Bundesrat Stenographisches Protokoll 653. Sitzung / Seite 91

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Ferner war leider auch die Verschärfung der Berufspflichten und des Disziplinarrechts geboten – dies im Blick auf das gravierende, zum Teil sogar kriminelle Fehlverhalten einzelner Anwälte –, weil die Schädigung des Ansehens des ganzen Standes in der Öffentlichkeit eben nur durch die Stärkung seiner Selbstreinigungskraft ausgeglichen werden kann.

Aus denselben Gründen ist auch der Ausbau der Kontrollinstrumente zu begrüßen, die zukünftig Mißbräuchen bei der Führung von Treuhandschaften vorbeugen sollen. Bedauerlich daran ist allerdings, daß die Anwaltschaft hier nicht längst dem Vorbild des Notariats gefolgt ist, das dafür strenge berufsrechtliche Vorschriften kennt und über ein zentrales Treuhandregister verfügt.

Diesen positiven Aspekten – oder zumindest unvermeidlichen Veränderungen – stehen aus meiner Sicht freilich so erhebliche Kritikpunkte gegenüber, daß meine Fraktion dieser Novelle nicht zustimmen kann.

Was sind nun die Hauptbedenken? – Zunächst ist unverständlich, weshalb heute eine Novelle beschlossen wird, die zwar durchaus auch dringliche Anliegen erledigt, die aber weitere, bereits längst absehbare Probleme bewußt offenläßt.

Vor allem die EU-Richtlinie zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen EU-Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, stellt uns vor zwei Aufgaben: zum einen vor jene, diese Richtlinie korrekt in das österreichische Recht umzusetzen, und zum anderen vor eine wesentlich heiklere, nämlich die, jede mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbare Inländerdiskriminierung zu vermeiden. Diese entsteht demnächst zwangsläufig dadurch, daß die meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten wesentlich niedrigere Barrieren für den Zugang zum Anwaltsberuf vorsehen.

In Spanien, um einen Extremfall zu erwähnen, kann sich zum Beispiel jeder Absolvent des Jusstudiums ohne weiteres als Anwalt betätigen; und in der Bundesrepublik Deutschland wird eine wesentlich kürzere Praxiszeit und keine Anwaltsprüfung verlangt. In Hinkunft wird aber jeder ausländische Anwalt, der in seinem Heimatstaat in dieser Funktion zugelassen ist, nach einer dreijährigen Praxis in Österreich den Anwaltsberuf auch bei uns ausüben können.

Unsere heimischen Rechtsanwaltsanwärter werden sich dann fragen, weshalb sie nach einem wissenschaftlichen Studium des österreichischen Rechts, das ausländischen Mitbewerbern ja fehlt, und zwar nach einem Studium, das in der faktischen Regelstudienzeit sehr lang ist, sowohl eine fünfjährige Praxis als auch eine anspruchsvolle Anwaltsprüfung ablegen müssen.

Einer Anfechtung der entsprechenden berufsrechtlichen Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof wird ohne jeden Zweifel Erfolg beschieden sein. Das verkennt auch der soeben neugewählte Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer durchaus nicht. Dennoch will die Standesvertretung in dieser sensiblen Frage begreiflicherweise keinen eigenen Vorstoß unternehmen.

Dem Gesetzgeber aber bleibt die Anpassung des österreichischen Berufsrechts keinesfalls erspart. – Überhaupt wäre die Stellung der Rechtsanwaltsanwärter auch in anderer Hinsicht verbesserungswürdig. Zum einen müßte für sie, wenn schon nicht eine volle Kammermitgliedschaft, so doch wenigstens eine eigene Vertretung im Rahmen des Ausschusses verankert werden; unterliegen sie doch immerhin allen Berufspflichten und der Disziplinargerichtsbarkeit. Ferner klaffen unüberbrückbare Versicherungslücken, wenn der Berufsunfähigkeits- und der Hinterbliebenenschutz nicht bereits vom Beginn der sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit an eingreift.

Nun zum zweiten Bedenken. Anders als die Standesvertretung der Rechtsanwälte selbst vermag ich die Möglichkeit, Anwaltskanzleien in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu organisieren, zumindest nicht vorbehaltlos zu begrüßen. Gewiß drängte sich diese Neuerung – auch abgesehen von betriebswirtschaftlichen Überlegungen – nicht zuletzt wieder unter internationalem Aspekt auf, müssen doch Anwaltsgesellschaften aus anderen EU-Mitgliedsstaaten in Österreich uneingeschränkt anerkannt werden. Erneut gebietet es daher die Gleichbehandlung österreichischer Rechtsanwälte, ihnen dieselbe Möglichkeit zu eröffnen. Die damit


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