BundesratStenographisches Protokoll739. Sitzung / Seite 75

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vom Nahen Osten bis nach Afghanistan gehen, dann haben wir einen zweiten riesigen Konfliktbereich. Das ist all das, was wir die Kaukasusregion nennen, wo es derzeit einen unglaublichen Interessenaufmarsch gibt. Einerseits ist dort ökonomisch die Tür­kei ein wichtiger Partner. Andererseits kommt das Gotteswort mit enorm viel Geld in diese Region, nämlich durch den Iran, und zum Dritten ist derzeit Russland auf dem Weg, ganze Staaten einzukaufen und aufzukaufen.

Gleichzeitig wird eine Politik durch die Amerikaner angezettelt, Pipelines durch Aser­baidschan zu verlegen, um noch dazu die Russen besonders in Rage zu bringen. Durch diese gesamte Region geht ein Großteil unserer Energiereserven, und hier spielt die Türkei eine maßgebliche wirtschaftliche und ordnungspolitische Rolle.

Das aber wird verkannt, und Europa betreibt der Türkei gegenüber beinahe eine Politik der Verhöhnung. Seit langer Zeit macht es der Türkei Hoffungen und auch der Bevöl­kerung dort Hoffungen und erzwingt dadurch tatsächlich auch Reformen – dafür brau­chen wir uns jetzt aber alle nicht zu beweihräuchern. Dass die Türkei große Reform­schritte setzen muss, ist klar. Letztlich verhandeln wir auf der einen Seite ein bisschen, auf der anderen Seite sagen wir im Herzen aber ohnehin, dass das schiefgehen wird und wir da irgendwie rausmüssen, aber irgendjemand hat das der Türkei versprochen, sie ist ein NATO-Land und so weiter und so fort.

Ich denke, dass wir damit eine historische, eine wirklich historische Chance auch im Sinne der Zusammenführung von Religionen vertun. Dass es möglich ist, innerhalb der Europäischen Union mit einem überwiegend islamischen Staat eine gemeinsame Zu­kunft zu bauen, das halte ich für eminent wichtig. Dass diese Form von Verhandlungen und auch diese Form der österreichischen Außenpolitik gegenüber der Türkei gelinde gesagt eine unfreundliche ist, möchte ich hier noch einmal festhalten. Das kommt auch in den Zeilen des Vorworts zu diesem Bericht eindeutig zum Ausdruck.

Was die EU-Verfassung betrifft, so ist Kollege Konecny bereits darauf eingegangen: Es ist natürlich schon besonders bitter, wenn ausgerechnet zwei Gründungsstaaten der EU, und erlauben Sie mir, dass ich hier diesen Unterschied zwischen nachkommenden Mitgliedstaaten und Gründungsstaaten mache, weil die Gründungsstaaten noch vor dem Hintergrund der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und geprägt durch das Spe­zialverhältnis der deutsch-französischen Geschichte von einem besonderen Willen zu einem gemeinsamen Europa getragen waren, dass also ausgerechnet zwei Grün­dungsstaaten nein gesagt haben. Das fällt in den Berichtszeitraum dieses Berichts und verhält sich auch anders, als das in diesem Bericht zu lesen ist.

Ich befürchte wirklich, dass die EU-Verfassung, so wie wir sie hier beschlossen haben, im Grunde gestorben ist. Ich sage hier laut und deutlich: Wenn wir sie in die Verantwor­tung der Staats- und Regierungschefs zurückgeben, dann ist sie erst recht gestorben, denn eine Verfassung kann nie von den Fürsten von oben dekretiert werden – das sind nämlich die Staats- und Regierungschefs, und so gebärden sie sich auch in diesen Fragen –, sondern sie kann nur von unten kommen. Und deshalb war der Konvent der­maßen wichtig, und deshalb darf diese Chance nicht vorübergehen. Es ist schade, dass das Zepter jetzt wieder bei den Staats- und Regierungschefs ist. Wenn es dort bleibt, dann werden wir noch lange auf eine Verfassung warten. Wir haben damals hier mit ganz großer Mehrheit dieser Verfassung zugestimmt, und dies ihre Schwächen wohl erkennend, aber sie war immerhin ein Fundament, auf dem ein Haus errichtet werden kann.

Kollege Konecny hat es ebenfalls angeschnitten: Man kann nicht die erste Zusammen­kunft des Bundesrates nach der Wahl, nach bestimmten Ereignissen und zu einem außenpolitischen Thema verstreichen lassen und die Frage der Entwicklung im so ge­nannten – ich betone das wirklich: im so genannten – Visaskandal nicht ansprechen.


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