Bundesrat Stenographisches Protokoll 687. Sitzung / Seite 64

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waren sogar länger als drei Jahre anhängig. Mit Ablauf des Berichtsjahres 1999 waren es sogar noch 1 136 Verfahren.

Mit einem Erkenntnis von Ende 1999 sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgerichtshof in einer bestimmten Rechtssache die angemessene Zeit im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention überschritten habe. Eine Dreijahresdauer erachtete er dabei als absolute Grenze einer angemessenen Zeitstrecke.

Weitere "Verurteilungen" – ich setze es unter Anführungszeichen – in Strassburg sind demnach zu erwarten, um nicht zu sagen vorprogrammiert. Das von Österreich an sich zu Recht vorgebrachte Argument der angestiegenen Beschwerdezahl ließ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nämlich nicht gelten. Vielmehr, so beschied er uns, sei es Sache der Vertragsstaaten, ihr Rechtssystem auf solche Weise zu organisieren, dass die Gerichte das Recht auf Entscheidung von Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen innerhalb angemessener Zeit gewährleisten können.

Das Verwaltungsreformgesetz 2001 sieht künftig die verstärkte Heranziehung der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern als Berufungs- und Rechtskontrollbehörden in zahlreichen Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung vor. Da nun der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 33a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 unter bestimmten Voraussetzungen die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines UVS ablehnen kann, wird das wohl eine gewisse Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs bewirken.

Dennoch teile ich die Einschätzung des Berichtes vollauf, dass eine dauerhafte strukturelle Verbesserung dieser Überbelastung nur durch eine echte Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Sinne der Einführung von regional eingerichteten Verwaltungsgerichten erster Instanz erreicht werden kann.

Den zirka 4 000 Fällen, die realistisch betrachtet vom Rechtsstab des Gerichtshofes jährlich erledigt werden können, stehen derzeit zirka 9 000 noch anhängige Fälle und etwa 7 000 bis 8 000 neu anfallende Beschwerden pro Jahr gegenüber.

Geht man davon aus, dass einem einzelnen Richter als Berichterstatter pro Beschwerdefall zur Erarbeitung eines Entscheidungsentwurfs statistisch gesehen nur zwei Arbeitstage zur Verfügung stehen, so versteht sich von selbst, dass dieser Zeitdruck keine qualitativ hochstehenden Erledigungen in komplexen Materien erlaubt!

Die dringend gebotene Abhilfe besteht meines Erachtens nicht darin, den Verwaltungsgerichtshof in bestimmten Sachgebieten von der Rechtskontrolle überhaupt auszuschließen und an seiner Stelle besondere Kollegialbehörden einzurichten. Vielmehr bedarf es hierzu einer Neuordnung, die anstatt der zweiten Verwaltungsinstanz eine erste verwaltungsgerichtliche Instanz vorsieht – dies in Verbindung damit, in grundsätzlichen Rechtsfragen die Möglichkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien offen zu halten.

An der umstrittenen Ausgestaltung der Entscheidungsbefugnisse der Verwaltungsgerichte erster Instanz, ob rein kassatorisch oder auch meritorisch, darf das Reformprojekt keineswegs scheitern, ebenso wenig aber auch an den Fragen der Finanzierung, die im Rahmen des Finanzausgleichs zwischen dem Bund und den Ländern befriedigend zu regeln wären.

Hervorheben will ich nicht zuletzt die steigende Bedeutung gemeinschaftsrechtlicher Vorfragen, was die Sachen nicht einfacher und die Verfahren nicht kürzer macht. 1999 wurde in sieben Fällen die Vorlage einer solchen Frage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften beschlossen. Sechs Vorabentscheidungen dieses Gerichtshofes ergingen daraufhin im Berichtszeitraum. Im Jahr 2000 waren es fünf Vorlagebeschlüsse, zu denen bereits zwei Vorabentscheidungen gefällt wurden.


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