12.34.54

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Präsident, auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön für die gute Zusam­menarbeit im letzten halben Jahr. Danke schön!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Minister und Ministerinnen! Auch ich gratuliere natürlich zur Angelobung. Alles Gute und viel Glück in den kommenden Jahren!

Ja, die eisblaue Koalition – rechtzeitig zum Winterbeginn wird es sozial kälter in Österreich. Auf die sozialpolitischen Leuchttürme wie den 1 500-Euro-Familienbonus, den alle bekommen, nur nicht die, die es wirklich brauchen, und die Vorhaben im Asylbereich, die Integration unmöglich machen, werden meine KollegInnen noch später eingehen, und auch auf die bildungspolitische Retropolitik.

Ich möchte auf die grünen Kernthemen eingehen: auf Umweltschutz, Klimaschutz, Naturschutz, Nachhaltigkeit und die Energiebereiche. Zuerst möchte ich mit dem Posi­tiven anfangen. Eine langjährige Forderung der Grünen ist umgesetzt: Die Energie­agenden liegen jetzt im Nachhaltigkeitsministerium, gemeinsam mit den Bereichen Umwelt und Landwirtschaft. Wir wollten immer Umwelt und Energie zusammengefasst haben, herausgelöst aus dem Wirtschaftsministerium.

Darüber freue ich mich sehr. Es ist zwar immer noch nicht ein wirkliches Klima-, Energie- und Umweltministerium, vor allem deswegen, weil viel von der Klimakom­petenz nicht im Programm steht. Es gibt Dinge, die fallen im Regierungsprogramm, wenn man sie sich anschaut, sofort auf. Es gibt zum Beispiel kein Kapitel Klimaschutz, was einfach auch zeigt, dass der Klimaschutz in diesem Programm keinen hohen Stellenwert hat. Klimaschutz muss aber Top-Priorität aller Politikfelder sein, und das sehe ich überhaupt nicht.

Es gibt noch etwas, was einem sofort, vor allem im gesamten Umweltbereich, auffällt: Es gibt nirgends messbare Ziele. Es gibt keine konkreten Maßnahmen, keine klaren Richtungen, keine zeitlichen Ziele. Woran wir diese Koalition am Ende messen sollen, ist für mich also einfach nicht ersichtlich. Das meiste hört sich für Laien ja super an. Man findet viele Schlagworte, die auch Grünen gefallen.

Im Umweltkapitel stehen Bekenntnisse zum Paris Agreement, und es stehen Schlagworte drinnen wie: Klimaschutz konsequent vorantreiben, und: Chance für die Wirtschaft. Das hört sich gut an, ist aber zu wenig definiert. Zum Beispiel: Die Ziele für 2020 und 2030 sind nicht im Einklang mit dem Klimavertrag von Paris. Es ist nur eine Fortschreibung des bisherigen Ziels und bedeutet null Einsparung, sondern das Stabilisieren der CO2-Emissionen auf dem Niveau von 1990. Und dass Österreich Klimaschlusslicht ist, ist ja eh bekannt.

Es stehen Dinge drinnen wie Kohleausstieg. Das klingt super, aber in Österreich gibt es nur genau zwei Kohlekraftwerke: eines ist eh schon dabei, stillgelegt zu werden, und der Betrieb des anderen läuft auch in ein paar Jahren aus. Wenn man also den Kohleausstieg wirklich will – in Österreich wie EU-weit –, dann schreibt man CO2-Preis in das Programm. Davon ist aber weit und breit nichts zu lesen.

Im Energiekapitel stehen einige gute Dinge drinnen wie die Umsetzung der Reform der Ökostromförderung, für die wir Grüne uns auch immer stark eingesetzt haben, aber auch da gibt es wieder ganz wunderschöne Schlagworte: die Klima- und Energie­strategie. – Ja, super! Die Klima- und Energiestrategie steht natürlich drinnen, die ist ja auch schon seit zwei Jahren überfällig, und sie muss sowieso gemacht und nach Brüssel geschickt werden. Wenn das Thema wirklich wichtig genommen wird, ist da eine umfassende Dekarbonisierungsstrategie notwendig. Wenn Klimaschutz wirklich wichtig genommen wird, dann schreibt man wirksame Maßnahmen in das Programm hinein wie mehr Geld für Heizungstausch, thermische Sanierung, Ölheizungsausstieg sofort – und nicht nur mittelfristiger Umstieg bei Neubau.

Wenn es wirklich ernst genommen wird, sieht man im Verkehrsbereich keine Aufhe­bung der Lkw-Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Nacht vor, sondern man setzt sich für die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene und für ein Ende des Diesel­privilegs ein und nicht für die Beibehaltung der derzeit viel zu günstigen Lkw-Maut oder für eine Aufhebung der bisher streng geregelten Achsenlast, und man gibt kein Bekenntnis zur Weiterentwicklung des Autobahnbaus ab. All das als Teil einer öko­sozialen Steuerreform wäre ein Superinhalt für das Programm gewesen.

Es werden die nächsten Jahre entscheiden, ob wir die Klimakrise in den Griff bekom­men können oder nicht. Es wird sich in den nächsten Jahren für Österreich entschei­den, ob unsere Wirtschaft am dynamischsten Markt weltweit, am Markt der Energie­wende, vorne mit dabei ist oder nicht. Dieses Fortschreiben des Klimastillstandes ist total gefährlich, und es ist ein Schuss ins eigene Knie, weil wir dadurch irrsinnig viele Chancen verpassen werden.

Im Landwirtschaftsprogramm geht es genauso wenig greifbar weiter, ohne konkrete Zielsetzungen – mit Ausnahme des Ceta-Umfallers der FPÖ; der ist wirklich ganz konkret drinnen.

Es gibt keinen ambitionierten Bioplan, stattdessen steht da: „Wir sprechen uns für eine vernünftige Koexistenz von konventioneller und biologischer Landwirtschaft im Sinne der unternehmerischen Freiheit aus.“ Bio kommt im kompletten Kapitel nicht mehr vor; also es ist schon extrem wenig ambitioniert.

In der „Kronen Zeitung“ ist letzte Woche noch ganz groß über das Glyphosatverbot im Regierungsprogramm geschrieben worden. Ich habe mich auch irrsinnig über diesen Schwenk gefreut, drinnen steht jetzt etwas über eine nationale Machbarkeitsstudie und einen Aktionsplan ohne Zeitplan, ohne genau vorgegebenes Ziel. Also da haben sich die Bundesländer in den letzten Wochen wirklich mehr getraut.

Auch in diesem Bereich gibt es wieder ganz viele Widersprüche. Es gibt ein nationales Bekenntnis zur Ernährungs- und Versorgungssicherheit, 100 Prozent Selbstversorgung als Ziel, gleichzeitig aber ein Forcieren der Exportstrategie. Das ist ein totaler Wider­spruch. Gleichzeitig laufen aber auch jetzt schon wieder Verhandlungen zu Freihan­delsabkommen mit Mercosur und Australien und Neuseeland. Mercosur, also die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft, wird die österreichische Landwirtschaft total unter Druck setzen. Was gedenkt die Regierung, da konkret zu tun? – Da sind extreme Widersprüche in den Programmen enthalten.

Ein weiteres Schlagwort mit vielen Widersprüchen betrifft die „Verbesserung der Kenn­zeichnung von Lebensmitteln (Herkunft und Produktionsstandards)“. All die Initiativen zur Kennzeichnung wurden bisher von der ÖVP versenkt, weil die ÖVP eben ausschließlich das AMA-Gütesiegel draufhaben möchte.

Ich sehe im Landwirtschaftsprogramm keine Vision für die Zukunft. Ich sehe keine Ökologisierung, es steht hier nichts zu Pestiziden, zu gentechnikfreien Futtermitteln, es gibt keine Vision für eine treffsichere und zielgerichtete Gemeinsame Agrarpolitik. Weiter so wie bisher – das ist die Devise, die wir da herauslesen. Stattdessen werden strukturstarke Regionen wie Klosterneuburg im Speckgürtel von Wien durch die Ansiedelung des Umweltbundesamtes gestärkt.

Die wirklichen Hämmer in diesem Programm sind echt gut in anderen Kapiteln ver­steckt, man muss schon sehr gut querlesen und sich nicht nur auf die Kapitel be­schrän­ken, die man sich gerade anschauen will. Im Umweltkapitel ist die Beschleuni­gung von UVP-Verfahren ganz neutral formuliert, da hängt es noch ein bisschen von der Umsetzung ab, das kann man noch nicht so genau sagen. Es steht überall drinnen: Klimaschutz vorantreiben, Bekenntnis zum Klimaschutzvertrag, Klimaschutz als Chance für die Wirtschaft. Wenn man im Kapitel Standort weiterliest, liest sich das schon wieder ganz, ganz anders. Das ist ein totaler Angriff auf die Umwelt.

Wir Grünen sind auch für effizientere Verfahren, aber bei den Maßnahmen, die hier angeführt werden – Verfahrensbeschleunigungen im Umweltbereich und die Über­arbeitung der Gesetze hinsichtlich des Begriffs öffentliches Interesse –, wird wirtschaft­lichen Interessen künftig eindeutig immer der Vorrang eingeräumt, und die Umwelt wird das Nachsehen haben.

Die Vorhaben richten sich gegen die Umwelt, gegen die AnrainerInnen. Ich bin froh, dass diese Woche gerade das EuGH-Urteil zur Aarhus-Konvention gekommen ist und dass die Umwelt jetzt eine gewichtigere Stimme durch die Parteistellung von Umwelt-NGOs kriegen muss. Es steht auch nichts im Standortkapitel darüber, in welche Infrastruktur wirklich investiert wird und in welche nicht, aber es müssen jetzt die Weichen gestellt werden, um die Ziele des Klimavertrags 2050 erreichen zu können, sonst schaffen wir das nicht.

Was dafür wieder drinnen steht – und da bin ich wieder bei den Widersprüchen –, ist ein Bekenntnis zur 3. Piste  am Flughafen Schwechat – und das, nachdem überall die wunderbaren Klimabekenntnisse drinnen stehen und sich jeder, der sich nicht auskennt, denkt: Wow, es gibt eine integrierte Klima- und Energiestrategie!

Apropos verstecken in anderen Kapiteln: In der Einleitung zum Energieprogramm steht ein besonderes Schmankerl. Da, wo es niemand bemerkt, steht der Ausbau von Agrodiesel drinnen, dass unsere Äcker verstärkt für Dieselgewinnung genutzt werden sollen. Vom Ökologischen einmal ganz abgesehen, spießt sich das auch wieder mit der Versorgungssicherheit. Da sind also ebenfalls extreme Widersprüche drinnen.

Ich kann nicht erkennen, dass umwelt- und klimapolitisch irgendwelche Weichen gestellt werden sollen. Es geht weiter wie bisher. Es ist ein So-tun-als-Ob; und wo es konkreter wird, hat man kontraproduktive Maßnahmen im Umweltbereich vor. Die Wirtschaft wird unserer Lebensgrundlage vorgezogen.

Wir werden die Arbeit der Regierung sehr genau beobachten. Wo es nur geht, werden wir uns für die Umwelt und für den Klimaschutz einsetzen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

12.44

Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Monika Mühlwerth. – Bitte.