Bundesrat Stenographisches Protokoll 687. Sitzung / Seite 62

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Ich denke, wenn man eine gewisse Kultur pflegen will, wenn man sich um diese Reform bemüht und diese seriös vorantreiben will, dann dürfen Reformansätze nicht tagespolitisch und nicht anlassbezogen passieren. Ich werde später noch kurz zu diesen Ansätzen und Äußerungen, insbesondere jenen der letzten Monate, Stellung beziehen.

Der zweite Punkt ist, dass von einem Kollegen ausgesprochen wurde – ich glaube, ich habe ihn doch richtig verstanden –, dass in irgendeiner Form, ohne die Infrastruktur der beiden Gerichtshöfe zu sehr ausweiten zu müssen, die Hoffnung gehegt wird, dass die Anzahl der Beschwerden geringer werden möge. Ich sage Ihnen hier als leidenschaftliche Demokratin: Ich hoffe nicht, dass die Anzahl der Beschwerden geringer wird, sondern sie soll – im Gegenteil – mehr werden. Auch die Qualität soll steigen. Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof sind sehr transparente rechtsstaatliche Einrichtungen, die dem Einzelnen und den Institutionen zu seinem beziehungsweise ihrem Recht verhelfen. In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Infrastruktur und auch mehr Beschwerden mit Konsequenz, denn letztlich bedeutet das auch eine strukturelle Verbesserung unseres demokratischen Systems. (Beifall bei der SPÖ.)

Der nächste Bereich, der für mich sehr nachvollziehbar angesprochen wurde, in der Auseinandersetzung mit einer Reform sind die Äußerungen der beiden Präsidenten dieser Gerichtshöfe, nämlich dass es in Hinkunft – es ist eigentlich schon ein Problem von heute – Probleme bei der Schaffung der neuen Behördentypen geben wird. Beide Präsidenten haben ihre Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass man angesichts dieses Problems aus heutiger Sicht nicht wissen wird, wie damit umzugehen sein wird, dass eigentlich eine Beschwerdeflut auf die Gerichtshöfe zukommen wird, der man mittels eine verbesserten Infrastruktur wird begegnen müssen.

Der dritte Punkt ist – das ist sehr nachvollziehbar und äußerst konkret – der Vorschlag des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, in Fällen von nicht ablehnbaren Beschwerden die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zu schaffen, weil dieser – und das ist auch in diesem Bericht deutlich ausformuliert – die Möglichkeit hat, in so genannte Feinprüfungen einzutreten, was dem Verfassungsgerichtshof als solchem nicht möglich ist.

Und der vierte Punkt, den Sie angesprochen haben – ich habe da einen Halbsatz von Ihnen überhört, deswegen habe ich gemeint, darüber haben wir nicht gesprochen –, betrifft die Kritikpunkte von Politikern der Sozialdemokratie. Davon war heute Vormittag nicht die Rede, sehr wohl aber von dem Problembereich Dissenting Opinion. Da wurde eindeutig von Herrn Präsidenten Adamovich festgehalten, dass die Mehrheit der Expertinnen und Experten keine andere Auffassung vertritt, sondern einhellig gegen die Möglichkeit der Dissenting Opinion ist.

Auch das ist für mich nachvollziehbar, weil es dadurch in der Erkenntnisfindung zu zwei verschiedenen Qualitäten kommen könnte, nämlich dem einhelligen Erkenntnis und der Dissenting Opinion. Bevor diese Möglichkeit der Schaffung einer Doppel-Qualität nicht ausgeräumt ist, besteht Anlass, darüber zu diskutieren. Ich bedanke mich hier beim parlamentarischen Team dafür, dass wir heute am Vormittag nicht nur einen Zettel bekommen haben, sondern das gesamte Kompendium der diesbezüglichen Parlamentarischen Enquete von 1998. Ich meine, das ist für uns Parlamentarier und alle Bundesräte ein sehr konkreter Ansatz, bevor wir uns öffentlich oder auch hier zum Problembereich Dissenting Opinion äußern.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sie erlauben mir, bezüglich Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof – zu Ersterem explizit – das Recht in Anspruch nehmen zu dürfen, das auch Kollege Hösele für sich in Anspruch genommen hat, nämlich hier klar zu erklären, dass der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof zwei Grundelemente der österreichischen Demokratie darstellen, dass Kritik – und das wird häufig verwechselt, wenn sozialdemokratische Ministerinnen und Minister zitiert werden – immer und jederzeit erlaubt und auch gefördert werden soll – auch politische Kritik. Aber wenn politische Verantwortungsträger Verfassungsgerichtshoferkenntnisse – ich zitiere nur Sätze, die ich auch über meine Lippen bringe – für null und nichtig erklären, wenn Verantwortung tragende Politiker den Verfassungsgerichtshof außer Kraft setzen wollen und sich selbst als Politiker zum obersten Richter von Recht und Ordnung ernennen wollen, dann ist das nicht nur ein Schritt zu weit, sondern das sprengt


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite