BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 74

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Mal stehen in einem Grundrechtskatalog die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Menschen gleichberechtigt neben den klassischen Freiheitsrechten. Diese Rechte kön­nen vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingeklagt werden. Über die ein­klagbaren Grundrechte hinaus enthält die Charta aber auch eine Vielzahl von Staats­zielen, vom Schutz der Kinder bis zum Recht auf ein würdevolles Leben im Alter.

Die Grundrechtscharta ist die Seele des neuen Europavertrages; in ihr sind die Werte und Ziele für die Bewahrung und Modernisierung des europäischen Sozialmodells nie­dergelegt.

Mit dem Lissabon-Vertrag werden die Bürgerinnen und Bürger erstmals direkt auf die Gestaltung der Politik in Brüssel einwirken können. Durch das europäische Bürgerbe­gehren wird ein Instrument der direkten Demokratie in die Europapolitik eingeführt: So­bald mehr als eine Million europäischer Bürger durch ihre Unterschrift ein politisches Anliegen unterstützt, muss die Europäische Kommission dieses in die politische Tages­ordnung aufnehmen.

Das europäische Bürgerbegehren wird sich als ein Bindeglied für die Menschen von Polen bis Portugal erweisen und es wird vor allem ein Europa von unten ermöglichen! Die EU ist damit fortschrittlicher als so mancher ihrer Mitgliedstaaten, in dem es keine Elemente der direkten Demokratie gibt.

Mit dem neuen Europavertrag bekommen die Bürgerinnen und Bürger zum ersten Mal entscheidenden Einfluss auf die Wahl des Regierungschefs der EU, den Präsidenten der Europäischen Kommission, der auch Chef der europäischen Exekutive ist. Dieser wird in Zukunft vom Europäischen Parlament gewählt, wobei das Ergebnis der Europa­wahl berücksichtigt werden muss.

Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 bekommen damit eine neue Bedeutung: Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden letztlich, in welche politische Richtung sich die Europäische Union weiterentwickeln soll.

Wichtig und notwendig ist es jetzt, dass die europäischen Parteien vor den Europa­wahlen geeignete Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten für das Amt des Kom­missionspräsidenten oder der Kommissionspräsidentin aufstellen. Die Bürgerinnen und Bürger können dadurch zum ersten Mal zwischen verschiedenen Personen und somit auch zwischen verschiedenen konkreten Programmen für die fünfjährige Legislaturpe­riode wählen. Die Europäische Union wird damit bürgernäher und auch transparenter.

Die von den Unionsbürgern gewählten Parlamente in der EU gehören ebenfalls zu den Gewinnern des neuen Europa-Vertrages, darauf wurde schon hingewiesen. Die Ar­beitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie. Die nationalen Parla­mente bekommen mehr Verantwortung und Mitwirkungsmöglichkeiten; einige meiner Vorredner haben diese Frage bereits ganz besonders unterstrichen.

Die Parlamente können jetzt die „gelbe Karte“ zeigen: Wenn ein Drittel der nationalen Parlamente einen Verstoß gegen das Prinzip der Subsidiarität feststellt, ist die Kom­mission aufgefordert, den Vorschlag zu überdenken, muss ihn aber nicht zwangsläufig verändern.

Die Parlamente können aber auch eine „orange Karte“ zeigen: Wenn die Hälfte der na­tionalen Parlamente Einspruch erhebt, muss die Kommission begründen, warum sie keinen neuen Vorschlag vorlegt. In diesem Fall kann die Gesetzesinitiative der Kom­mission mit 55 Prozent der Stimmen im Ministerrat oder mit einfacher Mehrheit im Europäischen Parlament abgelehnt werden.

Und es gibt auch die „rote Karte“: Neben dem Einspruch im Rahmen des Frühwarnsys­tems haben die nationalen Parlamente auch die Möglichkeit, über ihre Regierungen vor


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