Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 26

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Demokratien stabilisiert hat, müssen wir sagen, es kommen nun junge Demokratien – wahrlich junge Demokratien! – in das gemeinsame Haus Europa. Und gerade dieses gemeinsame Haus bietet ihnen auch die große Chance, die Demokratien zu stabi­lisieren.

Deshalb wäre es gefährlich, die Europäische Union nur als eine Wirtschaftsunion zu sehen – sie ist eine politische, eine kulturelle, aber auch eine soziale Union. Und dieser große Wurf, diese große Erweiterung ist nicht ganz ohne Raffinesse und Pikanterie an rechtlichen Fragen, wenn wir nur einmal die Zypernfrage hernehmen – Zypern, immer­hin ein geteiltes Land, das hier aufgenommen wird, wobei ein Teil derzeit eine Patt­stellung hat, ob mit oder dagegen.

Eine für mich ganz spannende Frage ist auch – sie wird zeigen, ob wir die Geschichte in negativer Weise umkehren oder ob uns hier eine ganz große Handreichung auch mit Russland gelingt – die Enklave Kaliningrad, ein Korridor. Wird es nun Korridore durch die Europäische Union geben, wie wir sie durch die DDR nach Westberlin hinein hatten? Oder werden wir da vielleicht zu anderen Modellen für die Zukunft kommen? Oder wird Russland gemeinsam mit der EU die Chance ergreifen, Shanghai als Modell für Kaliningrad heranzuziehen, hier die Beziehungen zwischen der EU und Russland zu vertiefen? Denn die Enklave Kaliningrad ist dann, meine Damen und Herren – für die, die die Landkarte nicht ganz genau im Kopf haben –, zur Gänze von der EU umschlossen und hat keine Anbindung mehr zum Mutterland.

All das sind spannende Dinge; genauso spannend, Herr Kollege Böhm, wie die Beneš-Dekrete. Ich hoffe, dass man in einem gemeinsamen Haus, in einem gemeinsamen Parlament dann in einer anderen Art und Weise miteinander diskutieren kann als am Anfang eines Beitrittsprozesses, wenn die Forderungen von außen an ein Land herangebracht werden.

Für mich genauso spannend wie die Frage der Sudetendeutschen oder der Beneš-Dekrete ist die Frage der Sinti und Roma, deren rechtliche Absicherung und Situation auf den Staatsgebieten von Ungarn, Slowakei und Tschechien. Aber all das sind Fra­gen, die man in einem gemeinsamen Haus, in einer parlamentarischen Gemein­schaft anders diskutiert, als wenn man sie in einem Prozess ständig von außen an ein Land heranträgt.

Insofern haben wir keine Ressentiments gegenüber einem Land, das nun beitritt. Wir finden es als einen großartigen Schritt, dass etwa das Baltikum beitritt. Mit dem Balti­kum kommt vielleicht auch eine Frühform der Europäischen Gemeinschaft wieder dazu. Der uralte Verbund der Hansestädte – Riga gehörte auch dazu – war wohl ein Beispiel dafür, schon vor Hunderten von Jahren, wie eine Europäische Union aus­schauen könnte, nämlich gleichberechtigt. Es war egal, wie reich und wie groß eine Hansestadt war, sie alle waren gleichberechtigt und hatten die gleichen Stimmrechte. Insofern ist das ein spannender Prozess.

Es ist ein ebenso spannender Prozess, ob wir es schaffen werden, die Grenze, die Teilung Zyperns in einem relativ raschen Schritt zu überwinden.

Meine Damen und Herren! Herr Professor Konecny ist auf den gescheiterten Gipfel eingegangen. Meine Meinung ist: Das Scheitern ist keine europäische Tragödie!

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Es ist mir lieber, der Gipfel ist gescheitert, als ein Ministerpräsident Berlusconi, über dessen demokratische Qualitäten ganz Europa nachdenkt, hätte einen großartigen Sieg auf der diplomatischen Bühne erreicht.

Ich vertraue den Iren und auch den nach ihnen kommenden Niederländern, dass sie das ordentlich, anständig und sauber im Dialog mit den Ländern, mit Spanien, mit Polen, klären werden, aber auch mit jenen, die etwas anderes Scheitern haben lassen,


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