BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 72

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Selbstverständlich gibt es in diesem Vertrag eine ganze Reihe von Dingen, die mir nicht gefallen, die Ihnen, Herr Bundesrat Kampl, nicht gefallen, und die wahrscheinlich dem Herrn Bundesrat Schennach nicht gefallen, und allen anderen auch nicht, aber dieser Vertrag ist nach einem ausführlichen Diskussionsprozess, einer breiten Diskus­sion in Europa, einschließlich der Zivilgesellschaft, einschließlich der nationalen Parla­mente, einschließlich der Experten und einschließlich der Politiker, das Beste, was wir heute bekommen können, und er bringt uns in sehr vielen Punkten weiter. Und das ist es doch wert, dass wir daher diesem Vertrag auch mit Freude zustimmen.

Ich möchte mich, so wie meine Kollegin, schon sehr herzlich dafür bedanken – ich darf das wohl hoffen –, dass dieser Vertrag auch im Bundesrat die Zustimmung finden wird.

Auf einige Punkte möchte ich noch eingehen. Herr Bundesrat Schennach hat die Voll­beschäftigung erwähnt. (Bundesrat Schennach: Von Vollbeschäftigung habe ich nicht gesprochen!) Sie haben auf die Arbeitslosigkeit hingewiesen. Das eine hängt mit dem anderen doch irgendwo zusammen. (Bundesrat Schennach: Wenn Sie es positiv brin­gen wollen, bitte!) – Ja.

Ich möchte doch auf eine neue Bestimmung hinweisen, die übrigens, wenn ich mich recht erinnere, im Verfassungsvertrag noch nicht in dieser Form enthalten war, die jetzt aber im Vertrag von Lissabon enthalten ist, nämlich der Artikel 2 Abs. 3, wo es heißt: „Die Union errichtet einen Binnenmarkt.“ – Na gut, das ist nichts Neues.

Aber: „Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines aus­gewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wett­bewerbsfähige soziale Marktwirtschaft,“ – es ist das zum ersten Mal, dass die soziale Marktwirtschaft auch vertraglich verankert wird – „die auf Vollbeschäftigung und sozia­len Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin.“

Jetzt möchte ich die Kritiker des Vertrages fragen: Ist das nicht ein wirklicher Fortschritt in Europa, wenn wir auch auf europäischer Ebene nunmehr die soziale Marktwirtschaft, den Umweltschutz, die Vollbeschäftigung als Vertragsziele verankert haben? Wir alle wissen, dass im Vertrag verankerte Ziele auch vom Europäischen Gerichtshof entspre­chend konkret umgesetzt werden.

Auf das Mehr an Demokratie wurde bereits mehrfach hingewiesen. Ich kann mich da­her hier ganz kurz fassen. Ich möchte aber doch auf die Europäische Grundrechte­charta zu sprechen kommen.

In der Diskussion im Nationalrat wurde von Bundeskanzler, Vizekanzler und Außenmi­nisterin darauf hingewiesen, dass nunmehr Grundrechte, neue Grundrechte und auch die alten Grundrechte, im Vertrag selbst verankert werden, und da hat es ein bisschen einen Hohn dafür gegeben. Es ist gefragt worden: Wozu brauchen wir neue Grund­rechte? Wir haben seit 1867 das Staatsgrundgesetz, und wir haben die Europäische Menschenrechtskonvention. Alles richtig, aber, bitte, bedenken wir den Mehrwert der Grundrechtecharta.

Erstens: Zum ersten Mal überhaupt sind nunmehr auch die Organe der Europäischen Union an diese Grundrechte gebunden. Das ist nämlich bisher nicht der Fall. Und wenn Sie heute als Unternehmer von der Kommission zu einer hohen Geldstrafe verdonnert werden, dann haben Sie es bis jetzt schwer gehabt, vor ein Gericht zu gehen und zu sagen, das war kein faires Verfahren. In Hinkunft werden auch die Organe der Euro­päischen Union daran gebunden sein, sich an diese Grundrechte zu halten.

Zweitens: Es werden in dieser Grundrechtecharta doch einige neue programmatische, wirtschaftliche und soziale Rechte enthalten sein, die, davon können wir ausgehen, auch vom Europäischen Gerichtshof in weiterer Folge ausgeformt werden.

 


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