Bundesrat Stenographisches Protokoll 658. Sitzung / Seite 27

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sehr verehrten Damen und Herren! Nach den guten Ratschlägen, die ein neuer Bundesrat nach sehr kurzer Erfahrung dem Landeshauptmann von Vorarlberg und anderen Bundesratskollegen gegeben hat, darf ich auf meine nur kurze Praxis im Bundesrat von zehn Jahren verweisen (Beifall bei der ÖVP und des Bundesrates Rauchenberger ) und darauf, dass ich mich in diesen zehn Jahren wenigstens als aufmerksamer Zuhörer bewährt habe; wenn nicht als ein erfolgreicher Debattenbeitrager, so wenigstens als Zuhörer.

Da habe ich immer vom Föderalismus gehört und von den vielen, die sich mit den Lippen zu diesem Föderalismus und zur Bundesstaatlichkeit bekennen. Aber im politischen Alltag ist immer wieder das eigentliche Glaubensbekenntnis, der Zentralismus, durchgebrochen: der Glaube, dass von recht straffen und gut organisierten Institutionen in Wien, in den Ministerien, eigentlich die Probleme ganz anders in den Griff zu bekommen wären und dass es eigentlich doch, ganz genau gesagt, ein bisschen ein Luxus ist, dass wir unsere Kompetenzen auf neun Bundesländer verteilen. Der Vorschlag etwa, den Tierschutz von den Ländern dem Bund zu übergeben, wo er wahrscheinlich in viel besseren Händen wäre, ist von verschiedenster Seite gekommen.

Der Föderalismus genießt also das Schicksal vieler Weltanschauungen: Man ist mit den Lippen bei ihnen, aber nicht mit dem Herzen. Das tut jemandem, der ein echter Föderalist ist, ein bisschen in der Seele weh. Wir könnten sehr wohl in unserem schönen Staat Österreich bestehen, wenn wir kein Bundesstaat wären und wenn der Gesetzgeber des Jahres 1920 in seinem Artikel 2 nicht den Bundesstaat als Staats-Grundprinzip festgelegt hätte; es ginge schon irgendwie.

Aber für unsere Bestrebungen, eine neue Friedensordnung aufzubauen, uns Europa neu zu gestalten, große Spannungen zu verhindern, große, verhängnisvolle neue Paktbildungen, um Europa zu vereinen, gibt es nur eine Lösung: eine föderale Lösung. Wenn uns dies nicht gelingen sollte, wenn Europa nicht föderal aufgebaut würde, so würde es früher oder später das Schicksal aller großen Kolosse teilen: ein tönerner Koloss zu sein, der früher oder später wieder scheitern müsste. Alle großen Reiche, die zentral regiert wurden, sind in der Geschichte gescheitert. Deshalb sind das Subsidiaritätsprinzip und der Gedanke des Föderalismus ein Überlebensprinzip Europas und mithin auch der Welt.

Der Föderalismus und die Selbstverwaltung bilden auch innerstaatlich eine enorme Säule unserer Politik und Demokratie. Denn, meine lieben Damen und Herren, wenn heute von Demokratiereform die Rede ist, dann muss man zunächst sagen: Demokratie bedeutet Mitverantwortung. Wenn Sie Tag für Tag die Medien verfolgen und lesen, dass jedermann mit Forderungen an die Politiker – wie man so sagt – herantritt, so heisst das, dass hier eine gewaltige Überforderung der Repräsentanten im Gang ist, aber das Gefühl des Mitgestalten-Müssens fehlt, denn jeder Wähler und jeder Nichtwähler, jeder Bürger, ob er will oder nicht, ist zutiefst auch ein Mitverantwortlicher. Das ist das Prinzip der Volkssouveränität, dass das Recht vom Volk, von jedem Bürger ausgeht.

Welches Prinzip als das des Föderalismus und der Selbstverwaltung wäre in höherem Maß im Stande, die Verantwortung des Bürgers mit in die Institutionen zu tragen, etwa in den Gemeinderäten, in unseren Ländern, in den Selbstverwaltungskörpern? – Man kann sicherlich beipflichten, dass so manche Selbstverwaltungsinstitution reformbedürftig ist. Aber so, wie man sich das heute vorstellt – dass man sie sozusagen wegrasiert oder alle über einen Kamm schert –, ist das bestimmt der falsche Weg, und es zeigt, wie wenig der Föderalismus und der Gedanke der Selbstverwaltung in den Herzen so vieler bekannter und namhafter Politiker verankert sind und wie ihnen so viele sehr unkritisch folgen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht erwähnen, dass so viele glauben, der Föderalismus habe etwas mit fördern zu tun, und an unsere guten Subventionen denken. Aber es bekennen sich auch viele ganz offen gegen den Föderalismus. Ein Chefredakteur einer sehr wichtigen und namhaften Tageszeitung schreibt in einer Kolumne, einem Leitartikel, ungefähr alle zwei, drei Monate, dass wir uns in Österreich, in einem so kleinen Land, den Luxus von neun Bundesländern und so vielen Gemeinden leisten. Was könnte man sich alles erspa


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