11.33.57

Bundesrätin Ingrid Winkler (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche heute zum Bericht des Bundesministe­riums für Finanzen betreffend die EU-Jahresvorschau 2018 zum jährlichen Arbeitspro­gramm der Kommission beziehungsweise des Rates, und dieser Bericht umfasst ein irrsinnig breites Spektrum, beginnend bei der Förderung von Wachstum und Beschäfti­gung über die Umsetzung des EU-Semesters, die Vertiefung der Wirtschafts- und Wäh­rungsunion, die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion bis hin zur Bekämp­fung von Steuerumgehung und Steuervermeidung.

Ich glaube, es wundert hier niemanden, dass ich mich zwei Punkten widme, die da heißen: Wachstum und Beschäftigung und Bekämpfung von Steuervermeidung.

Auch wenn sich die EU im fünften Jahr eines Wirtschaftsaufschwungs befindet, dieser Wirtschaftsaufschwung sogar größer als in den Vereinigten Staaten ist und auch acht Millionen Arbeitsplätze EU-weit geschaffen werden konnten, denke ich, sollten wir uns eines schon vor Augen führen: Wir sollten beginnen, die Krisenmodus-Finanzbrille ab­zunehmen und unsere Blickrichtung auf die Dinge zu lenken, die, glaube ich, die EU ausmachen, nämlich die Sozialunion, und natürlich – (in Richtung Bundesrätin Zwazl:) ich schaue die Sonja an – auch die Wirtschaftsunion, aber vor allem auch das Frie­densprojekt Europa.

2018 und 2019 wird es zu einem erfreulichen Wachstum in der EU-Zone kommen. Steigende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosenzahlen werden den Konsum weiter ankurbeln und damit die Wirtschaftszahlen dynamisch beeinflussen. Das nimmt uns aber nicht die Pflicht, uns zu überlegen, wie wir diese positive Entwicklung noch weiter fördern können, auch als öffentliche Institution, indem wir in sozialen Wohnbau, öffent­lichen Verkehr, Schulen und Kindergärten, Energienetze, Elektromobilität, die Breit­bandinitiative und Forschung und Entwicklung investieren.

Ich möchte jetzt zur Sozialunion kommen: Eine Sozialunion muss es schon möglich machen, dass nicht nur die Eliten im Mittelpunkt stehen, sondern jene, die mit ihrer täg­lichen Arbeit und durch den Lohn ihrer täglichen Arbeit der wahre Motor der Wirtschaft sind. Das sind die kleinen und mittleren Beschäftigungsverhältnisse!

Um einen substanziellen Fortschritt in der EU zu erreichen, müssen wir die prekären Arbeitsverhältnisse eindämmen. Ich sage Ihnen ehrlich, in diesem Bericht findet sich auch eine Erfassung der atypischen Arbeitsverhältnisse in sozial- und arbeitsrechtli­cher Art und Weise – ich stehe diesem Ansatz schon mit einer gewissen Skepsis ge­genüber! Ich glaube nicht, dass durch diese Vorgangsweise eine Legitimierung dieser atypischen Verhältnisse stattfindet. Es sollte ein Zurückdrängen dieser Beschäftigungs­formen, des Prekariats und dieser atypischen Arbeitsverhältnisse geben.

Für mich von ganz großer Bedeutung, Herr Minister, ist die Jugend in der EU, aber auch in Österreich. Die Lage in der EU ist nach wie vor geprägt vom Fortbestand ver­gleichsweise hoher Einkommens- und Vermögensungleichheiten. Auch wenn es einen Abwärtstrend bei Armut und sozialer Ausgrenzung gibt, sind in der EU ein Viertel der Personen gefährdet. Das sagt sich so leicht, aber dieses Viertel sind 115 Millionen Men­schen!

Österreich liegt nach Eurostat mit 18 Prozent unter dem Durchschnitt von 23,4 Prozent. Verzeihen Sie, Herr Minister, ich muss Ihnen schon sagen: Ich befürchte, dass diese Zahl auch wieder steigen wird, wenn wir uns von der Notstandshilfe lösen und sie durch eine Mindestsicherung ablösen, und wenn wir durch Sparmaßnahmen beim AMS die Qualifizierung der Facharbeiter nicht mehr so fördern. Da muss ich auch wieder die Sonja ansehen: Sie ist die Repräsentantin der KMUs, die immer sagen – immer! –, das Rückgrat unserer Wirtschaft sind unsere gut ausgebildeten Facharbeiter. Warum – Sonja, ich bitte dich! –, schreit ihr bei solchen Plänen nicht auf? Das ist doch notwendig und wichtig und richtig!

Ich glaube nicht, dass man Armutsgefährdung auf eine Zahl in einer Statistik reduzie­ren kann. Das sind Menschen und Schicksale. Natürlich bin ich die Letzte, die sagt, Austerität dürfe nicht sein. Die Frage ist, wie sie ausgestaltet wird – zum Wohle der Menschen oder gegen diese Menschen. Wir haben uns immerhin dazu bekannt, dass eine Union nur funktionieren kann, wenn sie auch gelebt wird.

Wir haben heute schon viel darüber gesprochen, was in dieser Krisenzeit alles passiert ist und wie schlimm das war. Lassen Sie mich aber eines sagen: Österreich hat es trotz sozialer Abfederung geschafft, kein Kandidat für die Tiefenanalyse zu sein. Wa­rum ist das gegangen? Trotz sozialer Kompetenz, trotz Abfederung von Problemen in der Krisenzeit ist es gegangen, ohne dass irgendwelche Maßnahmen in der EU kriti­siert wurden.

Herr Minister, Sie tragen eine große Verantwortung. Jeder Finanzminister ist nicht nur Herr eines Geldsäckels, sondern er ist der, der mit seinen Ministern und Ministerinnen darüber bestimmt, ob wir sparsam im sozialen Sinne sind oder ob wir sparsam zulas­ten der sozialen Gerechtigkeit sind. Ich bitte Sie, das nicht zu tun, Herr Minister! (Bun­desrätin Mühlwerth: Da tust du dir schwer mit dem Sparen! Das ist nicht so das Ding der SPÖ!) – Ja, liebe Monika, es tut mir leid, dass du das sagst. Ihr seid angetreten als Partei des kleinen Mannes. (Bundesrätin Mühlwerth: Das bleiben wir auch!) Über die­se kleinen Frauen und Männer spreche ich jetzt, aber das dürftest du vergessen ha­ben. (Bundesrätin Grimling: Das ist jetzt alles vergessen! – Bundesrat Längle: Haben wir nicht! Dazu ist der Familienbonus! – Bundesrätin Mühlwerth: Das Budget ist noch nicht einmal vorgelegt, aber ihr wisst schon alles, was dann darin stehen wird!) – Ja, liebe Monika, jetzt bin ich am Wort, dann seid ihr am Wort, und dann wirst du deine Meinung sagen. (Bundesrat Köck: Zum Thema!) – Ich weiß, dass sich manche Dinge nicht so anhören oder dass man manche Dinge nicht gerne hört, vor allem wenn einem der Spiegel vors Gesicht gehalten wird. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühl­werth: Aber man hat gehört, wie du dir schwer tust mit dem Sparen, denn das ist nicht die SPÖ!) – Ja, aber Monika, dein Sparen wird nur die Wirtschaft begünstigen. Ob das dann dem entspricht, was du deinen Wählern versprochen hast, wird die nächste Wahl zeigen. (Bundesrat Samt: Was habt ihr denn nicht schon alles versprochen! – Bundes­rätin Mühlwerth: Weil wir alles wieder einsparen müssen, was die SPÖ aufgeblasen hat!) – Jetzt bin ich dran!

Lassen Sie mich jetzt zu meinem zweiten Thema kommen, zu Steuerumgehung und Steuervermeidung. Ich denke, dass diese angedachte konsolidierte Bemessungsgrund­lage der Körperschaftsteuer durchwegs sinnvoll ist. Die Grenzen für diese Konsolidie­rung liegen bei 750 Millionen Euro und damit – und das ist erfreulich – werden die KMUs nicht betroffen sein.

Noch viel wichtiger in dieser Steuervermeidungsfrage ist aber natürlich Folgendes: Be­denken wir, dass die multinationalen Konzerne im Schnitt 30 Prozent weniger Körper­schaftsteuer zahlen als unsere KMUs. – Das kann keiner wollen! Keiner kann das wollen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das hat seinerzeit der SPÖ-Finanzminister Laci­na ...!) – Monika, ist es möglich, dass du auch einmal zuhörst? Vielleicht könntest du auch beim Zuhören manche Dinge lernen. (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit der Bun­desrätin Mühlwerth.)

Ich zitiere dazu: Die EU-Kommission verschärft ihren Kampf – zuhören, Monika! – ge­gen Niedrigsteuern in der EU. Erstmals wurde die aggressive Steuerplanung in sieben EU-Staaten ins Visier genommen.

Ich zitiere weiter: Steueroasen sitzen nicht nur in entfernten tropischen Ländern wie Panama oder Bermudas, sondern auch mitten in Europa. Ich denke, dass darauf auch der Fokus liegen muss. Es kann nicht sein, Herr Minister, dass sich Irland Rettungsgel­der abholt und, sobald es gesundet ist, uns allen mit Steuerdumping wieder schadet. Ich denke nämlich, die Unterbindung der Steuervermeidungsmaßnahmen wäre auch eine ganz gerechte Maßnahme gegenüber unseren KMUs. Das sind nämlich die Wirt­schaftsmotoren und Arbeitgeber in den Regionen, und nicht die Multis. (Beifall bei der SPÖ. – Vizepräsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glockenzeichen.)

Ich bin am Ende meiner Redezeit und darf noch eines sagen: Ich bin eine glühende Europäerin, ich wäre bei jeder Abstimmung wieder für die EU, aber nicht für diese EU, die sich jetzt auftut. Ich möchte eine EU der Menschen, ich möchte eine EU der fairen Wirtschaft. Ich möchte aber keine EU der Steuervermeidungskonzerne, die jetzt im Vormarsch ist. (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Bundesrätin Mühlwerth: Das will eh kei­ner!)

In diesem Bericht sind zwar Dinge, die durchwegs gut klingen, aber irgendwie vermisse ich schon sehr die politische Botschaft, dass man diese gut klingenden Dinge, die von der Beamtenschaft kommen, auch politisch mittragen möchte. Da das so ist, Herr Mi­nister, wird meine Fraktion diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen. (Vizepräsidentin Ledl-Rossmann gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Meine Redezeit ist vorbei, aber ich bitte trotzdem noch um ein wenig Zeit, um mich zu verabschieden. Ich durfte fünf Jahre hier im Haus mitarbeiten und es war eine lehrrei­che und schöne Zeit. Auch wenn es manchmal manchen nicht leichtfällt, mir zuzuhö­ren, gibt es trotzdem über die Fraktionsgrenzen hinweg eine gute Gesprächsbasis. Ich denke – und davon bin ich hundertprozentig überzeugt –, Politik lebt davon, dass man in parlamentarischer Arbeit Meinungen austauscht. Man sollte versuchen, eine gemein­same, gute Vorgangsweise zum Wohle der Bevölkerung Österreichs zu finden.

Ich hoffe, ich habe es auch in meiner politischen Arbeit gezeigt, aber in meiner zukünf­tigen Arbeit zeige ich, dass ich mutig bin; ich plane, mich einer tödlichen Tätigkeit zu widmen: Ich gehe in Pension. (Allgemeine Heiterkeit und anhaltender allgemeiner Bei­fall.)

11.47

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Frau Bundesrätin! Ich glaube, ich darf Ihnen im Namen von uns allen für den besonderen Einsatz in der Zeit als Vize­präsidentin danken. Gerade wir haben da auch viel gemeinsam gemacht, und dafür noch einmal ein großes Dankeschön.

Als nächster Redner ist Herr Bundesrat Armin Forstner zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.