Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 23

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

ein Festtag, es ist auch ein Tag der Reflexion. Und ich lade Sie ein, an dieser Reflexion teilzunehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

9.39

 


Präsident Hans Ager: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Böhm. Ich erteile ihm dieses.

 


9.39

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Sehr verehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Wenn das Hohe Haus heute die Verträge mit den Beitrittsländern ratifiziert, so hätte das im Hin­blick auf die größte Erweiterungsrunde der Europäischen Union seit den Gründungs­verträgen tatsächlich ein historischer Tag sein können. Ich sage bewusst: Es hätte so sein können.

Zum einen hat die Europäische Union nach meiner Überzeugung nicht das Nötige und Gebotene getan, ihr institutionelles Gefüge auf die Erweiterung ausreichend vorzu­berei­ten und auszurichten, um die effektive Handlungsfähigkeit der erweiterten Ge­meinschaft sicherzustellen. Der Beweis dafür ist die Krise nach dem Scheitern des jüngsten Europäischen Rates von Brüssel und die Nichteinigung auf die vom Ver­fassungskonvent der Europäischen Union ausgearbeitete neue EU-Verfassung.

Allein der Umstand, dass daraufhin erneut das Konzept eines Kerneuropas – unter der Dominanz von Frankreich und Deutschland – beziehungsweise das Europa der zwei Geschwindigkeiten wieder einmal auftauchte, macht mehr als deutlich, dass sowohl die Erweiterung als auch die Vertiefung der Union nicht zugleich realisierbar sind.

Zum anderen aber belastet auch der Umstand, dass nicht alle Erweiterungsländer den­selben Stand erreicht haben und dass einige von ihnen bis heute nicht alle Auf­nahmekriterien erfüllt haben, die Weiterentwicklung der Europäischen Union.

Wenn meine Fraktion heute dennoch mehrheitlich der Ratifikation zustimmen wird – das darf ich vorweg ankündigen –, so hat sie sich dazu im Bewusstsein unserer Verantwortung für die definitive Überwindung der Zweiteilung Europas durch den Zwei­ten Weltkrieg und in seinem Gefolge bewusst durchgerungen. Wir sehen sowohl die Chancen als auch die Risken, die die Erweiterung mit sich bringen wird.

Zu ihrem im Ergebnis positiven Votum führt meine Kollegen auch die Überlegung, dass es gewiss nicht angeht, insgesamt gegen die Aufnahme sämtlicher Beitrittsländer zu stimmen, und das allein deshalb, weil wir mit einzelnen von ihnen Probleme und mit einem einzigen große Probleme haben.

So sehr ich selbst diese Erwägungen teile und daher die Grundhaltung meiner Fraktion voll billige, bedarf es aus unserer Sicht zugleich eines politischen Zeichens, dass wir es nicht akzeptieren können, wenn vornehmlich in einem Beitrittsstaat historisches Un­recht unter klarer Verletzung der Menschenrechte bis heute nachwirkt. Daher werde ich in meiner Funktion als Fraktionssprecher der Volksgruppen und der Heimat­vertriebenen den Beitritt dieses Staates und daher zwangsläufig der Ratifikation des Gesamtvertrages nicht zustimmen können.

Bekanntlich war es eine der zentralen Aufnahmebedingungen, dass jeder Beitritts­kan­didat die so genannten Kopenhagener Kriterien erfüllt, mit denen die europäischen Wert­vorstellungen konkretisiert worden sind. Zu ihnen zählt vorrangig die Wahrung und Gewährleistung der Menschenrechte im Sinne der Europäischen Menschenrechts­kon­vention und jetzt auch der EU-Grundrechtecharta. Eben diesem Kriterium wird die Tschechische Republik nicht gerecht – zumindest gilt das für das Vertreibungsdekret, das Zwangsarbeiterdekret und das Konfiskationsdekret im Rahmen der so genannten


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite