Bundesrat Stenographisches Protokoll 668. Sitzung / Seite 22

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haben die Chance dieser Weiterführung einer Obsorge beider Teile – und sie wollen das auch. Wir entsprechen damit einem Wunsch der Praxis.

Das heißt nicht, dass diese Situation zu Ratlosigkeit und Konflikt führt, wenn das nicht funktioniert. Bei einem kleineren Teil ist es so, dass trotzdem der Streit entbrennt. In diesem Fall genügt es, wenn einer von beiden zum Familienrichter oder zur Familienrichterin geht und sagt: Wir streiten uns, bitte setzen Sie einen von uns als Obsorgeberechtigten ein. – Dann wird dieser eine eingesetzt, und der andere bekommt nach der neuen Rechtslage verbesserte Auskunftspflichten, Antragsrechte und Informationsrechte. (Beifall bei Bundesräten der Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das, was geschehen muss – hier folgen wir dem eindeutigen Rat des Herrn Professor Friedrich –, ist, dass eine erste Heimstätte des Kindes nach der Ehescheidung festgelegt werden muss. Wenn diese festgelegt ist, ist auch klar, wer den Unterhalt zahlt, nämlich jener, bei dem das Kind nicht wohnt.

Ich bin restlos davon überzeugt, dass diese Regelung, weil sie auch automatisch für die Mehrheit der Geschiedenen zutrifft, im Interesse der Erhaltung eines – wenn auch reduzierten – Familienlebens bestmöglich ist.

Präsident Johann Payer: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin.

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark): Sie haben uns jetzt Tatsachen gesagt, die wir zum Teil alle kennen. Es ist nichts Neues, dass sich 90 Prozent der geschiedenen Paare mit Kindern auch darüber einigen, wer die Obsorge nach der Scheidung erhalten soll. 90 Prozent der Scheidungen sind einvernehmlich, und viele dieser Paare regeln vorher, wie das mit den Kindern nach der Scheidung sein soll. (Rufe bei den Freiheitlichen: Frage!)

Es geht, so glaube ich, um diese 10 Prozent. Wir haben natürlich ärgste Befürchtungen, dass dieser Rosenkrieg, diese Streitigkeiten, die vorher geführt werden, nachher auf dem Rücken der Kinder weiter geführt werden. Ich warne davor, dass es dann wieder die Frauen sein werden, ... (Rufe bei den Freiheitlichen: Frage! Frage!)

Der Herr Bundesminister hat auch viele Sätze in seiner Beantwortung gesagt. (Bundesrat Ing. Scheuch: In der Antwort darf er ja! – Weitere Zwischenrufe.)

Präsident Johann Payer (das Glockenzeichen gebend): Frau Bundesrätin Schicker! Kommen Sie bitte zur Zusatzfrage!

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark) (fortsetzend): Herr Bundesminister! Befürchten Sie nicht, dass Frauen wieder zu Bittstellerinnen werden, wenn sie für ein Kind einen Reisepass wollen, wenn sie eine bestimmte Schule für das Kind wollen, wenn sie einen Kindergarten wollen, dass sie dann wieder in Bittpositionen zu den Männern kommen? – Das müssen wir ablehnen. Ich bitte um ehrliche Beantwortung. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Präsident Johann Payer: Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister ist am Wort!

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Frau Bundesrätin! Ich habe bisher ehrlich geantwortet und werde auch weiterhin ehrlich antworten. (Bundesrätin Schicker: Hoffentlich!) Ich sage es Ihnen nur. (Beifall bei Bundesräten der Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das Beispiel Reisepass ist gut. Denken Sie an mein Beispiel: Die Ehegatten sind geschieden, und beide wollen die Obsorge beider Teile. Dann geht entweder der geschiedene Vater oder die geschiedene Mutter zum Passamt und bestellt den Reisepass. Die Ehegatten streiten: Einer von beiden geht zu Gericht und sagt zur Familienrichterin oder zum Familienrichter: Bitte, setzen Sie einen Obsorgeberechtigten fest! – Die Richterin oder der Richter wird das tun, und damit ist bestimmt, wer alleine den Reisepass beantragt.


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