Bundesrat Stenographisches Protokoll 654. Sitzung / Seite 108

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Demgegenüber verfängt auch der Rekurs auf den innerstaatlichen Verfassungsrang des Neutralitätsgesetzes nicht. Denn dem EU-Recht kommt unbestritten Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht, grundsätzlich also auch gegenüber dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, zu. Zum allenfalls integrationsfesten Kernbestand der österreichischen Bundesverfassung selbst zählt indes die Neutralität durchaus nicht; ist sie doch kein Baugesetz beziehungsweise kein Grundprinzip derselben. Deshalb wäre auch für eine eventuelle Aufhebung der Neutralität – eine formelle Aufhebung, betone ich! –, im Gegensatz zur demokratiepolitisch begründeten Forderung gerade meiner Fraktion, vom Bundes-Verfassungsgesetz her nicht einmal eine Volksabstimmung geboten. Die Neutralität wurde auch nicht nach einem entsprechenden Referendum eingeführt.

Mit dem Vertrag von Amsterdam hat jetzt aber die von der EU angestrebte Sicherheitsstruktur eine neue Qualität und Dimension gewonnen. Artikel J.7 schafft nämlich die Grundlage für die Verknüpfung zwischen Europäischer Union und Westeuropäischer Union, heißt es doch dort wörtlich: "Die Westeuropäische Union (WEU) ist integraler Bestandteil der Entwicklung der Union".

Zudem hat Österreich, wie auch durch den Beitritt zur NATO-Partnerschaft für den Frieden, seine Bereitschaft erklärt, sich an "Petersberger Missionen – das heißt: nicht nur an friedenserhaltenden, sondern auch sogar an friedensschaffenden Aktionen – zu beteiligen. Letztgenannte sind bloß die euphemistische Umschreibung von Angriffskriegen wie etwa der derzeitigen NATO-Aktion gegen Serbien.

Damit ist der Kern bereich der Neutralität, die Nichtteilnahme an kriegerischen Konflikten, unmittelbar und substantiell berührt. Weder die Möglichkeit, die Zustimmung zu solchen Beschlüssen zu verweigern, noch jene der "konstruktiven Enthaltung" wird uns von der grundsätzlichen Verpflichtung entbinden, kollektive Entscheidungen der Europäischen Union im Regelfall mitzutragen. Man kann sich nämlich nicht nur die Rosinen aus dem Kuchen heraussuchen. Das kann auch dieser autonome Nachvollzug nicht sein. Demnach stellt der Amsterdamer Vertrag unverkennbar die Weichen für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft , die mit einer echten Neutralität eines Mitgliedstaates nicht länger vereinbar ist.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Sie erinnern sich gewiß daran, daß ich nicht erst heute, anläßlich dieser dringlichen Anfrage, sondern bereits anläßlich der Ratifikation der Neufassung des EU-Vertrages betont habe, daß wir uns – ob wir es bedauern oder begrüßen mögen – nicht erst an diesem Tag, aber spätestens an ihm von der Neutralität der Sache nach endgültig verabschiedet haben. Wir haben diesem Abschied sogar in unserer Bundesverfassung, nämlich im Artikel 23 lit f, ausdrücklich Rechnung getragen und dort direkt auf den Vertrag von Amsterdam sowie die darin vorgesehenen Maßnahmen Bezug genommen.

All das widerlegt die wohlgemeinten Sonntagsreden über unsere angeblich noch bestehende und auch weiterhin strikt aufrechtzuerhaltende Neutralität! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Wir sind der Sache nach nicht mehr neutral, und wir dürfen es aufgrund unserer vertraglichen Bindungen im Grunde auch gar nicht mehr sein! Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien und insbesondere von der Sozialdemokratischen Partei! Sie sollten daher die intellektuelle Redlichkeit und den Mut aufbringen, das der Bevölkerung endlich klarzumachen! Denn diese hat den Anspruch darauf, über den wahren völkerrechtlichen und sicherheitspolitischen Status unseres Landes unterrichtet zu werden! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie hätte demokratiepolitisch ein Anrecht darauf gehabt, daß über solch weitreichende Veränderungen ein breiter öffentlicher Diskurs und eine echte politische Willensbildung stattgefunden hätte. Wenden Sie nicht ein, daß der EU-Beitritt ohnehin einer Volksabstimmung unterzogen worden ist! – Statt der gebotenen Offenlegung des von der EU erklärtermaßen verfolgten sicherheitspolitischen Zieles haben Sie nämlich damals und bis heute den Weg der Verschleierung vorgezogen und die dem Gesetzesbuchstaben nach beibehaltene Neutralität Schritt für Schritt ausgehöhlt. Daß von dieser bloß eine leere Hülse übriggeblieben ist, haben Sie mittels politischer Semantik und Rhetorik verdeckt. Ist doch seit dem EU-Beitritt immer von der sogenannten Solidarität – mehrfach heute auch vom Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten –


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