Bundesrat Stenographisches Protokoll 715. Sitzung / Seite 179

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öffentliche Versorgungsleistungen, auch wenn sie formell im Staatsbesitz bleiben, fak­tisch privatisiert. Es ist zweifelsfrei richtig, dass in manchen Postämtern – ob die Zah­len jetzt stimmen, das wird vom Ressort zu überprüfen sein – betriebswirtschaftlich ein Defizit eintritt.

Die Frage ist, ob dieses betriebswirtschaftliche Defizit nicht vielleicht so viel gesell­schaftlichen Nutzen stiftet, dass es – in welcher Form auch immer – abzudecken ist, auch durch andere Konstruktionen. Mir ist nämlich ein Aspekt in der Debatte ein biss­chen zu wenig beleuchtet worden, dass natürlich – und das gilt für die Nahversorgung, das gilt für das Angebot an Restaurants, an Postämtern und an Gendarmerieposten – für den gehobenen Durchschnittsbürger, der sich halt in sein Auto setzt und zur Gendarmerie, zur Post oder zum Supermarkt fährt, alles irgendwie bewältigbar ist – mit Schwierigkeiten, aber bewältigbar.

Es gibt aber in diesem ländlichen Raum eine gar nicht so kleine Bevölkerungsgruppe, die über kein eigenes Fahrzeug verfügt oder es aus Altersgründen nicht mehr fahren kann, die bisher auf eine Postbusversorgung angewiesen war, die es nicht mehr gibt oder demnächst nicht mehr geben wird, um Dienststellen oder Angebote zu erreichen, die im Ort nicht mehr vorhanden sind.

Diese soziale Komponente, dass grosso modo ein Fünftel der Bevölkerung des länd­lichen Raumes zumindest Probleme hat, auch bessere, aber außerhalb des Ortskerns liegende Angebote wahrzunehmen, können wir nicht mit einer Handbewegung weg­wischen. Das ist ein schweres strukturelles Problem, und das müssen wir vorrangig adressieren.

Ich sage – gar nicht in polemischer Absicht, aber es wird sicher einen Aufschrei ge­ben –: Jene, die sich über Jahrzehnte hinweg als die Anwälte des ländlichen Raumes angesehen und präsentiert haben, haben diesen Problemen zu wenig Aufmerksamkeit zugewendet. Sie haben mit ein paar Protestresolutionen oder auch nur mit Grummeln das Ausdünnen der Ortskerne zur Kenntnis genommen ohne gegenzusteuern, und ich sage sehr offen: Ich verstehe die Aufregung der ÖVP. Es ist tatsächlich an der Zeit, dass das Machtmonopol der ÖVP im ländlichen Raum, das dem ländlichen Raum nicht gut getan hat, herausgefordert wird. (Bundesrat Bieringer: Ha, ha, ha!)

Ich weiß nicht, ob wir erfolgreich sind, aber wir wollen es ernsthaft, mit Nachdruck und aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Menschen dort zumindest probieren. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Ich füge hinzu, dass es ein ganz zentrales Element eines Landes sein muss, dass es so etwas wie Solidarität gibt. (Bundesrat Ing. Kampl: Wie in Kärnten!) – Auch in Kärn­ten, aber wenn Sie es mir gestatten, ich sage es als Wiener: Ich habe mich auch deshalb zu Wort gemeldet – und es ist nicht die erste Debatte dieser Art, in der ich das tue –, weil ich in einem Raum lebe – im 8. Bezirk, dreimal ums Eck von hier –, wo na­türlich die Versorgung mit was auch immer eine noch immer hervorragende ist. Sollte – ich habe keine Ahnung, wie die Ertragslage dieser Filiale ist – die Post, die ich in eineinhalb Minuten erreiche, gesperrt werden, so ist die, die ich in elf Minuten zu Fuß erreiche – und wenn ich älter sein werde, werde ich auch nur 20 Minuten brauchen –, immer noch bedürfnisgerecht.

Aber gerade deshalb sage ich: Wenn wir die grundlegende Forderung, dass es an­nähernd gleiche Lebenschancen in allen Teilen unseres Landes geben soll, ernst nehmen, dann haben wir zu fordern, dass die Menschen aus dem städtischen Raum – und auch aus dem Kärntner städtischen Raum – (Bundesrat Ing. Kampl: Bevorzugt!) zu einer massiven Solidarität mit dem ländlichen Raum verpflichtet sind. Das gilt in vielfacher Hinsicht, und ich bitte, unser Engagement auch so zu verstehen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Wolfinger: ... Finanzausgleich!)

 


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