Bundesrat Stenographisches Protokoll 714. Sitzung / Seite 65

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dass der mangels Beweise freigesprochene Beschuldigte oder Angeklagte dann keinen Anspruch auf Entschädigung hatte, wenn er im Zivilverfahren den Tatverdacht, der zur Anklageerhebung geführt hatte, nicht voll entkräften konnte.

Der Europäische Gerichtshof sah darin eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Gewiss bedeutete diese ursprünglich primär allein Folgendes: Vor Rechtskraft eines allfälligen Schuldspruchs durch ein Strafgericht dürfen dem strafgerichtlich Verfolgten inner- wie auch außerprozessual keine nachteiligen Rechtsfolgen auferlegt werden, die erst durch eine rechtskräftige Verurteilung gerechtfertigt sind. Insbesondere ist damit auch die „in dubio pro reo“-Regel, also im Zweifel ist freizusprechen, garantiert, ob man in ihr nun eine Beweiswürdigungs- oder eine Beweislastregel erkennen mag.

Zudem wurde auch seit jeher die Verbürgung des Anklagegrundsatzes und in Ver­bindung damit die Beweislast des öffentlichen Anklägers für den Nachweis der strafbaren Handlung gesehen. Mit anderen Worten: Es ist nicht der Beschuldigte dazu verhalten, sich vom Vorwurf der Straftat freizubeweisen. Eben darauf lief es jedoch im auf die Entschädigung gerichteten Folgeverfahren hinaus, obläge es dem im Straf­verfahren freigesprochenen Angeklagten, dann noch nachträglich im Zivilverfahren den Tatverdacht entkräften zu müssen. Das umso mehr, als ja das österreichische Strafprozessrecht keine Freisprüche von unterschiedlicher Qualität kennt, das heißt solche „bloß“ – unter Anführungszeichen – mangels an Beweisen und solche wegen erwiesener Unschuld. Folglich gilt ein – und sei es auch nur im Zweifel – freige­sprochener Beschuldigter nicht als beschwert und kann daher auch kein Rechtsmittel erheben, um einen solchen Freispruch zu erreichen, der seine volle Unschuld feststellt. So gesehen wäre es dann zweifellos eine unsachliche Differenzierung, daran je nach der normativ ja unerheblichen Begründung des strafgerichtlichen Freispruchs unter­schiedliche zivilrechtliche Konsequenzen zu knüpfen.

Eine der für uns ja an sich ohnehin verbindlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs widersprechende Beweislastverteilung, nämlich eine Beweislast des Freigesprochenen für die volle Entkräftung des strafrechtlichen Verdachts, hätte diesen in der Praxis auch in der Regel überfordert – und so war es auch – und hat ihn damit vielfach um seinen Anspruch gebracht.

Freilich darf man rechtspolitisch auch nicht ins andere Extrem verfallen: Nicht jede spätere Einstellung des Strafverfahrens, bei vorerst überzeugender Beweislage, erdrückender Beweislage, Vorliegen schwer wiegender Haftgründe oder gar eines Eigenverschuldens des Verdächtigen an seiner Strafverfolgung durch zunächst unrich­tige Angaben, zum Beispiel um den wahren Täter zu decken, rechtfertigt unbedingt eine Entschädigung. Eine differenzierende Ermessensklausel soll diesen unter­schied­lich zu bewertenden Konstellationen des Einzelfalls angemessen Rechnung tragen.

Von vielleicht eher akademischer Bedeutung, aber dennoch nicht ganz uninteressant scheint mir die dogmatische Einordnung dieser Entschädigungsregelung zu sein. In Abgrenzung von unter Umständen konkurrierenden Amtshaftungsansprüchen, die ja stets ein Verschulden des für den Rechtsträger in Vollziehung der Gesetze handelnden Staatsorgans voraussetzen, liegt hier ein Anwendungsfall der verschuldens­unabhän­gigen so genannten Eingriffshaftung vor.

Eine ganz wesentliche Verbesserung der Rechtsposition der geschädigten Person ist auch darin zu sehen, dass ihr künftig nicht nur der Vermögensschaden, sondern erstmals auch ein Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, also auf eine Art Schmerzensgeld, zum Ausgleich der Verletzung ihres Grundrechtes auf persönliche Freiheit eingeräumt wird.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht – auch darauf wurde ja schon hingewiesen – wird dem Geschädigten zugleich die Rechtsverfolgung erheblich erleichtert. Er kann bei


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