Bundesrat Stenographisches Protokoll 661. Sitzung / Seite 7

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Ich erteile nun dem Herrn Bundeskanzler zur Regierungserklärung das Wort. – Bitte.

11.15

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie mit der auf den Tag genau vor 14 Tagen neu angelobten Bundesregierung hier begrüßen. Wir haben uns ausgemacht, dass wir, weil nicht genügend Plätze vorhanden sind, turnusmäßig hier präsent sein werden.

Ich habe die schriftliche Rede, die das gesamte Programm enthält, verteilen lassen und habe darum gebeten, dass ich in einer kürzeren, verdichteten Form in freier Rede dazu Stellung nehmen darf. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich jetzt nicht alles vorlese. Ich glaube, dass das sicherlich auch im Sinne einer parlamentarischen Diskussion zweckmäßiger ist.

Österreich ist am Beginn dieses Jahrhunderts mit sehr guten Voraussetzungen angetreten und ausgestattet. Ich würde sagen: Wir haben bessere Voraussetzungen denn je zuvor. Wir haben eine ökonomische Erfolgsbilanz, und wir haben eine soziale und eine demokratische Erfolgsbilanz. Wir haben uns innerhalb der letzten Jahre sehr gut positioniert. Wir haben die Ostöffnung vor zehn Jahren hervorragend verkraftet und die seit fünf Jahren bestehende Integration in die Europäische Union zu einem Erfolg gemacht. Wir stehen daher gut gerüstet am Beginn dieses neuen Millenniums!

Dennoch – das will ich hier nicht verschweigen – ist diese Regierung unter sehr schwierigen Voraussetzungen angetreten. Einerseits haben wir im Inneren große Probleme, was das Budget und die Sicherheit der Altersvorsorge betrifft. In diesen Tagen erreichen uns beunruhigende Meldungen über ein Defizit in den Krankenkassen, das praktisch von Woche zu Woche höher wird. Noch im Dezember hieß es: Es beträgt 2 Milliarden. Für heuer sollen es plötzlich 6 Milliarden sein, und für die Jahre 2001 und 2002 werden es möglicherweise noch höhere Beträge sein. Daher ist es sehr wichtig, dass wir am Beginn dieser Regierungsarbeit einen Kassasturz machen und auch offen und ehrlich darüber informieren, wo wir stehen.

Noch viel schwieriger aber ist – darauf möchte ich zu Beginn meiner Erklärung eingehen –, dass wir bei Übernahme der Regierung und zu Beginn der Regierungsarbeit mit massivem öffentlichen Druck im Inland konfrontiert sind, aber vor allem auch durch die Maßnahmen der Vierzehn. Seit dem absehbaren Ende der Verhandlungen zwischen der Freiheitlichen Partei und der Österreichischen Volkspartei und der Aufnahme der Regierung wird im In- und Ausland so getan, als ob sich Österreich deutlich verändert hätte. Und das ist nicht wahr! Österreich war und ist ein stabiles und offenes Land, und wir werden dies immer bleiben. Daran darf überhaupt kein Zweifel bestehen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wer die internationale Presse und auch die Inhalte der Maßnahmen der 14 anderen EU-Staaten beurteilt, kommt zur Auffassung, dass Österreich ganz anders dasteht, als wir uns selbst sehen. Vielleicht haben wir uns manches auch vorgemacht, das will ich durchaus auch einräumen. Aber ich kann nicht glauben, dass wir dem Zerrbild auch nur einigermaßen entsprechen, das in manchen internationalen Medien von uns gezeichnet wird.

Ich sage hier sehr offen: Härte, Ausmaß und Geschwindigkeit der Maßnahmen und die Art des Vorgehens von 14 EU-Staaten haben Österreich schockiert. Diese Maßnahmen waren nicht gerechtfertigt. Sie sind nicht fair. Sie sind nicht in einem demokratischen Verfahren eingeleitet worden, an dem Österreich seine eigene Position selbst darstellen können hätte. Diese Maßnahmen entsprechen daher auch nicht dem Geist und dem Wortlaut der Verträge der Europäischen Union, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich halte der Kritik des Auslands und manchmal auch jener des Inlands entgegen: Alle Parteien in diesem Haus, sei es im Nationalrat, sei es hier im Bundesrat, stehen zu den Grundwerten der Demokratie!

Wir haben die schärfsten Verbotsgesetze in ganz Europa, und gäbe es einen Zweifel an der demokratischen Legitimität – man kann einzelne Parteien mögen oder nicht mögen –, gäbe es einen Zweifel an der demokratischen Grundhaltung dieser Parteien, dann wären in Österreich


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