BundesratStenographisches Protokoll700. Sitzung / Seite 40

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sehr viele zukünftige EU-Staaten mit dem Vorgehen der Amerikaner mehr sympathi­sierten als mit der reservierten Haltung Brüssels und der meisten EU-Staaten.

Ein bisschen verstehe ich es schon, wenn sie eine Pro-NATO-Haltung haben, weil die NATO für sie wahrscheinlich mehr Sicherheit bietet, als derzeit die Europäische Ge­meinschaft an Sicherheit bieten kann. Nur müssen wir darauf hinarbeiten und auf diese neuen Staaten dahin gehend einwirken, dass sie doch die europäische Loyalität höher halten als jene transatlantische Loyalität, die nicht unbedingt immer mit der euro­päischen zusammenfallen muss.

Herr Professor Konecny hat hier von einem historischen Moment gesprochen. Das ist es zweifellos, auch wenn ich einige einschränkende Bemerkungen dazu gemacht ha­be. Und er meinte auch, dass mit den Bürgern der Nachbarstaaten eine neue Basis ge­funden werden muss und gefunden werden wird. Ich bin überzeugt, eine solche ist in den meisten Fällen schon vorhanden. Nicht die Bürger sind das Problem, sondern die Rechtsordnung in der Tschechischen Republik und in Slowenien ist für manche von uns, insbesondere für mich und meine Parteifreunde, ein Problem.

Das muss sich ändern! Hier muss einiges getan werden. Es genügt nicht, dass die „Frostperiode“ bei den Nachbarn aufgearbeitet wird, so wie sie in Österreich in den letz­ten 50 Jahren aufgearbeitet wurde. Diese „Frostperiode“ – auch ein Zitat von Pro­fessor Konecny – hat es tatsächlich gegeben, sie hat vieles verhindert, und vielleicht wäre man ohne diese schon weiter. Aber wir müssen darauf dringen, dass diese „Frostperiode“ von einer „Tauwetterperiode“ in der geschichtlichen Betrachtung und bezüglich rechtlicher Übergriffe, die erfolgt sind, abgelöst wird.

Professor Böhm hat die Beneš-Dekrete deutlich genannt, und er hat auch die AVNOJ-Bestimmungen genannt. Slowenien geht dieses Thema sehr zaghaft, um nicht zu sa­gen, zu zaghaft an. Aber wenn wir weit zurückschauen: Die Beneš-Dekrete sind sicher­lich ein Moment in der Geschichte des Zusammenlebens der Völker, und die Völker sind einmal Täter, einmal Opfer. Man kann sich nicht immer nur in der eigenen Täter­rolle suhlen. Ich halte das für bald nicht mehr tragbar, wie wir uns in der Täterrolle suhlen, denn wir sind auch Opfer gewesen. Und das ist in der mehrere Jahrhunderte währenden Geschichte für jedes Volk, für jeden Staat ähnlich gewesen.

Ich habe ein Zitat aus dem Jahr 1908 aus diesem Haus im Kopf, wo ein tschechischer Abgeordneter – da unterschied man ja noch zwischen Tschechen und Deutschen, die hier in diesem Haus tätig waren, und den anderen acht oder neun Volksgruppen, die vertreten waren – gesagt hat: Kauft nicht bei Deutschen, kauft nicht bei deutschen Juden! – Also, die Auseinandersetzungen zwischen dem deutschen und dem tschechi­schen Volk in diesem mitteleuropäischen Bereich gehen nicht auf die Jahre 1938 bis 1945 zurück, sondern es ist ein viel länger zurückgehender Zustand, den man wirklich, wie Professor Konecny gemeint hat, mit den Bürgern diskutierend auf eine neue Basis stellen muss.

Ich hoffe, das wird gelingen – und es wird gelingen! Ich bin überzeugt, dass das gelin­gen wird.

Frau Kollegin Hlavac bezeichnete sich als „überzeugte Europäerin“. Ich versichere Ich­nen, liebe Kollegin, Sie sind kein Einzelfall. Das sind wir alle, nur mit verschieden aus­gedrückter Gewichtung: der eine mehr nach Brüssel tendierend, der andere mehr das historische Mitteleuropa sehend.

Ich bekenne mich mehr zum historischen Mitteleuropa, in dem Wien eine wesentliche Hauptstadt war, und hoffe, dass es uns mit dieser Osterweiterung gelingen wird – auch wenn ich ihr aus schon genannten Gründen nicht mit überschäumender Begeisterung


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