Bundesrat Stenographisches Protokoll 686. Sitzung / Seite 112

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Liberalisieren, Deregulieren, Privatisieren  – all das klingt sehr gut, ist aber ohne Abstellen auf den konkreten Einzelfall nichts anderes als virtuelle Wirtschaftspolitik. Liberale oder neoliberale Reißbrettwirtschaft ist ebenso sinnlos wie bedingungsloser staatlicher Allmachtsanspruch. Beides hat in moderner ökonomischer Praxis keinen Platz, und beides verliert diesen zunehmend sogar in der wirtschaftstheoretischen Diskussion.

Markt und Staat sind komplementäre Instrumente. Das heißt, wir brauchen sinnvolle Standortpolitik, wir brauchen auch effiziente Konjunkturpolitik. Die Maßnahmen dazu können aber nur bedingt identisch sein, schon allein auf Grund der unterschiedlichen zeitlichen Dimension.

Ich verhehle also nicht, dass einzelne Teile des vorliegenden Gesetzes standortpolitisch interessant sein könnten, aber, wie gesagt, der Anspruch einer aktiven Konjunkturbelebung wird mit dem Gesetz nicht erreicht – mit Ausnahme des Baubereiches.

Aber vielleicht hat man sich da an Abgeordneter Baumgartner-Gabitzer orientiert, die im Nationalrat meinte: "Wir wollen keine nationalen aktionistischen Programme". – Dann hätte man sich auch das vorliegende Gesetz ersparen müssen, denn es ist zumindest mir entgangen, dass dieses Gesetz eine Umsetzung von EU-Richtlinien ist.

Eine Geisteshaltung wie diese verneint nämlich grundsätzlich die Möglichkeit nationaler wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Zweifelsohne hat sich hier der Spielraum in der EU nicht erweitert, aber er ist nach wie vor vorhanden, wie kürzlich auch die Nobelpreisträger Stiglitz und Sen in Wien ausführten und letztlich auch Bundeskanzler Schüssel beim Europäischen Rat in Barcelona mit beschlossen hat.

Stiglitz etwa hat vor kurzem betont, dass eine Volkswirtschaft nur dann erfolgreich sein könne, wenn sie Arbeitsplätze für alle schaffe, da nur dann für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft die notwendige Risikobereitschaft erzielbar sei. Nur am Rande soll angeführt werden, dass der Nobelpreisträger als Grundvoraussetzung dafür ein starkes Netz sozialer Sicherheit als notwendig erachtet, das naturgemäß auch einer gewissen Abgabenquote bedarf.

Der erwähnte Europäische Rat in Barcelona wiederum hat unter anderem die Korrelation zwischen Konjunkturbelebung und Vollbeschäftigung ebenfalls festgehalten und zu Steuersenkungen bei niedrigen Einkommen ebenso aufgefordert wie zu Anreizen zur Investitionsförderung. Bereits seit längerer Zeit hat die SPÖ daher eine entsprechende Steuersenkung im Ausmaß von etwa 3 Milliarden € vorgeschlagen, zu je einem Drittel für niedrige Einkommen, mittlere Einkommen und Unternehmen.

Finanziert werden könnte dies aus der groß angekündigten Verwaltungsreform ebenso wie aus dem Verzicht auf Abfangjäger, abgesehen davon, dass eine Stärkung der Masseneinkommen das Steueraufkommen naturgemäß auf der anderen Seite wieder erhöht, und zwar um rund ein Drittel, wie wir aus der Empirie wissen.

Nachzuweisende Wachstumszuwächse bei Investitionen sollten ebenso steuerlich begünstigt, baureife Infrastrukturprojekte im Ausmaß von immerhin über 3 Milliarden € endlich in Angriff genommen werden. Hier ist die Gegenfinanzierung über das LKW-Road-Pricing ohnehin bereits längst überfällig. All dies hätte unmittelbare konjunkturelle Auswirkungen ebenso zur Folge wie eine weitere Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich.

Noch einmal zu Abgeordneten Mitterlehner: Er hat in seinem Debattenbeitrag im Nationalrat die Zukunftsperspektive der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung meiner Ansicht nach wirklich auf den Punkt gebracht und wörtlich gemeint, die Zukunftsperspektive "heißt Hoffnung". Wirtschaftspolitik, deren Credo es ist, sich auf das Prinzip Hoffnung zu konzentrieren, ist mir als Ökonomen doch etwas zu wenig. (Beifall bei der SPÖ.)

15.49

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Aburumieh. – Bitte.


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