Bundesrat Stenographisches Protokoll 702. Sitzung / Seite 166

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Der Verfassungsgerichtshof macht in seinem Bericht 2002 darauf aufmerksam, dass er nicht zuletzt auf Grund von Anträgen eines Drittels der Abgeordneten zum Nationalrat und von Anträgen von Landesregierungen – gemeint ist wohl speziell die Wiener – in den Berichtsjahren im Gesetzesprüfungsverfahren arbeitsmäßig stärker belastet war als in den Jahren davor.

Wieso ist das so? – Weil die Opposition im Nationalrat und auch im Bundesrat wie­derum über mehr als ein Drittel der Abgeordneten verfügt, was im Zeitraum 1987 bis 2000 nicht der Fall war, mit Ausnahme des Zeitraumes November 1994 bis Jänner 1996. Es gibt also deshalb mehr Gesetzesprüfungsverfahren, weil ein Drittel der Ab­geord­neten des Nationalrates dies möglich macht und es vice versa keine Zweidrittel-Regierungsmehrheit gibt, die die Unkultur fortsetzen kann, umstrittene Bestimmungen in den Verfassungsrang zu erheben – ich nenne das sattsam bekannte Beispiel im Kon­nex mit den Wienern Taxlern –, die aber auch wesentlich dazu beigetragen haben, dass das österreichische Verfassungsrecht derart unübersichtlich ist, dass es nunmehr im Konvent einer Revision unterzogen wird.

Wie ist das nun mit den Gesetzesprüfungsanträgen? – Einige der Gesetzesprüfungs­anträge wurden eingestellt und abgewiesen, einigen wurde stattgegeben. Es ist also nicht so, dass jede seitens der Opposition behauptete Verfassungswidrigkeit auch eine tatsächliche war. Ich denke nur an die Pensionsreform 2000 mit der Einführung des Frühpensionsalters von 61 ½ Jahren oder an das ORF-Gesetz. Beide wurden seitens des Verfassungsgerichtshofes als verfassungsmäßig anerkannt.

Der Bericht des Verfassungsgerichtshofes 2001 enthält eine Feststellung, die ich in diesem Zusammenhang zitierend unterstreichen möchte:

„Unterschiedliche Auffassungen zu schwierigen Rechtsfragen wird es immer geben. Umso bedeutender ist die Rolle des Verfassungsgerichtshofes als letztlich ent­schei­dendes Organ.“

Das ist, glaube ich, allgemein festzuhalten, und dazu ist auch ein klares Bekenntnis ab­zulegen. Rechtsstaat und Meinungsfreiheit sind wohl für uns alle Grundsäulen der liberalen Demokratie. Der Respekt vor und die Wertschätzung für die Unabhängigkeit der Gerichte, zumal der Höchstgerichte, müssen damit untrennbar verbunden sein. Auch wenn man manchmal mit Urteilen nicht einverstanden ist, sind die Sprüche zu respektieren. Sachliche Kritik ist möglich, aber insgesamt muss der Respekt vor den Entscheidungen selbstverständlich sein.

Immer wieder hat es, wenn Verfassungsgerichtsurteile nicht so ausgefallen sind, wie man es seitens gewisser politischer Gruppierungen gerne gehabt hätte, die Über­legungen gegeben, dass man die dissenting opinion diskutieren sollte, was aus der Sicht des derzeitigen Verfassungsgerichtshofpräsidenten und insgesamt aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes der letzten Jahre nicht der österreichischen Rechtskultur ent­spricht, obwohl es durchaus andere Beispiele in anderen Staaten gibt.

Ich darf auf eine interessante Diplomarbeit einer jungen steirischen Magistra, Elisabeth Zankel, aus dem heurigen Frühjahr unter dem Titel „Sondervoten am Beispiel des Öster­reichischen Verfassungsgerichtshofes – des US-Supreme Courts und des Verfas­sungsgerichtshofes von Bosnien und Herzegowina“ hinweisen und auch auf ein inter­essantes Gespräch, das ich heuer im Frühjahr mit dem Präsidenten des italienischen Verfassungsgerichtshofes, Dr. Chieppa, führen durfte, der sich, so wie mehrere anwesende Verfassungsrichter, ganz eindeutig gegen diese dissenting opinion aus­gesprochen hat, weil er auch der Meinung war, dass dies zu parteipolitischen Instru­mentalisierungen führen könnte.

 


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