BundesratStenographisches Protokoll743. Sitzung / Seite 69

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

geben, wohin Europa sich entwickeln soll. Es stellt sich vor allem die Frage nach der Identität Europas, und ich bin auch dankbar für den Redebeitrag des Kollegen Kritzin­ger, der auf die Geschichte und auf die Tradition des Kontinents hingewiesen hat, weil das auch ein Bestandteil dieser europäischen Identität ist, auf der wir sicherlich auf­bauen können.

Was ist die Seele Europas? Warum ist eigentlich die Begeisterung der Gründergenera­tion verflogen, die mit großem Engagement an die Arbeit gegangen ist? – In der heuti­gen Ausgabe der „Wiener Zeitung“, glaube ich, ist das Ergebnis einer Umfrage gestan­den: Nur noch 7 Prozent halten etwas vom friedenserhaltenden Wert der Europäischen Union. Das muss uns schon zu denken geben: Wir sagen immer, das ist das Friedens­projekt schlechthin, und dann sagen nur noch 7 Prozent, dass das wichtig ist! Da ist einiges an Begeisterung, an Leidenschaft für Europa verloren gegangen, wenn wir uns das Ergebnis dieser Umfrage vor Augen führen. Deshalb sind, glaube ich, wieder ein neuer Anlauf und eine neue Orientierung in der europäischen Entwicklung erforderlich.

Was erwarten eigentlich die Menschen von Europa? – Ich glaube, wohl doch, dass es imstande ist, im Zeitalter der Globalisierung und der Internationalisierung materielle Existenz und Wohlstand für alle Schichten der Bevölkerung zu sichern. Das ist meiner Meinung nach die Hauptaufgabe, und in dieser Entwicklung trägt gerade auch das Ressort für Wirtschaft und Arbeit eine enorme Verantwortung. Ich glaube, es ist auch wichtig, Lebenssinn zu stiften und ein Lebensgefühl zu vermitteln, auf der Grundlage der Menschenrechte und klarer Werthaltungen eben die Welt und Europa partner­schaftlich, menschlich und friedlich zu gestalten. Ich glaube, das ist ein ganz wesent­licher Aspekt, wenn wir eine Perspektive Europas in die Zukunft legen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Einigkeit unter den 27 Mitgliedern der Europäischen Union jetzt, nachdem die zwei neuen Oststaaten zu Europa gekommen sind, immer schwieriger werden wird. Ich glaube, dass es in Zu­kunft in diese Richtung gehen wird, dass es einen verdichteten Kern einer weiterge­henden politischen Vertiefung durch einige Mitglieder geben wird und dass wir mit dieser Perspektive auch leben müssen. Einer der Grundwerte Europas ist meiner Mei­nung nach die Individualität, das heißt: freie Entscheidungen in eigener Verantwortung! Darin könnte eine Lösung dieses vermeintlichen Konfliktes zu finden sein, die einen Weg aus einer gewissen Sackgasse aufzeigt, in die wir auch durch die Ablehnung der europäischen Verfassung durch zwei Gründerstaaten der Europäischen Union gelangt sind. Die beiden Staaten, die dieses Europa eigentlich vor 50 Jahren mit gegründet haben, haben der Verfassung eine Absage erteilt. Daher muss es einen Weg heraus geben.

Ich glaube, ein Weg wäre folgender. Da die 27 keine einheitliche Meinung finden oder finden können, sollte niemand gezwungen werden, einen Weg zu beschreiten, aber auch niemand daran gehindert werden, dies doch zu tun. „Niemanden zwingen, aber auch niemanden behindern!“, das könnte die Devise für eine Weiterentwicklung des europäischen Weges sein. Es wäre möglich, das Konzept einer Wirtschaftsgemein­schaft zu verfolgen, samt angestrebter Perfektion, und allenfalls auch weiteren Mitglie­dern zugleich den Zutritt zu ermöglichen.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Das sind nur einige Gedanken, die mir kommen, wenn wir zum 50. Geburtstag der Europäischen Union Überlegungen anstel­len. Ich glaube, dass mehr denn je ein gewisser Mut notwendig ist, mehr Mut statt Kleinmut, der uns alle, glaube ich, in diesen Jahren etwas umfangen hat, aber auch Fortschritt, mehr Zeit für Visionen, Überzeugungsarbeit und ein geschlossenes und entschlossenes Handeln.

 


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite