10.16.48

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuschauer via Livestream! Salzburg, woher ich komme, darf Gastgeber sein, das freut uns sehr. Wir können das und wir werden das gut machen. Salzburg war schon immer eine tolle Kulisse, damals für den Erzbischof, als er noch ein Diplomat europäischen Ranges war, bis Franz Joseph, der seine Sommerferien bei uns verbrachte. Salzburg war eine gute Kulisse für die Festspiele, die auf den Trüm­mern von 1918 – wichtiges Jubiläumsjahr heuer – von Wienern ins Leben gerufen wur­den und von allen Regimen bisher weidlich und praktisch nahtlos genutzt wurden.

Es ist uns nicht nur gelungen, die massive Kritik Mozarts an den Salzburgern und an Salzburg unter den Teppich zu kehren, sondern sie sogar umzudrehen. Er wäre aber auch nie Mozart geworden, wenn er nicht gegangen wäre. Wir sprechen auch nicht darüber, dass bereits Erzbischof Leonhard von Keutschach 1492 die Juden endgültig vertrieben hat und Salzburg bis Mitte des 19. Jahrhunderts judenrein war, dass die Protestanten verjagt wurden und damit das aufstrebende Bürgertum zerstört wurde. Diese Seite der Medaille Salzburg lässt sich fortsetzen bis zu Theodor Herzl, Gottfried von Einem und Bertolt Brecht.

Salzburg ist also sicherlich der richtige Ort, um dort zur Schau zu stellen, dass die EU ein großartiges Projekt ist – ein Projekt der Hoffnung auf Überwindung des Nationalis­mus, auf Verwirklichung der Menschenrechte, der Möglichkeit, die Kooperation und nicht die Konfrontation in den Mittelpunkt zu stellen, ein Projekt der Hoffnung auf ein gutes Leben für alle in Frieden. Ob es aber auch gelingen wird, ein guter Ort zu sein, um genauer hinzuschauen auf die Kluft und auf die Abgründe, die sich hier auftun – wir sehen es selbst in der heutigen Debatte –, und ob dafür die richtigen Fragen und die Weichen gestellt werden, ist noch offen.

Ich sehe, dass es teilweise wirklich in die falsche Richtung geht, wenn die erste Bot­schaft dieser Regierung ist, wir brauchen weniger EU und mehr Subsidiarität. Bei all der Beschäftigung mit den Berichten habe ich immer mehr das Gefühl, dass diese Sub­sidiarität ein Trojanisches Pferd ist, das einen Spaltpilz innerhalb der EU bildet und diese Gräben noch weiter vertieft.

Hinsichtlich der anderen Botschaft, nämlich dass das EU-Budget kleiner werden soll, bleibt das Ganze die Antwort darauf schuldig, wie das gehen soll, wenn die Aufgaben immer mehr werden, und zwar im Sinne einer Militarisierung, die ja ungeheure Mittel verschlingt. Immer mehr machen wir aus dieser EU offensichtlich eine Gated Commu­nity so wie in den USA, wo die großen Differenzen zwischen Arm und Reich so über­wunden werden, dass die Reichen sich eben hinter großen Mauern in Gated Commu­nities verbergen. – Taucht das als Zukunftsbild für diese EU auf?

Oberste Priorität bleibt weiterhin das Wachstum, und zwar das Wachstum in einer beschränkten Welt; oberste Priorität bleibt die Wettbewerbsfähigkeit, auch innerhalb der EU. Um darauf einzugehen, was das im Hinblick auf Steuern und die finanzielle Basis der EU heißt, wird heute noch Gelegenheit sein.

Lassen Sie mich hier noch kurz eine ganz persönliche Geschichte anschließen: Ich war im letzten Herbst in Marokko. Auffällig dort ist die große Zahl junger Menschen, die man auf den Straßen immer wieder trifft, also die Demographie dieses Landes. Auffäl­lig war aber auch, dass dieses Land unter einer extremen Dürre leidet. Es hat im vor­letzten Winter keinen Schnee im Atlas gegeben. Das hatte zur Folge, dass die Toma­ten viermal teurer waren und dass sich der Kartoffelpreis verzehnfacht hat. Was das für all die Menschen heißt, die dort leben, kann man sich gut vorstellen, wenn man das auch tatsächlich erlebt!

Bei der Rückkehr im Flieger bin ich draufgekommen, dass die meisten Touristen, die dort unten waren, zum Golfspielen dort waren. Es gelingt also offensichtlich, trotz des Wassermangels die Golfplätze entsprechend zu bewässern, aber keine Versorgung mit regionalen Lebensmitteln.

Welche Problematik dahintersteht, wenn die Klimaexperten uns erzählen, dass ganz Nordafrika nicht mehr bewohnbar sein wird, und zwar nicht erst im Jahr 2100, sondern wahrscheinlich schon in unserer allernächsten Zukunft – wir werden das noch erle­ben –, und was das für uns in Europa bedeutet und wovor wir hier die Augen verschlie­ßen, das kann, denke ich, nicht dramatisch genug vor Augen geführt werden. Deshalb glaube ich, dass wir in vielen Bereichen schlicht und einfach die falschen Fragen stellen und die falschen Schwerpunkte setzen. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

10.22

Präsident Reinhard Todt: Die Aktuelle Stunde ist beendet.