Bundesrat Stenographisches Protokoll 667. Sitzung / Seite 46

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stellbar für uns, die wir in einem sozialen Netz aufgewachsen sind, die wir – wie ich – studieren und Urlaube machen durften, die wir alle diese Dinge erfahren haben, was es heißt, ein Leben unterernährt, gedemütigt und zur Zwangsarbeit verpflichtet führen zu müssen.

Gerade wenn wir darüber nachdenken, was jemand in der heutigen Zeit, aus einem aktuellen Anlass heraus, persönlich als Demütigung empfindet – ich weiß nicht, welche Beispiele es dafür gibt, möglicherweise eine schlechte Reihung in einer Reihungssitzung oder etwas Vergleichbares –, müssen wir das einmal in Relation dazu setzen, dass man ein Leben in Unfreiheit und in Zwangsarbeit führt – wobei man mitunter vielleicht auch noch Waffen erzeugen muss, die gegen die eigenen Landsleute gerichtet sind –, ein Leben, in dem man vielleicht nie dazu gekommen ist, mit seiner Frau, mit seinen Kindern, mit seiner Familie in irgendeiner Form Zeit zu verbringen.

Ich glaube daher, wenn wir die letzten Jahrzehnte Revue passieren lassen, dass keine der hier im Bundesrat vertretenen Parteien für sich in Anspruch nehmen kann, in der Aufarbeitung der Fragen des Nationalsozialismus immer alles richtig gemacht zu haben. Für die Republik ist es – ich glaube, das sehen wir etwa am Beispiel Deutschland nach dem Zusammenwachsen mit dem ehemaligen Ostdeutschland, nach der deutschen Wiedervereinigung – in der Demokratie natürlich die Frage der Einbindung derjenigen, die nicht zu große Schuld auf sich geladen haben. Diese Menschen wieder in den demokratischen Prozess einzubinden, stand versus dem, dass solche Maßnahmen sehr leicht missinterpretiert oder auch fehleingesetzt waren, wenn es darum ging, dass man auf die Wählerstimmen derjenigen aus einem Lager schielte, das aus dieser dunklen Vergangenheit gekommen war.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass nicht alles, was in einer Demokratie die Mehrheit hat, immer nach jedermanns Einschätzung die moralische Qualität automatisch im Siegel mitbekommt. Aber ich glaube doch, dass eine demokratische Mehrheit in einer entwickelten Demokratie wie Österreich eine sehr hohe Bedeutung hat. Eine umso höhere Bedeutung hat es, wenn es einen von den vier Parteien – und in unserer Kammer von den drei Parteien – gemeinsam getragenen Antrag gibt, der hier hoffentlich eine einstimmige Zustimmung erfahren wird.

Ich glaube, in einer Parteiendemokratie ist es logisch, dass diese auch vom Konflikt lebt. Eine Parteiendemokratie ohne Konfliktaustragung funktioniert nicht. Ich möchte daher sagen: Wenn wir derartige Festlegungen machen, mit denen wir auch als österreichisches Parlament einen Standpunkt beziehen, so kann dies individuelles Fehlverhalten in der Vergangenheit und auch in der Zukunft nicht entschuldigen. Aber ich bin doch der Ansicht, dass die offizielle Haltung, welche die Republik Österreich und das österreichische Parlament hier einzunehmen gedenken, eine sehr hohe Bedeutung hat, auch in Richtung darauf, wie wir uns als Republik Österreich nach außen hin darstellen.

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Dr. Schaumayer! Sie verfolgen offensichtlich den Gesetzwerdungsprozess bis zum Letzten mit, also tragen Sie den Beschluss vielleicht auch noch zum Herrn Bundespräsidenten hinüber. Ich glaube, es ist mit Sicherheit so, dass das offizielle Österreich – das in der Zeit des Nationalsozialismus, wie wir alle wissen, zu existieren aufgehört hatte – heute hoffentlich einstimmig einen Beschluss fasst, der, wie ich bereits gesagt habe, einen sehr wichtigen Schritt in der Aufarbeitung des Unrechts und der Verbrechen des Nationalsozialismus leisten kann. Er findet daher selbstverständlich die volle Zustimmung meiner Fraktion. (Allgemeiner Beifall.)

11.21

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile ihr das Wort.

11.21

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Endlich – 55 Jahre, nachdem die finsterste Nacht über unserem Land zu Ende ging – werden wir heute einem Gesetzesbeschluss des Nationalrates unsere Zustimmung geben, der in seiner Kurzform als Versöhnungsfonds-Gesetz bezeichnet wird.


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