Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 22

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Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, diese Union zu teilen in Gruppen unter­schiedlicher, zweier oder mehrerer Geschwindigkeiten. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, ein Kerneuropa zu schaffen, auch wenn ich es für richtig halte, dass sich unser Land aus dem Kern, in dem es ist, nicht verdrängen lassen sollte. Aber das euro­päische Projekt wird dadurch nicht besser, dass man es multipliziert. Das europäische Projekt lässt sich dadurch nicht besser realisieren, denn nichts von den Problemen, die in der Regierungskonferenz eine zentrale Rolle gespielt haben, lässt sich in einem Kerneuropa anders und besser lösen.

Wenn wir heute Gäste aus jenen neuen Mitgliedstaaten in unserem Haus haben werden, die Nachbarn sind, dann sollten wir, glaube ich, auch sehr deutlich aus­sprechen, dass uns weder Blockbildungen innerhalb der EU noch egoistisches Fest­halten an Einzelinteressen, aber auch nicht Illusionen über den Charakter des euro­päischen Projekts weiterhelfen. Wir sollten ihnen – und sie haben das ja bemerkt – sehr deutlich sagen, was das für eine Union ist, in die sie kommen: nicht die Union der Sonntagsreden, sondern die Union der täglichen und manchmal schmerzhaften Praxis, die wir nicht zu verklären haben.

Je realistischer wir das europäische Projekt sehen, je weniger wir hineingeheimnissen, umso mehr können wir den politischen Inhalt auch tatsächlich realisieren. Das war das Geheimnis des Konvents, der auch seine Kompromisse geschlossen hat und der auch seine Differenzen gehabt hat – und in dem im Übrigen auch Vertreter jener Re­gierungen gesessen sind, die das Ergebnis jetzt in die Luft gesprengt haben. Das sollte nachdenklich machen.

In diesem Konvent waren im Wesentlichen – zwei Drittel – Parlamentarier, Parla­men­tarier der nationalen Ebene und der europäischen Ebene. Sie haben ein Ergebnis zu­stande gebracht – die Regierungschefs nicht. Sollte uns das nicht zu denken geben, dass das im Bereich des Parlamentarismus, wo scharf miteinander gerungen und gestritten wird, aber dennoch klar ist, dass am Ende kein Veto steht, sondern ein Beschluss, der so oder so aussieht – und in einem guten Parlamentarismus auch ein Beschluss, der Kompromisse beinhaltet –, vielleicht die tauglichere Methode ist, zu europäischen Einigungen zu kommen?

Die Europäische Union ist mit Sicherheit mit 25 Mitgliedern nicht leichter geworden als mit 15, aber sie darf sich nicht in dieser Menge auflösen. Das Konzept eines recht­lichen, verrechtlichten, Menschenrechte, Rechtssicherheit umfassenden Raums, das Konzept eines Friedensprojekts, das Konzept der Solidarität zwischen jenen, die auf Grund einer ganz bestimmten ökonomischen und historischen Entwicklung mehr ha­ben, die teilen mit denen, die noch aufholen müssen, all das muss in die größere EU uneingeschränkt eingehen. Wir müssen es lernen – ich sage bewusst: wir müssen es lernen; das ist für die österreichische Innenpolitik genauso eine Aufgabe wie für jede andere der weiteren 24 Innenpolitiken –, einander nicht dauernd des Verrats an Öster­reichs Interessen zu verdächtigen, sondern zuerst einmal darüber nachzudenken, was auch dem gemeinsamen Ganzen der EU dient. Und da mag es sein, dass ein kleiner symbolischer Erfolg in Rot-Weiß-Rot weniger bringt als ein großer materieller Erfolg in goldbesterntem Blau.

Das ist, glaube ich, keine Kritik – darum ging es heute nicht –, sondern eine Einladung, eine Politik zu formulieren, die hier eine Balance hält, nachdem die Politik der grenzen­losen Interessenvertretung – man kann auch sagen: des grenzenlosen Egoismus – am vergangenen Sonntag zunächst einmal gescheitert ist.

Die Freude darüber, dass es zehn neue Mitglieder gibt, die ernsthafte Diskussion, wie unser Land mit den natürlich vorhandenen Konsequenzen dieser Erweiterung zu Rande kommt, das alles soll damit nicht weggeredet werden, aber es ist eben nicht nur


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