12.25.47

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich)|: Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Volksanwälte! Geschätzte Damen und Herren! Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern mitbekommen: Wurzeln und Flügel. Was ist jetzt aber, wenn eine Familie das nicht aus Eigenem schafft? – Dann finden sich eben manche Kinder in einer öffentlichen Einrichtung wieder. Alle Kinder, auch die, die schon viel in diesen gefährdeten Familien erfahren haben, alle Kinder leben am liebsten im eigenen Familienverband, und das ist eben aufgrund der Gefährdung oft nicht möglich. Immer unter Bedachtnahme auf das Kindeswohl wird dann die Entscheidung getroffen, ein Kind herauszunehmen – oft, sehr oft auch mit Zustimmung der Eltern im beiderseitigen Einvernehmen.

Man sucht ein neues Zuhause, und das Kind kommt zu Pflegeeltern oder in eine Einrichtung. 2016 sind durch die Kinder- und Jugendhilfe österreichweit 52 838 Erzie­hungshilfen für diese Familien gewährt worden; knapp drei Viertel davon zur Unter­stützung in der Erziehung, der Rest volle Erziehung. Das heißt, die Gesamtanzahl stieg um 3 Prozent gegenüber 2015, auffälligerweise unterschiedlich in den Bundesländern: in Niederösterreich zum Beispiel um 16 Prozent, in Kärnten um 8 Prozent. Öster­reichweit haben wir 606 Millionen Euro für diese Erziehungshilfen ausgegeben.

Insgesamt wurde 2016 für 13 000 Kinder, und das sind 13 000 Schicksale, eine Maßnahme der vollen Erziehung gesetzt. Ungefähr 60 Prozent davon, knapp 8 500, übersiedelten in eine sozialpädagogische Einrichtung. Für die anderen Kinder wurde ein neues Zuhause in einer Pflegefamilie gefunden.

Wir haben es heute schon gehört: Die Zahl der fremduntergebrachten Kinder steigt stetig an. Ich denke – und wir haben es auch im Ausschuss besprochen, es ist tat­sächlich sehr interessant –, man muss einmal den Fokus darauf legen, warum das so ist. Wir sprechen von einer gesellschaftlichen Entwicklung. Ist das so? Das würde mir sehr, sehr große Sorgen bereiten. Oder gibt es dafür andere Gründe? Nur wenn man das klärt, weiß man, wo man ansetzen muss, um ordentlich darauf reagieren zu kön­nen.

Die Volksanwaltschaft hat gut aufgezeigt, was man noch alles in Bezug auf die stationäre Unterbringung von Kindern braucht. Ein großes Thema ist da auch die Teilhabe. Viele dieser Kinder haben das Gefühl, sie sind so etwas wie Marionetten und werden hin- und hergeschoben. In Oberösterreich haben wir einen Verein, der sich sehr gut in diesen Bereich einbringt und mit diesen Kindern auch Projekte macht. Ein 13-jähriges Mädchen, das im Rahmen der vollen Erziehung untergebracht wurde, hat ihre Vorstellungen zusammengefasst, und sie sind sinngemäß völlig ident mit dem, was die Volksanwaltschaft sagt, aber sehr menschlich, sehr kurz und sehr verständlich in Sätze gefasst. Sie schreibt Folgendes:

Was mir wichtig ist: Mir ist wichtig, ein Netz zu haben, das mich trägt, schützt und hält. Ein belastbares Netz, das mich auffängt, in das ich mich fallen lassen kann. Ein Netz, das durchschaubar ist, das nicht einengt. Ein Netz, das mir Sicherheit und Gebor­genheit gibt. Ein Netz, das mir die Möglichkeit gibt, den Sprung ins eigene Leben zu wagen und zu machen. – Zitatende.

Das bringt es auf den Punkt: Braucht ein Kind eine andere Wohnform, braucht es besonderen Schutz, besondere Fürsorge, die Einhaltung der Kinderrechte, einen ge­schützten Bereich, in dem das Kind und der Jugendliche aufwachsen kann, mit viel Angebot zur Unterstützung, damit es sich den Fähigkeiten und Begabungen entsprechend positiv entwickeln kann, und es braucht Teilhabe an laufenden Prozessen und eine Möglichkeit der Mitbestimmung.

Und, das steht auch im Bericht der Volksanwaltschaft: Die leiblichen Eltern bleiben ein roter Faden, egal ob das Kind stationär untergebracht ist oder in einer Pflegefamilie. Es gibt Informationspflichten, es gibt Besuchsrechte, und denen muss natürlich nachge­kommen werden.

Diese Menschen brauchen gut ausgebildete, verständnisvolle Personen, die dort agieren, weil sie zum Großteil schon sehr viel mitgemacht haben, oft traumatisiert sind, die Welt oft nicht mehr verstehen, zum Teil sehr kontraproduktiv provozieren, aber auch teilnahmslos agieren.

Im Großen und Ganzen ist die Kinder- und Jugendhilfe bundesweit geregelt, und die Ausführung obliegt den Bundesländern. Ich bin sehr erfreut, was den Bericht über Oberösterreich betrifft. An sich weiß ich das, aber es ist auch schön, wenn es einmal wo drinnen steht: Oberösterreich hat ein sehr gutes Netz an Angebot und Unter­stützung für Familien. Wir stellen aber in Oberösterreich auch sehr hohe Budgetmittel zur Verfügung, im Schnitt 30 Prozent mehr pro Kopf als in den anderen Bundes­ländern. Dadurch haben wir gute Strukturen, was sowohl die ambulante als auch die mobile Versorgung betrifft, und haben in diesem Bereich eine gute Qualität.

Ein Projekt ist auch hervorgehoben worden, nämlich die WhatsApp-Gruppe, die es seit 2015 gibt.

Zum Thema der kleineren Wohnformen und kleineren Gruppen, denke ich mir, kann man sich aus Oberösterreich mitnehmen: Oberösterreich sucht immer wieder verstärkt Pflegeeltern – denn diese Form entspricht sehr gut den kleinen Gruppen –, sofern es den Kindern und Jugendlichen möglich ist, sich dort gut einzufügen. Die Prämisse ist immer die Frage: Was ist für das Kind das Beste? – Ich meine, es wäre eine familiäre Form, denn jedes Kind hat das Recht auf eine Familie, und das würde dem sehr entge­genkommen.

Oberösterreich hat im Bundesländervergleich mit 7 Prozent überhaupt den geringsten Anteil an Kindern, die in voller Erziehung in einer Institution oder bei Pflegeeltern aufwachsen. Gleich danach kommt Tirol, wo wir mit dem Kinderrechteausschuss waren, und da haben wir eben auch gehört, dass es besonders diese Kinder mit 18 noch nicht schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen, und noch mehr Unterstützung brauchen. In Oberösterreich waren es 2015  935 Kinder und Jugendliche, 2016 waren es bereits über 1 100. Daher freue ich mich, dass die neue Regierung das in ihr Pro­gramm aufgenommen hat und die Altersgrenze für die Hilfen, für die Unterstützung dieser jungen Erwachsenen anpassen wird. Diese Maßnahme wird greifen, und die Jugendlichen können in einem geschützten Rahmen nachreifen. Ich hoffe hier sehr auf das Entgegenkommen und auf die Einigung der Landeshauptleute, sodass das mit einer 15a-Vereinbarung möglich wird.

Erfreulich ist auch, dass die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen sich im Gegensatz zu früher sehr verbessert haben, und trotzdem – es ist schmerzlich, das zu lesen – gibt es noch immer Missbrauch, Machtmissbrauch, unangepasste Sanktionen, überfor­dertes Personal in weiten Teilen. Wenn man sich anschaut, welche Herausforderungen die Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen mit sich bringt, dann wird einem klar, dass das Personal dort oft sehr gefordert ist. Es braucht daher eine gute qualitative Ausbildung, es braucht psychologische Unterstützung auf beiden Seiten, nicht nur bei den Kindern, sondern auch beim Personal. Es kommt auch zwischen den Kindern in den Einrichtungen oft zu Übergriffen. Hier, denke ich, braucht es wirklich eine externe, unabhängige Vertrauensperson – in Salzburg ist das gesetzlich installiert, ich habe es im Ausschuss gesagt; in Wien, habe ich gehört, ist diese Einrichtung auch vorhanden, aber sonst gibt es in keinem Bundesland eine solche Anlaufstelle.

Diese jungen Erwachsenen, die es aus Eigenem nicht schaffen, brauchen gute Wohn- und Ausbildungsangebote, individuell nämlich, weil sie es eben nicht so schaffen wie andere Kinder, in Wohnortnähe.

Greift das alles nicht, kann es mitunter fatale Folgen haben, und da komme ich noch zu einem anderen Kapitel des Berichts, nämlich zu Jugendlichen in Haft. Immer mehr Jugendliche kommen nämlich immer früher in so eine Situation und schlagen damit ein Kapitel ihres Lebens auf, das man an sich nicht anstrebt, schon gar nicht im jungen Alter. Wenn die Jugendlichen schon in Haft müssen, dann soll die Zeit zur Reso­zialisierung genutzt werden, sodass sie aus dieser Spirale der Gewalt, aus der sozialen Deprivation wieder herauskommen. Es ist schwierig, aber es ist machbar, und ein gutes Beispiel dafür, das im Bericht steht, ist die Justizanstalt Gerasdorf.

Erschreckend ist die Tendenz zu Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Ich denke, die tägliche Turnstunde ist eben nicht in jeder Schule eingeführt worden. Ge­sunde Küche, Gesunde Schulküche, Gesunde Gemeinde, all das greift hier nicht, es braucht hier wirklich ein anderes Programm.

Die psychischen Auffälligkeiten, haben wir gehört, nehmen zu. Niedergelassene Kas­senärzte sucht man in diesem Bereich vergebens, und 70 Euro Stundentarif für einen Psychologen können sich die wenigsten Familien leisten, und schon gar nicht dann, wenn man ihn regelmäßig brauchen würde. Bis es zur Abklärung solcher Auffällig­keiten von Kindern kommt, vergeht oft unheimlich viel Zeit, von der Anmeldung beim Arzt bis zu dem Tag, an dem man dann über den Grund Bescheid weiß. In dieser langen Zeit hat man vielleicht einen 14-, 15-Jährigen im Schulsystem, der immer auffällig ist, lästig ist, tituliert wird, und dann kommt man vielleicht drauf, er hat eine Form von Asperger oder er hat ADHS, wodurch er schon genug beeinträchtigt ist, und es wurde falsch auf ihn reagiert. Wenn man diese Zeit für eine gute Therapie genutzt hätte, wäre das für beide Seiten gut gewesen.

Es wurden mit dem Sonderbericht Schwachstellen aufgezeigt, ich denke aber, dass die Lösungen für diese Mängel absolut machbar sind. Die neue Regierung wird die offenen Fragen auch ernst nehmen, sie wird sich damit auseinandersetzen. Damit geben wir den Kindern Wurzeln und auch Flügel, damit sie dann ihr weiteres Leben schaffen. Der Bericht ist sehr wertvoll, ich habe das wirklich so empfunden, und ich arbeite auch in diesem Bereich. Ich bedanke mich bei den handelnden Personen, bei der Volks­anwalt­schaft sowie bei den Mitgliedern des Menschenrechtsbeirates und bei den Kommis­sionen. (Beifall bei FPÖ und Grünen sowie bei BundesrätInnen von ÖVP und SPÖ.)

12.35

Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke, Frau Kollegin.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat David Stögmüller. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.