Bundesrat Stenographisches Protokoll 687. Sitzung / Seite 60

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schleichenden Zentralisierung kommt. Denn es ist, ohne etwas unterstellen zu wollen, eine Tatsache, dass der Standort auch oft den Standpunkt bestimmt.

Weiters möchte ich eine Passage aus den Schlussfolgerungen aus dem Bericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2000 zitieren, in der sich folgende kritische Anmerkung findet:

Die Praxis, insbesondere im Zusammenhang mit der Budgeterstellung sogenannte Sammelgesetze zu erlassen, mit denen eine Vielzahl von Rechtsvorschriften abgeändert wird, ist nicht neu. ... So wurden im Budgetbegleitgesetz 2001 ... – seinem Inhaltsverzeichnis nach – 87 Gesetze geändert. ... diese Umstände führen dazu, dass die Rechtsordnung immer schwerer zu durchschauen ist, was in weiterer Folge zu einem Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Prinzip führen kann. – Zitatende.

Es ist dies eine Praxis, die, wie der Verfassungsgerichtshof auch festgestellt hat, leider schon viele Jahre besteht. Es ist aber meine tiefe Überzeugung, dass bei aller Notwendigkeit, gewisse Gesetze rasch zu ändern, längerfristig eine bessere Gesetzesqualität und eine bessere Gesetzgebungskultur anzustreben sind, mit dem Ziel, weniger, aber bessere und verständlichere Gesetze zu erlassen.

Ich habe mir erlaubt, am ersten Tag, an dem ich mich hier in diesem Hohen Haus zu Wort melden konnte – es war dies übrigens im Zusammenhang mit der Beschlussfassung ebendieses vom Verfassungsgerichtshof apostrophierten Budgetbegleitgesetzes 2001 –, kurz darauf hinzuweisen.

Gestatten Sie mir noch eine grundsätzliche Anmerkung: Rechtsstaat und Meinungsfreiheit sind für mich und wohl für uns alle Grundsäulen der liberalen Demokratie. Der Respekt und die Wertschätzung für die Unabhängigkeit der Gerichte, zumal der Höchstgerichte, müssen damit untrennbar verbunden sein. Auch wenn man manchmal mit Urteilen nicht einverstanden ist, sind die Sprüche zu respektieren. Sachliche Kritik ist selbstverständlich möglich, aber insgesamt muss der Respekt vor höchstgerichtlichen Entscheidungen zum Selbstverständnis der rechtsstaatlichen, liberalen Demokratie und offenen Gesellschaft Österreichs gehören.

Der Respekt muss so groß sein, dass man nicht der Versuchung erliegt, sie parteipolitisch instrumentalisieren oder gar vereinnahmen zu wollen. Dies gilt für alle Parteien. Urteilsschelte gab es immer wieder von allen Seiten, vor einigen Jahren – etwa 1997, 1998 – insbesondere auch von Spitzenvertretern der SPÖ.

Was haben SPÖ-Spitzenpolitiker wie der damalige Herr Bundeskanzler und der damalige Klubobmann und heutige Volksanwalt etwa im Jahr 1997 angesichts eines unliebsamen Spruchs verlangt? – Die Publikmachung der Dissenting Opinion. – Ich bin für eine offene und seriöse Diskussion über die Dissenting Opinion, aber es ist mir verdächtig, wenn die Diskussion darüber jedes Mal quasi als Disziplinierungsinstrument angesichts eines ungelegenen Spruchs aufbricht.

Wir haben heute in der Früh auch mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes darüber gesprochen. (Bundesrätin Mag. Trunk: Nein, darüber haben wir nicht gesprochen!)  – Selbstverständlich, Sie waren sogar anwesend, Frau Kollegin! Er hat dann auch noch mitgeteilt, dass am 16. Oktober 1998 eine parlamentarische Enquete stattgefunden hat (Bundesrätin Mag. Trunk: Ach so! Das schon!) und dass die große Mehrheit der Verfassungsrichter in Österreich prinzipiell für eine Diskussion über die Dissenting Opinion ist, sich im Augenblick aber damit nicht anfreunden könne. – Das war zumindest meine Erinnerung. Es ist mir aus irgendeinem Grund nach dem Gespräch vor kurzem noch das Protokoll dieser Enquete zugegangen, woraus ich schließe, dass mir der Herr Präsident dieses zumitteln hat lassen.

Abschließend noch ein Gedanke: Unsere Höchstgerichte agieren auf Basis der gültigen Magna Charta der österreichischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, der österreichischen Bundesverfassung, die wesentlich mitgeschaffen wurde von Hans Kelsen und Karl Renner.


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