11.27.32

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Frau Ministerin! Werte Kollegen und Kolleginnen! 200 Tage war die Regierungskoalition der Freiheitlichen und der Österreichischen Volkspartei im Amt, als der 12-Stunden-Tag in der letzten Sitzung vor dem Sommer im Bundesrat, der zweiten Kammer des Parlaments, beschlossen wurde. Trotz Warnungen zahlreicher Experten, der Gewerkschaft (Bundesrat Koller: Speed kills!), trotz lauter Proteste in Betrieben und auf der Straße und obwohl der freiheitliche Koalitionspartner bis vor Kurzem noch gegen eine Arbeitszeitverlängerung aufgetreten ist (Ruf bei der FPÖ: Es gibt ja a koane!), wurde diese beschlossen. Die Auswirkungen waren verheerend. – So könnte es einmal in einem Geschichtsbuch stehen. – Wahrlich, eine tolle Bilanz! (Bundesrat Steiner: Das ist dann auch ein Märchenbuch!)

Ich möchte heute auf jene Auswirkungen eingehen, die wir noch verhindern hätten kön­nen, denn Sie wissen: Wenn wir das Gesetz heute so beschließen, werden die Men­schen diesen Beschluss bereits im September spüren, da Sie zusätzlich dazu das In­krafttreten dieses Gesetzes überfallsartig um ein halbes Jahr vorgezogen haben – dies ziemlich sicher, um Proteste zu unterbinden. Vielleicht aber dachten Sie auch, dass sich immer mehr aus Ihren eigenen Reihen – das ist ja schon passiert – zu Wort mel­den und einräumen werden, worum es bei dieser Gesetzesänderung tatsächlich geht, nämlich um die Ausschaltung der Betriebsräte, die Beschränkung der Überstundenzu­schläge, mehr Zugriff auf die Angestellten samt Angriff auf Familien und um die Verein­barkeitsfrage.

Dann tun Sie hier so, als wären es lediglich ein paar Oppositionelle, die sich dagegen wehren und sich aufregen. Es mag schon sein, dass es vielen Menschen noch nicht bewusst ist, welche Auswirkungen dieses Gesetz, diese Aufweichungen und Änderun­gen auf sie haben werden, aber eines wissen wir: Viele Menschen haben jetzt schon Angst davor, und Sie werden, wie ich, Mails, Briefe von besorgten Bürgern (Rufe bei der FPÖ: Drohbriefe! Nur von Gewerkschaftsvertretern! Keine Bürger!), von Müttern, von den Gewerkschaftsvertretern bekommen haben.

Ich möchte nur ganz kurz eines vorlesen, das mir eine zweifache Mutter geschickt hat:

„Ich appelliere an Sie, sagen Sie Nein zu diesem Gesetz, das im Nationalrat im Eilver­fahren und ohne die Einbindung der Sozialpartner zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen durchgewinkt wurde. Die Verweigerung des Dialogs mit allen Sozialpartnern ist nicht der österreichische Weg.“ – (Bundesrätin Mühlwerth: Das hat keine Mutter geschrie­ben!) – „Als Mandatarin sind Sie den österreichischen WählerInnen und deren Interes­sen verpflichtet,“ – (Bundesrat Mayer: Typischer Hausfrauenbrief!) – „von denen im­merhin 3,7 Millionen Arbeitnehmer, Arbeitnehmerinnen sind, und nicht den Interessen einiger betuchter Wahlkampfsponsoren.“ – (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist die typi­sche Wortwahl einer Hausfrau und Mutter!) – „Als Frau verstehen Sie sicher, dass man nicht einerseits die Arbeitszeit hinaufsetzen und die Geldmittel für den Ausbau der Kin­derbetreuung senken kann, ohne die Familien hinsichtlich der Kinderbetreuung vor un­lösbare Probleme zu stellen. In tiefer Besorgnis - -“

Ich kann es an Sie weiterleiten. Sie müssen schon aushalten, dass es diesen Protest gibt. (Bundesrätin Mühlwerth: Na des is kein authentischer Brief!) Der Kampf der Ar­beitnehmer und Arbeitnehmerinnen – und das wissen Sie – war nicht nur ein langer, sondern ist nach wie vor ein zäher. Die 40-Stunden-Woche gibt es seit über 40 Jahren. Die ArbeitnehmerInnenrechte sollten zwar eine Selbstverständlichkeit sein, sind es aber nicht, weil sie permanent von denjenigen bedroht sind, die lediglich in ihrem Ge­winnmaximierungsdogma verhaftet (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth) und nicht an einem Ausgleich interessiert sind.

Ihre Aufgabe als Volksvertreter wäre es, die Menschen vor den Auswirkungen des Wirt­schaftssystems, der Entwicklung der Arbeitsmärkte, der permanenten Beschleunigung, in der wir uns befinden, zu schützen. Sie wollen ja auch sonst die Heimat schützen, ihre Frauen schützen. Ich frage mich: Wieso schützen Sie nicht die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die für dieses Land arbeiten? Wieso eigentlich nicht? (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Wir schützen sie doch vor Ihnen!)

Sie, Frau Ministerin, auch wenn Sie meine Rede ignorieren und in Ihr Handy schauen, erbringen ja auch volle Leistung. Sie haben als Sozialministerin in diesem Land der­artige Verschlechterungen sozialer Natur forciert – bewusst selbst forciert – und in den 200 Tagen dieser Regierung bereits Ihre politische Glaubwürdigkeit vollkommen verlo­ren.

Sie haben letztens zitiert, dass die Freiheit ein hohes Gut sei, und gemeint, dass dies Karl Marx gesagt hätte. Da haben Sie falsch recherchiert. Es war nämlich Otto von Bis­marck. Falls Sie den nicht kennen: Er war deutscher Reichskanzler und in seinen An­sichten sicher ganz woanders als Karl Marx. Sie wollen jedenfalls nicht sehen, welche Auswirkungen Ihre Politik auf die Menschen im Alltag haben wird.

Die Wahrheit ist ja bekanntlich auch sonst eine Tochter der Zeit, und es wirkt tat­sächlich schon wie Fake News, wenn man Aussagen des aktuellen Vizekanzlers Stra­che liest, der sich noch vor Kurzem massiv gegen eine Arbeitszeitverlängerung, massiv gegen einen 12-Stunden-Tag ausgesprochen hat. (Widerspruch bei BundesrätInnen der FPÖ. – Ruf: Das stimmt doch nicht!) Auch Minister Hofer, der sich damals noch im Bundespräsidentenwahlkampf um die Gunst der Wähler und Wählerinnen bemühte, meinte, dass der 12-Stunden-Tag ein No-Go für ihn sei, aber Sie sind in diesen 200 Ta­gen Regierungsbeteiligung – und da spreche ich vor allem die Freiheitliche Partei an – für ein bissel Rauchen und ein bissel mehr Ausländer-raus-Politik mehr als 20 Mal um­gefallen. Dieses von Ihnen falsch verwendete Zitat ist für mich schon symptomatisch für die Debatte rund um diesen 12-Stunden-Tag.

Es streitet ja niemand ab, dass es bereits jetzt in verschiedenen Berufen und Betrieben 12-Stunden-Tage gibt. Die gibt es. Die entscheidende Frage ist aber: Unter welchen Bedingungen gibt es die? Fast alle Regelungen zu 12-Stunden-Diensten, die es derzeit gibt, sehen verpflichtende verlängerte Ruhezeiten in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den geleisteten Diensten vor. Viele Betriebsvereinbarungen sehen außerdem vor, dass jeweils die 11. und 12. Stunde mit einem Zuschlag zu bezahlen sind, und sie legen auch den Rahmen fest, innerhalb dessen diese Konsumation von Mehr- und Überstun­den von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wählbar ist, genauso wie es fixierte Frei­zeitphasen gibt.

Was bewirken Sie also mit diesem Beschluss, von dem Sie sagen, da ändert sich nicht so viel? – In Zukunft kann sich niemand mehr darauf berufen, dass der Arbeitstag laut Gesetz nur 8 Stunden lang sei. Strittig ist allenfalls, was wirklich als Überstunde zählt, und da schafft das neue Gesetz – das wissen Sie – mehr Rechtsunsicherheit, als jetzt gegeben ist.

Ja, es stimmt auch, dass auch die Überstundenzuschläge weiterhin im Gesetz stehen, nur die Definition ist eine gänzlich andere. In der Praxis werden nur mehr jene Stunden als Überstunden gelten, die vom Arbeitgeber konkret angeordnet worden sind, und die angebliche Verankerung der Freiwilligkeit, die auf Ihren Schildern steht, wird nicht nur von den Kritikern und Kritikerinnen nicht ernst genommen, sondern nimmt sich tat­sächlich selbst nicht ernst. Sie nutzen jedenfalls schamlos aus, dass viele Menschen sagen, dass sie eh schon mehr arbeiten, dass sie prekär arbeiten, dass sie flexibel arbeiten. Tatsächlich ist es so, dass Vollzeitbeschäftigte in Österreich heute schon mehr Stunden pro Woche als im EU-Durchschnitt arbeiten. Länger zu arbeiten ist des­halb für viele normal.

Sie nehmen das aber nicht als Anlass, Abhilfe zu schaffen, nein, Sie verschärfen das Problem. Allein aus frauenpolitischer Sicht gibt es mehrere Argumente gegen die 60-Stunden-Woche: Für die meisten Frauen geht die Arbeit nach der Lohnarbeit weiter. Frauen arbeiten in Österreich 27 Stunden pro Woche unbezahlt. (Bundesrätin Zwazl: Nein, nein, nein!), Männer nur 11. Auch bei den Überstunden sind Frauen die Leidtra­genden. Der Anteil unbezahlter Überstunden liegt bei ihnen mit 27 Prozent deutlich hö­her als jener bei Männern mit 18 Prozent. Eine 12-Stunden-Regelung verschärft auf je­den Fall die Geschlechterungerechtigkeit, denn die Arbeitgeber werden jene Mitarbei­ter einstellen, die keine Kinder von der Schule oder vom Kindergarten abholen müs­sen. Aber auch da scheinen Sie eine Lösung parat zu haben: Sie kürzen einfach die Gelder für die Kindergärten. Nicht nur, dass Sie diese Gelder um ein Viertel kürzen, sondern Sie lügen den Leuten ins Gesicht, dass es sich dann besser ausgehen wird. (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei der SPÖ. – Rufe bei der FPÖ: Hallo, hallo!)

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Liebe Ewa, darf ich dich ganz kurz un­terbrechen? Du kannst dann gleich weiterreden. Dürfte ich dich bitten, den Ausdruck „ins Gesicht lügen“ zurückzunehmen? Ansonsten würde ich dir einen Ordnungsruf er­teilen.

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Meiner Wahrnehmung nach ver­breiten Sie hier die Unwahrheit, wenn Sie den Menschen erzählen, dass sie mehr Freizeit haben werden. (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei der SPÖ. – Bundesrat Mayer: Das ist nicht zurückgenommen!)

Das ist nämlich insofern total durchschaubar, weil Sie ja selber immer wieder sagen, dass Sie für einen Umbau der Gesellschaft sind. Sie orientieren sich dabei nicht an der Zukunft, sondern an der Vergangenheit, und Sie machen kein Hehl daraus, dass die Emanzipation in Ihren Augen eigentlich eine Fehlentwicklung ist. (Bundesrat Spanring: Du hast gerade gesagt, dass die Frauen die Kinder vom Kindergarten abholen!) Sie vertreten ein Weltbild, in dem Männer alleine verdienen und Frauen zu Hause die Kin­der großziehen. Und ja, diese Arbeitszeitverlängerung passt in dieses Weltbild. Sie schafft den Rahmen für dieses Weltbild.

Ich kann Ihnen deshalb versprechen – auch wenn Sie sich lustig machen, dass wir Grüne hier nur noch zu zweit sitzen (Ruf bei der FPÖ: Ja, zu zweit, das ist eine komi­sche Mehrheit! – Heiterkeit bei der FPÖ) –: Wenn es darum geht, dass die Gesellschaft in Ihrem Sinne umgebaut werden soll, dann sind wir in der Mehrheit und nicht dieje­nigen, die von Großunternehmen dafür bezahlt worden sind.

Dein Chef ist nicht dein Haberer, heißt es, und Sie wissen wie ich, dass die Schutzbe­stimmungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht aus Jux und Tollerei ent­standen sind. Das betrifft auch jene, die Sie im Oktober gewählt haben und die sich im­mer mehr von Ihnen verraten fühlen.

Nach 200 Tagen dieser Regierung ist nämlich eines klar: Es braucht in diesem Land dringend einen Aufstand der Anständigen, einen Aufstand der AlleinerzieherInnen, ei­nen Aufstand der AlleinverdienerInnen und jener, die Sie allein und im Stich lassen. (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei der SPÖ. – Bundesrätin Schulz: Sie machen Aufstand!) Diesen Menschen nehmen Sie nämlich das Recht auf Familie, das Recht auf Freiheit und das bisschen Recht, sich gegenüber dem Arbeitgeber behaup­ten zu können. (Bundesrätin Zwazl: Nein, nein! – Bundesrat Samt: Hetzerin! Unglaub­lich! Unerhört, was Sie hier verbreiten! Unerhört! – Ruf bei der FPÖ: Die Redezeit ist erschöpft!)

Damit Sie im Sommer - -

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Bitte zum Ende kommen!

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Ich komme zum Ende. – Damit Sie im Sommer ein wenig über die Auswirkungen Ihrer Politik auf die breite Bevölkerung nachdenken können, und weil Sie hier versuchen, den Protest zu kriminalisieren, habe ich Ihnen tatsächlich ein Geschenk mitgebracht. (Ruf bei der ÖVP: Brauchen wir nicht! – Bundesrat Samt: Einen Pflasterstein? – Die Rednerin holt aus der mit zum Rednerpult gebrachten Stofftasche zwei Pflastersteine mit der roten Aufschrift „12“ hervor und hält diese in die Höhe. – Ruf bei der FPÖ: Na bitte! – Bundesrätin Mühl­werth: Wunderschön! – Bundesrat Steiner: Schämen Sie sich!)

Sie könnten im Sommer, wenn Sie am Pool liegen, diese Steine ein wenig heben, damit Sie merken, dass die Last nicht bei den Unternehmen und nicht bei den Konzer­nen liegt, sondern bei der Bevölkerung und dass Sie diese Last mit diesem Beschluss jetzt noch verstärken. (Ruf bei der FPÖ: Bei der Bevölkerung, die Sie nicht wählt! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Ich hoffe sehr, dass dieser Beschluss dazu beiträgt, dass es parteiunabhängig einen lauten Protest gibt, auch nach dem Sommer.

Sie brauchen nicht zu glauben, dass die Menschen vergessen werden, was Sie hier für ihren Alltag, für ihre Familie, für ihre Freizeit entgegensetzen und diese in der freien Gestaltung verunmöglichen. (Bundesrat Köck hält ein Blatt mit einer Abbildung, auf der ein Pflasterstein und ein Grablicht zu sehen sind, und der Aufschrift „Keine Gewalt ge­gen Politiker!!“ in die Höhe.) Ich wünsche Ihnen wirklich sehr, dass Sie selbst einmal davon betroffen sein werden, sich gegen einen Arbeitgeber nicht zur Wehr setzen zu können. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Noch einmal: Die Schutzbestimmungen gibt es nicht umsonst. (Bundesrat Krusche: Die Redezeit ist erschöpft!) Sie hebeln diese Schutzbestimmungen heute aus; seien Sie sich zumindest dessen bewusst! – Vielen Dank. (Beifall des Bundesrates Stögmül­ler sowie bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrätin Dziedzic verlässt das Rednerpult und legt die von ihr zuvor präsentierten Pflastersteine vor Bun­desministerin Hartinger-Klein auf die Regierungsbank. – Bundesrat Steiner: Was ma­chen Sie denn da?)

11.42

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Also die Pflastersteine werden wir bitte - - (Bundesrat Steiner: Ja wo sind wir denn überhaupt?) Dürfte ich ersuchen, die Steine dort wegzugeben? (Ruf bei der FPÖ: Wie kommen die denn überhaupt herein? – Ein Parlamentsbediensteter entfernt die Pflastersteine von der Regierungsbank.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. (Bundesrat Steiner: ... beim Hereinkommen überhaupt durchgelassen? Das ist ja ein Wahnsinn!) Ich erteile es ihm und würde wirklich bitten, dass wir jetzt wieder zur sachlichen Diskussion zurückkom­men.

Ewa, es war an der Grenze, muss ich dir schon sagen. (Bundesrat Spanring: Das war weit darüber! Das ist ein Skandal!) Ich bitte euch wirklich, dass wir zu dieser sachlichen Diskussion, die eigentlich ganz gut begonnen hat, wieder zurückkommen – ich bitte da­rum!

Gerd Krusche hat das Wort. (Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Am Wort ist Herr Bundesrat Gerd Krusche (Bundesrat Krusche – bereits am Redner­pult stehend –: Ich bedanke mich dafür!), und ich bitte - - (Bundesrätin Mühlwerth: Zur Geschäftsordnung!)

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Zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet hat sich Frau Fraktionsobfrau Mühlwerth. – Bitte.