Bundesrat Stenographisches Protokoll 732. Sitzung / Seite 9

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsidentin Sissy Roth-Halvax: Einen schönen guten Morgen! Ich eröffne die 732. Sitzung des Bundesrates und möchte zu Beginn mit einigen Worten Mag. Leopold Gratz gedenken. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

09.02.20Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens des Präsidenten des Nationalrates i.R. Mag. Leopold Gratz

 


09.02.36

Präsidentin Sissy Roth-Halvax: Wenn heute offiziell von Leopold Gratz Abschied genommen wird, dann geziemt es sich, dass dies eigens auch der Bundesrat tut.

Leopold Gratz gehörte von Oktober 1963 bis März 1966 dem Bundesrat an, nachdem er vorher – es sei nicht unerwähnt – Ersatzmann von Frau Dr. Hertha Firnberg war, mit der er am Beginn der siebziger Jahre nebeneinander Ministerverantwortung übernom­men hatte: Frau Dr. Firnberg für die Universitäten und Mag. Gratz für Unterricht.

Wie Leopold Gratz selbst betonte, ist er durch die Berufung in den Bundesrat in das öf­fentliche Leben Österreichs eingetreten. Der Mitgliedschaft des Bundesrates folgte von 1986 bis 1989 sowie von 1971 bis 1973 die im Nationalrat, dessen SPÖ-Klubobmann er von 1971 bis 1973 und dessen Präsident er von 1986 bis 1989 war. Als Unterrichts­minister wirkte er von 1970 bis 1971 und als Außenminister von 1984 bis 1986. In der Zeit von 1973 bis 1984 war er Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien.

Wo und als was immer Leopold Gratz tätig war, stets bekannte er seine Verbundenheit zu Föderalismus und Parlamentarismus, besonders auch in seinem Beitrag als Natio­nalratspräsident in der Enquete des Bundesrates zu diesem Thema am 4. Mai 1988, als er unter anderem auf die „inhaltlich hochstehenden Debatten im Bundesrat“ ver­wies.

Es sei auch auf seinen bedeutenden Beitrag damals als Landeshauptmann und Bür­germeister von Wien zum 6. Österreichischen Juristentag 1976 in Innsbruck verwiesen, wo er genau wie später bei der zitierten Bundesrats-Enquete 1988 ein Programm zur Reform des Föderalismus entfaltete und unter anderem sagte, dass der Föderalismus in Österreich sich „in der Realität eigentlich seit seiner Entstehung in der Defensive be­findet“.

Nicht unerwähnt seien auch seine mit Christian Broda 1969 veröffentlichten Vorschläge für den Ausbau unserer parlamentarischen Einrichtungen.

Im Hinblick auf die derzeitigen Initiativen um eine Verfassungsreform sind die Gedan­ken von Leopold Gratz auch heute von unmittelbarer Aktualität, etwa über die Kompe­tenzverteilung, das Subsidiaritätsprinzip, den Finanzausgleich und die Gewaltenteilung.

Vor allem in diesem Halbjahr besonderer Verantwortung unseres Landes für die neue Ordnung des integrierten Europas sei besonders darauf verwiesen, was Leopold Gratz bei der erwähnten Bundesrats-Enquete im Mai 1988 zu Europa feststellte. Ich zitiere wörtlich:

„Gerade im Zeitalter einer immer engeren Verflechtung der Staaten Europas, im Zeit­alter der Schaffung von immer mehr supranationalen Behörden gilt es, einerseits zu zeigen, daß diese Einheit Europas eine Einheit in der Vielfalt ist und daß es nicht unser Ziel ist, den statistischen Durchschnittseuropäer oder Einheitseuropäer zu schaffen. Es ist vielleicht kein Zufall, daß gerade in diesem Jahrzehnt der immer stärkeren Verflech-


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite