben, anzustellen sind. Auch im unteren, von Ihnen akzeptierten Anwendungsbereich müssen Richter oder Staatsanwalt dieselben Überlegungen anstellen, denn auch dort kann man nicht sagen: Der Ladendieb ist eh nur ein Ladendieb, und daher kommt es auf jeden Fall zu einer Diversion! – Auch in diesem Fall muß man die Überlegung anstellen, ob keine schwere Schuld vorliegt und ob general- und spezialpräventive Verträglichkeit gegeben ist. Da ist also kein grundsätzlicher Unterschied.

Meine Damen und Herren! Insgesamt möchte ich betonen, daß die gesetzliche Verankerung des außergerichtlichen Tatausgleichs und der anderen Formen der Diversion sicher – ich möchte zwar kein "Übervorgänger" sein, aber doch – die umfangreichste Neugestaltung der Strafrechtspflege seit der Strafrechtsreform der siebziger Jahre ist. Ich bin froh darüber, daß es aufgrund der Erfahrungen mit den diversionellen Maßnahmen im Jugendgerichtsgesetz, aufgrund der Erfahrungen und der Ergebnisse des Modellprojekts "Außergerichtlicher Tatausgleich", dessen Erfolg sowohl im Zustandekommen als auch hinsichtlich der verringerten Rückfallhäufigkeit nachgewiesen ist, aber auch aufgrund des langen, in den Fachgremien und in der Öffentlichkeit geführten Diskussionsprozesses gelungen ist, die Zustimmung aller betroffenen Berufsgruppen und im weitesten Maße auch der Lehre, also Ihrer Berufsgenossen aus dem Strafrechtsbereich, zu bekommen und letztlich auch einen breiten rechtspolitischen Konsens – trotz Abseitsstehens der Freiheitlichen – zu erreichen.

Ich meine, daß das eine gute Voraussetzung dafür ist, daß wir auch damit rechnen können, eine verständnisvolle, verständige Akzeptanz in der Bevölkerung gewährleistet zu haben.

Ich kann Ihnen daher, meine Damen und Herren im Bundesrat, aus voller Überzeugung – entgegen meinem Vorredner – die Zustimmung zu diesem Gesetz empfehlen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.10

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Wolfram Vindl das Wort.

13.10

Bundesrat Wolfram Vindl (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Der Herr Bundesminister hat bereits eine Antwort auf die Debattenbeiträge meiner Vorredner gegeben. Ich werde mich daher nur auf etwas Wesentliches beschränken.

Wir befassen uns heute im Bundesrat mit der großen Strafprozeßnovelle 1999. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Novelle ist der außergerichtliche Tatausgleich, auch Diversion genannt. Man versteht unter Diversion alle Formen der staatlichen Reaktion auf strafbares Verhalten, welche


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