und wir sehen heute, dass das nicht nur für den ostmitteleuropäischen Raum, sondern für Europa für einen Verlust bedeutet.
Es ist jedoch ganz klar, dass viele solche Konfliktsituationen zwar nicht die unmittelbare Ursache sind – es sind nicht Tschetschenen, die nach London gereist sind, um dort zu bomben, es waren keine Palästinenser –, aber die Folie, vor der diese individuellen Entscheidungen getroffen werden, ist mitgeprägt von Konflikten, die in nachvollziehbarer Art und Weise von islamischen Völkern so verstanden werden, dass sie unterdrückt, an den Rand gedrängt, benachteiligt, von der Weltöffentlichkeit nicht wahrgenommen werden. Das ist nicht das Motiv, aber es ist die Folie, vor der Motive sich entwickeln können und vor der Motive auch ganz gezielt wachgerüttelt werden können: eben von jenen, die das bewusst und gezielt betreiben.
Es ist klar, dass die Frage, wie offen eine Gesellschaft gegenüber diesen Bürgern ist, eine entscheidende ist. Eine Gruppe, die am Rande der Gesellschaft lebt, die tagtäglich Ausgrenzung, Benachteiligung erlebt, wird wenig Motivation haben, sich dem Wertesystem einer Gesellschaft anzunähern, zu deren Werten es offenbar gehört, sie selbst schlecht zu behandeln. Da gibt es in den konkreten Fällen genügend Berührungspunkte, denen nachzuforschen ist.
Natürlich ist auch klar – mein Freund Omar al-Rawi hat in der Öffentlichkeit mit Recht darauf hingewiesen –, dass es in diesem Milieu Menschen gibt, die das gezielt wach halten und, wo es nicht vorhanden ist, begründen wollen und die eine Möglichkeit haben, auf junge, vielleicht auch instabile Menschen mit persönlichen Enttäuschungen Einfluss zu nehmen. Dort hört naturgemäß jene Toleranz auf, zu der wir uns nachhaltig bekennen. Es kann nicht sein, dass eine Gesellschaft, die offen und demokratisch ist – ich sage aber dazu, das gilt nicht nur für den Islam oder sonst eine Gruppe dieser Richtung –, zulässt, dass die Hass-Predigten, welcher Art auch immer – nationalistisch, religiös oder vergangenheitsbewältigend – gewissermaßen unter Schutz fallen. Nein, das ausdrücklich nicht!
Es ist eine gemeinsame Bedrohung. Darauf wurde mit Recht in beiden Erklärungen hingewiesen: Sie betrifft europäische Länder, sie betrifft jedes Land der Europäischen Union – und trotz der gesellschaftlichen Einbettung vieler der Attentäter gibt es natürlich jede Menge Vernetzungen. Auch die Täter in London haben ja ganz offensichtlich ihre grenzüberschreitenden Erfahrungen gemacht. Manche waren offensichtlich in Schulen, andere auch in Ausbildungslagern. Da gibt es also schon etwas, was grenzüberschreitend stattfindet. Die Frage, wo der Sprengstoff herkommt, ist für mich öffentlich auch noch nicht beantwortet.
Daher ist es notwendig, dass es eine sehr vielschichtige Zusammenarbeit gibt: eine Zusammenarbeit – und das ist mir wichtig, zu betonen – auf politischer Ebene, wo es darum geht, jene Konflikte, die die Folie bilden, aufzuarbeiten; eine Zusammenarbeit auch im Erfahrungsaustausch darüber, wie Integration funktioniert, aber letztlich natürlich auch die Zusammenarbeit dort, wo es um polizeiliche und geheimdienstliche Arbeit geht, wo Möglichkeiten, die auch die Technik bietet, gezielt genutzt werden.
Es hat mich sehr beeindruckt, dass das auch von englischer Seite so klar ausgesprochen wird: Natürlich ist es eindrucksvoll, wenn es auf Grund moderner Überwachungssysteme wenige Tage nach einem solchen Anschlag möglich ist, die Täter zu identifizieren. Aber man muss genauso ehrlich dazusagen, dass dieser gewaltige Überwachungsaufwand nichts dazu beitragen konnte, diese Anschläge zu verhindern. Rucksack ist Rucksack. Was drinnen ist, sieht die Fernsehkamera und jedes andere Überwachungssystem auch nicht, wenn man nicht an den U-Bahn-Eingängen ähnliche Kontrollen wie auf Flughäfen durchführen will. Das muss uns klar sein.
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