Bundesrat Stenographisches Protokoll 730. Sitzung / Seite 95

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Ich möchte aber hier doch die Möglichkeit nutzen und auch unmittelbar in Richtung der Frau Ministerin ein paar kritische Anmerkungen, wenn auch konstruktive Anmerkungen zu diesem Schulpaket 2 hinzufügen.

In Österreich ist man nach den Ergebnissen der PISA-Studie 2003 mit Recht unzufrie­den und beunruhigt. Der Reformbedarf am Schulsystem ist, so glaube ich, für alle unübersehbar. Zu lange haben die zuständigen Bildungspolitiker hier keine oder zu­mindest nur geringe Reformbereitschaft gezeigt.

Mithilfe der, wie wir wissen, notwendigen Zweidrittelmehrheit für den Parlaments­beschluss von Schulgesetzen hat man jahrzehntelang notwendige Maßnahmen zur Modernisierung unseres Schulwesens verhindert – Modernisierungen, die ja in den siebziger Jahren bereits mit den Schulversuchen zur Integrierten Gesamtschule, aber auch zu einer Neugestaltung der AHS-Oberstufe gute und durchaus zukunftsweisende Ansätze gezeigt haben.

Das Schulpaket 2, das Frau Ministerin Gehrer abgeschickt hat, wäre wieder eine große Chance gewesen, einen mutigen Schritt in eine gute Zukunft zu machen. Aber es wurde letztendlich wieder nur ein Paket von Halbherzigkeiten, ergänzt durch durchaus bejahenswerte, aber doch nur Selbstverständlichkeiten, geschnürt. Hubert Patterer, jetzt Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ hat zum Beispiel geschrieben: Ein verkruste­tes Schulsystem erfährt eine Oberflächenpolitur – mehr ist wieder nicht.

Dabei kommen mit enormer Geschwindigkeit und Dramatik die Konsequenzen eines gesellschaftlichen Entwicklungs- und Modernisierungsschubes auf die Schule zu. Ich nenne nur ein paar wenige: Kindheit und Jugend unserer Schüler und Schülerinnen haben sich zum Beispiel auf Grund von neuen Familienkonstellationen grundlegend geändert, so auch die weit reichende Mediatisierung ihrer Alltagserfahrungen. Viele er­leben die Kindheit nicht aus erster Hand so wie wir. Kinder werden heute von oft leicht überforderten Eltern sehr früh in das Wertevakuum der Freiheit entlassen und auch immer früher in Kinderbetreuungseinrichtungen ausgelagert – unter welchen Umstän­den auch immer, weil Mütter, die allein stehend sind und in die Arbeit müssen, eben davon Gebrauch machen müssen. Und all dies stellt die Schule als Ersatzinstitution für die Sozialisation vor pädagogische Aufgaben und Probleme, die mit dem traditionellen Rollenverständnis von Schule und Unterricht schwer zu lösen sein werden.

Oder: Der technologisch-strukturelle Wandel der Arbeitswelt erschwert heute zum Bei­spiel eindeutige Prognosen über künftig notwendige Qualifikationen. Spezialwissen wird schnell obsolet. Etwa 80 Prozent der Technologie, mit der ein heute Sechsjähriger umgehen wird, wenn er 18 ist, sind noch nicht entwickelt. Das heißt, neben einem fes­ten Wissensschatz sind vor allem so genannte Schlüsselqualifikationen, dynamische Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung: Teamfähigkeit – wir kennen das –, eigen­verantwortliches Lernen, selbständiges Arbeiten, vernetztes Denken, selbst gesteuer­tes Lernen. Das sind die künftigen Techniken und Kompetenzen, mit denen unsere Schüler ausgestattet werden müssen.

Drittens noch ein kleiner Punkt, der heute schon diskutiert wurde: Auch die Mobilität der Menschen ist eine weitere signifikante Eigenschaft der modernen Welt. Von den sozialen Folgen der Mobilität und der politischen Integration ist die Schule essentiell berührt, nämlich durch die Notwendigkeit der Integration des Fremden und des Ein­übens und Vorlebens sozial verträglicher und verantwortlicher Formen, mit dem Frem­den umzugehen.

Alle hier aufgezählten und weitere gesellschaftliche Anforderungen an die Schule erfor­dern konsequenterweise auch Änderungen in der Schulstruktur. Das Lernen wird an­spruchsvoller, wir brauchen neue Lehr- und Lernmethoden. Dieses neue Lernen und Lehren – noch einmal – ist anspruchsvoller und benötigt andere Lerngelegenheiten


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