Bundesrat Stenographisches Protokoll 654. Sitzung / Seite 105

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sie damals so angewendet haben, wie wir sie auch heute anwenden. Herr Kollege! Ich rede vom Ungarn-Aufstand 1956. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. d′Aron. )

Warten Sie einmal, Sie können dann schon noch irgendwelche Philippiken gegen den Bundeskanzler loswerden – aber bitte wenigstens in der passenden Rubrik! (Bundesrat Ing. Scheuch: Nicht so aufgeregt!) – Ich bin überhaupt nicht aufgeregt, Herr Kollege!

1956, in der heißesten Phase des sogenannten kalten Krieges, als niemand in diesem Lande in der Lage war, neutral zu bleiben – im Herzen, in der Überzeugung, im Mitfiebern mit einer politischen Auseinandersetzung; nicht anders, als es heute ist –, hat dieses Land seine Verpflichtung der staatsrechtlichen Neutralität erfüllt und gleichzeitig ein beispielloses Werk der Hilfe für – in diesem Fall – die ungarische Nation, die ein Opfer des sowjetischen Imperialismus war, geleistet. Diese zwar nicht Stunde Null, aber dieses Jahr Eins der Neutralität hat in Wirklichkeit die Weichen für das gestellt, was wir unter Neutralität verstehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es hat mich sehr angenehm berührt – vielleicht war das ein Irrtum, oder vielleicht haben Sie da nicht aufgepaßt, Herr Kollege Himmer –, als der Herr Außenminister heute in der Früh auf eine diesbezügliche Anfrage von mir gesagt hat: Ja, was wir jetzt tun, ist – so wie viele andere Entscheidungen in diesen langen Jahren – die eigenständige Interpretation unserer Neutralität unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen.

Das ist nämlich die Leistungsfähigkeit der Neutralität, daß sie kein starres Schema ist, sondern sich politisch mit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes entwickelt hat und heute weiterhin – natürlich in neuer Gestalt – anwendbar bleibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gehört zu jenen Sternstunden des Parlamentarismus – derentwegen ich immer sage, eigentlich sollte man in dem Saal Eintritt fürs Zuhören verlangen –, wenn es Herr Kollege d'Aron zuwege bringt, im gleichen Satz der SPÖ, dem Bundeskanzler vorzuwerfen, aus der Neutralität einen Wahlkampfschlager machen zu wollen und deshalb vorzuschlagen, die Neutralität fünf Jahre aus den Wahlkämpfen herauszuhalten. (Bundesrat Dr. d′Aron: Hat er das gesagt oder nicht?)

Sie haben das gesagt, er nicht! Er hat das genau deshalb vorgeschlagen, damit niemand – auch nicht wir – aus der Neutralität oder aus der Auseinandersetzung um sie – auch auf unserer Seite – billiges Wahlkampfkapital schlägt. (Heiterkeit des Bundesrates Mag. Himmer. ) Sie haben nein gesagt – Kollege Himmer, Sie nicht, weil Sie niemand gefragt hat. Aber Ihre Partei hat nein gesagt. (In Richtung Freiheitliche:) Sie haben nein gesagt. Und damit werden wir das Gegenteil von dem tun, was Sie sagen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. d′Aron: Und Sie machen das Gegenteil des Vertrags von Amsterdam?)

Ausgerechnet Sie haben uns gesagt: Glauben Sie nicht den Meinungsumfragen! – O ja, wir glauben ihnen! Drei Viertel der Österreicher sind für die Neutralität. Wir werden diese Österreicher nicht von Ihnen als dumm und rückständig mißachten lassen, sondern wir werden als gute Demokraten dieser Überzeugung politisch zum Durchbruch verhelfen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Prähauser: Bravo! – Weitere Zwischenrufe.)

Bitte? (Bundesrat Dr. Tremmel: Das letzte Ergebnis ist immer das Wahlergebnis!) Herr Kollege! Das Gute am Parlamentarismus ist, daß man vom Wähler und nicht vom Koalitionspartner die Noten bekommt. (Heiterkeit bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen. – Beifall bei der SPÖ und des Bundesrates Mag. Himmer. )

Meine Damen und Herren! Wir alle können uns auf der verbalen Ebene darauf einigen – sogar Sie, Herr Kollege –, daß wir an einer entstehenden europäischen Sicherheitsarchitektur teilnehmen werden. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das ist schon was!) Nur, Herr Kollege, wenn irgend jemand gesagt hat – eine Meinung, die ich nicht teile –, Neutralität ist nur ein Wort, dann ist erst recht diese europäische Sicherheitsarchitektur ein Wort. Denn die konkreten Inhalte – die Baumaterialien, um beim Wort "Architektur" zu bleiben – sind erst zu finden.


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