11.42.29

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich möchte zu Beginn unseren Kollegen Dr. Kräuter entschuldigen, der wegen Krankheit das Bett hüten muss. Wir wünschen ihm von hier aus, dass er bald genesen sei, wir werden aber zusammen mit der Mitarbeiterin aus dem Büro von Dr. Kräuter die Fragen oder Anregungen, die eventuell noch ausstehen, beantworten beziehungsweise allenfalls für Details und Anfragen auch schriftliche Beantwortungen anbieten.

Lassen Sie mich thematisch bei Frau Präsidentin Ledl-Rossmann beginnen, die als Rednerin das Pflegethema und die Sorgen und die Missstände, die auch die Volksan­waltschaft zutage gefördert und kritisiert hat, thematisiert hat.

Es ist natürlich so, dass, wenn wir diskriminierende, benachteiligende, menschen­rechts­verletzende Situationen feststellen und darüber Berichte verfassen, sich auch das Personal angesprochen fühlt. Es geht nicht darum, das handelnde Personal zu kritisieren – oder im Wesentlichen nicht das Personal –, sondern oft betrifft das Struk­turfragen, die Frage der Unterbesetzung, die Frage der nicht ausreichenden Ausstat­tung der Einrichtung.

Größe ist auch ein Thema: Kleiner ist immer besser als größer, daher obliegt es, wenn neue Einrichtungen erbaut, eingerichtet werden sollen oder an eine Erweiterung gedacht ist, vielleicht auch Ihrer Beobachtung in den Bundesländern, auf die Größen­problematik und die damit verbundene Anonymität, das Unterschlupf-finden-Können unter Verhältnissen, die lange nicht aufgedeckt werden, und so weiter, zu schauen. Alles das ist ganz, ganz wichtig. – So war das offenbar auch in dem einen Heim in Nie­derösterreich.

Wenn es aber zu einer persönlichen Verfehlung und dann auch zu einem strafrechtlich relevanten persönlichen Handeln kommt, dann muss zum Schutz der anderen Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter ganz rasch eingegriffen und entschieden werden, sonst legt sich sozusagen ein Mantel des Verdachts über alle. Das muss zum Schutz der 99,9 Prozent richtig handelnden Personen geschehen.

Es ist auch so – das zur Aufklärung, weil auch eine Frage medial aufgetaucht ist –: Wir sind nicht angehalten, Berichte und Feststellungen zuerst den Trägern zur Verfügung zu stellen, sondern der Öffentlichkeit. Diese Opcat-Mandatsprüfung unterliegt interna­tio­nalen Normen und Prinzipien – den Prinzipien der Unabhängigkeit, der Profes­sionalität der Vorgangsweise und der Öffentlichmachung –, und dazu ist es notwendig, nicht – in dem Sinn wie einen Rohbericht des Rechnungshofes – das zuerst vorzu­legen, sondern in einem Abschlussgespräch, das mit der Leitung nach einem unange­kündigten Besuch stattfindet, zu sehen: Was lässt sich schnell vereinbaren, was lässt sich schnell sagen? Das wird auch im Protokoll, das uns nach dem Besuch übermittelt wird, festgehalten. Dann zieht die Volksanwaltschaft aber die Schlüsse aus mehreren Besuchen, aus schwerpunktmäßigen Fokussierungen und legt das nicht dem Träger vor, weil das vor Ort schon diskutiert wurde. – Das hier zur Aufklärung betreffend diese Vorgangsweise.

Selbst wenn in den Medien zu lesen ist, es ist ohnehin alles bekannt gewesen, die Volksanwaltschaft kündigt sich an, verhält es sich so: Wenn es dezidiert angekündigte Besuche sein sollen und sind, was auch manchmal Sinn macht, dann werden diese angekündigt, sonst werden sie nicht angekündigt. Ich kann Ihnen mit allergrößter Sicherheit sagen, dass von nirgendwo aus über Wisper-wisper oder auf einem sons­tigen Weg Besuche angekündigt werden, denn das würde eine Bevorzugung und ein Abweichen vom Prinzip des Opcat-Besuches sein.

Ich halte fest – und ich denke, Sie und an prominenter Stelle die Präsidentin mit ihrer Berufsgruppe der pflegekundigen Personen oder Pflegefachkräfte tragen dazu bei –, dass es nicht die Absicht ist, zu verunsichern, aber solange – und jahrelang war ja keine systematische Prüfung in dieser menschenrechtspräventiven Perspektive ange­setzt – wir feststellen, was festzustellen ist, werden wir das auch tun müssen, und zwar mit dem Blick in die Richtung, dass Missstände in Zukunft möglichst nicht mehr pas­sieren mögen und dass das Personal, die Leitung und die Standesvertretung auch mit einem Bündel an Argumenten ausgestattet sind, um eine ordentliche Ausstattung zu fordern und zu erreichen.

Ich möchte zum Thema Justiz etwas sagen, um das klarzustellen: Natürlich ist die Richterschaft mit ihrer unabhängigen Rechtsprechung für alle tabu. – Glauben Sie mir, es gibt keinen Sprechtag, an dem nicht eine, zwei oder drei Beschwerden über das Handeln der Gerichte vorgetragen werden: über geringschätzendes, herabwürdigen­des, nicht die Manuduktionspflicht erfüllendes, also sozusagen nicht aufklärendes Han­deln, weil man sagt: Er ist eh anwaltlich vertreten. – Die Annahme bei Gericht ist vielfach so, dass Menschen sich bei Gericht souverän bewegen, als wären sie tagaus, tagein dort, und sich ohnehin bei den Rollen, die dort maßgeblich sind, bei den Ab­läufen und so weiter auskennen würden – und am Ende sind es vielfach doch nur verschreckte Bürger.

Da orte ich noch Professionalisierungsbedarf. Ich bin im Gespräch mit der neuen Präsidentin der Richterschaft, aber da sind wir nicht prüfend tätig, sondern motivie­rend, anregend, unsere Eindrücke weitergebend.

Wo wir tätig sein können, ist in der Frage der Säumnis, in der Frage der Schnelligkeit der Erledigung, und wir können auch einen Fristsetzungsantrag stellen beziehungs­weise die Bürger ermuntern, so etwas zu tun; und immer dann, wenn wir so etwas tun, aber das kommt selten vor, reagiert über das Justizministerium das Gericht in Blitzes­schnelle. Dann gibt es eine Verhandlung, dann gibt es einen Beschluss und so weiter. Bürgerinnen und Bürger bekommen jahrelang kein Urteil zugestellt und so weiter. – Das ist eine unglaubliche Phase der Verunsicherung und der Instabilität!

Da können wir tätig werden; das betrifft auch alle Verfahren bei Landes- und Bun­desverwaltungsgerichten. Das Bundesverwaltungsgericht und das Landesverwaltungs­gericht sind die einzigen Gerichte, bei denen es eine Frist gibt; die ist mit sechs Monaten angegeben.

Wir waren erst vor Kurzem beim Bundesverwaltungsgericht, um sozusagen vorzu­sprechen: Warum dauern Verfahren im Asylbereich und in anderen Bereichen nicht Monate, sondern Jahre? – Man hat uns gesagt, dass natürlich viel aufzuarbeiten sei. Es gab dort ein Optimierungsprogramm, das zeigt, wie man Leute noch besser ein­setzt, Richterinnen und Richter einteilt, zuteilt, Causen zuteilt. Wir werden beobach­tend dranbleiben, denn was denkt sich ein Bürger, wenn im Gesetz sechs Monate steht und er einen Brief von dort kriegt, in dem steht: Wir können noch nicht sagen, wann wir so weit sind, und heuer überhaupt nicht!? Am Beginn vorigen Jahres kam ein Brief, in dem stand: Na, heuer werden wir das nicht mehr schaffen! – Die subtilen Formen des Dahinterseins, des Nachprüfens sind uns ganz wichtig.

Justizwache, Polizeischutz und Menschenrechte auch für die Bediensteten: Es geht um Menschenrechte, um die Überprüfung der Situation von Menschen, die in ihrer Freiheit eingeschränkt sind. Das sind ganz subtile, ganz sensible, verletzliche Grup­pen, wie man so schön sagt, nämlich Leute in Pflegeheimen, in Jugendkrisenein­rich­tungen, auch Leute im Gefängnis, während einer Anhaltung durch die Polizei, das sind Leute in Psychiatrien. Auf diese schutzbedürftigen Gruppen richten wir unseren Fokus.

Betreffend die übrigen, die anderen – von der Pflege, vom Arzt bis zum Polizisten – nehmen wir an, dass sie professionell ausgebildet sind und wissen, wie auch vulnerable, verletzliche, in ihrer Freiheit eingeschränkte Gruppen reagieren, wenn sie unter besonderem Stress sind. Zum Beispiel in der Justiz – das ist mein Prüfbereich –, in Zellen mit Überbelegung, beim Zusammenprallen von bestimmten Vorstellungen, von Kulturen und kulturell spezifischen Konfliktaustragungen kommt es bei Einschluss­zeiten, die mittags beginnen und bis zum nächsten Morgen dauern, naturgemäß zu Stress, und da muss ich antizipieren: Was ist zu tun, damit das nicht eskaliert und es zu Verletzungen kommt?

Professionelle Teams machen das, professionell ausgestattete Teams machen das. Auch hier gilt: Unterausstattung von der Justizwache über den Arzt bis zum Thera­peuten ist ein Dilemma – und Platzmangel erst recht, denn jeder weiß, beengter Platz führt zu einer Aggressionssteigerung.

Da deeskalierend zu wirken, das funktioniert nicht mit Gewalt und mit martialischen Symbolen, sondern das gelingt mit Therapie und Deeskalationsprogrammen. Ich wundere mich, wie wenig – zum Beispiel von der Justizwache weiß ich es – Weiter­bildung von der Justizwache und den dortigen Bediensteten nachgefragt wird. Es darf nicht sein, dass mir engagierte Justizwachebedienstete sagen: Ich gelte als Weichei, wenn ich Weiterbildung und Supervision mache. – Das, was in der Pflege und im sozialpädagogischen Krisenbereich und so weiter selbstverständlich ist, nämlich die Supervision, muss auch dort zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Um noch einmal zum Thema Pflege, Jugend und Prävention zurückzukommen: Wenn Sie heute sehen, dass in Jugendeinrichtungen, ob sie jetzt Wohngemeinschaften oder wie auch immer jeweils in den Bundesländern heißen – therapeutische, sozialpäda­gogische Zentren –, im Burgenland 16 junge Menschen in einer Gruppe und zum Beispiel in Salzburg acht sind, dann können Sie sich den Qualitätsunterschied vor­stellen, und dann wirkt bitte, geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte, der Föde­ralis­mus, wobei man natürlich vielleicht schon davon ausgehen kann, dass Sie dem zustimmen würden, dass jedes Kind in Österreich gleich viel wert ist und gleich viel Aufmerksamkeit und gleich viel Zuwendung braucht.

Also da auch zu schauen – das ist unser Bestreben; Volksanwalt Kräuter ist in Kontakt mit den Soziallandesrätinnen und -räten, ist in Kontakt mit den Kinder- und Jugend­anwaltschaften, ist immer wieder in Arbeitsgruppen, und zwar aus allen neun Bundesländern – und zu drängen, dass wir diesbezüglich einheitliche Standards be­kom­men, das ist eine ganz wichtige Schlussfolgerung.

Ich bedanke mich auch, dass Sie im Zuge der parlamentarischen Verhandlung und des Verfahrens zum Budget hoffentlich Ihr Augenmerk auch auf die Ausstattung der Sachwaltervereine, wie sie früher geheißen haben, also der Erwachsenenschutz­ver­eine richten, denn so lange wie möglich sachwalterschaftsfrei zu leben, haben Sie zu Recht als Menschenrecht angesprochen – etwas, was wir auch nur als Wahrnehmung kontrollieren können.

Wir haben in Studien des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie gesehen, dass man, wenn man so etwas wie eine Sozialnetzkonferenz macht, wenn man also schaut, wer im Umfeld für ganz bestimmte Unterstützungsaufgaben helfend einspringen könnte – ich hoffe, auch der Soziale Alltagsbegleiter, dieser neue Berufstyp in Niederösterreich; ich kenne es von da, vielleicht gibt es so etwas anderswo auch –, wenn man also da Hilfe sucht und nicht gleich mit der vollen Entmündigung einsetzt, die Hälfte der Erwachsenenschutz- und Sachwalterschaftsfälle einsparen beziehungsweise davon absehen könnte.

Ich meine, dass die Volksanwaltschaft in vielen Dingen auch noch über die Individual­beschwerden hinaus tätig ist – amtswegige Prüfverfahren sind angesprochen worden, aber auch Wahrnehmungen wie gesellschaftliche Defekte, Mängel und so weiter, die über die Sprechtage an uns herangetragen werden. Diese verfolgen wir weiter über Enqueten, über Tagungen.

Wir machen regemäßig ein Forum mit den NGOs, um auch von da mit der Zivil­gesellschaft zusammenzuarbeiten, was wir unter dem Opcat-Mandat auch müssen. Wir laden in allen Bereichen auch der Gemeindeverwaltung die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ein, mit uns zu kooperieren, wenn es Beschwerden und wenn es Anregungen gibt. Wer Lust hat, kann am Samstag die Sendung „Bürgeranwalt“ anschauen: Da wird ein baurechtlicher Fall behandelt, der auch gleich in einen gesetzlichen, legistischen Anstoß mündet und in der Folge hoffentlich auch umgesetzt werden kann.

Als Behördenvertreter lohnt es sich immer, zu kommen, denn meistens lässt sich dann schnell eine Lösung finden; ansonsten, wenn niemand kommt, ist das auf alle Fälle unsympathisch. Bei uns wird keiner geschlachtet, gemordet, gevierteilt oder sonst etwas (Heiterkeit der Bundesrätin Mühlwerth), und alle Bürgermeisterinnen und Bür­germeister, die dort waren, sagen dann, es war ein Erfolg, denn man konnte ein Prob­lem, das anstand, schneller lösen.

Ich bedanke mich. – Ich habe sicher etwas ausgelassen (Heiterkeit der Bundes­rätIn­nen Mayer und Zwazl), aber vielleicht können wir das beim Sonderbericht betreffend Kinderrechte, der dann als Nächstes kommt, behandeln. (Allgemeiner Beifall.)

11.55

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Frau Volksanwältin, für die Ausführungen, Antworten und auch Anregungen.

Jetzt darf ich Herrn Volksanwalt Peter Fichtenbauer das Wort erteilen. – Bitte schön.