12.01.32

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrtes Präsidium! Werte Frau­en Bundesministerinnen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Fangen wir mit etwas an, worauf wir uns alle einigen können: Das Ar­beitszeitgesetz ist genauso wie das Arbeitsruhegesetz ein wesentlicher Baustein beim Schutz der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieses Schutzgesetz wird nun zum Schaden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändert. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Wir stehen nun mitten in einer der größten Veränderungen der Arbeitswelt in der Ge­schichte der Arbeit. (Ruf bei der ÖVP: Stimmt nicht!) – Doch! Die Digitalisierung mit all ihren Entwicklungen und Auswirkungen (Bundesrat Rösch: Ja, wo denn?) ist in vollem Gange und wirkt sich auf alle Arbeitsplätze aus. (Bundesrat Rösch: Welche Punkte genau? – Ruf bei der SPÖ: Gut zuhören! – Bundesrat Rösch: Ja wenn sie es nicht sagt!) Sie wird die Arbeitswelt grundlegend verändern, und die Verteilung von Arbeit wird neu definiert werden. Es müssen jetzt dringend Schritte zur Gestaltung der Verän­derung im Interesse der Menschen und im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer gesetzt werden.

Die Arbeit hat sich in den letzten Jahren für die Menschen enorm verändert, sie ist we­sentlich rascher geworden, es ist ein ganz großer Druck da, das Arbeitstempo hat sich unglaublich erhöht, und die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen immer mehr. Reine Erholungszeiten gibt es nur mehr selten. Die Menschen beantwor­ten Mails in ihrer Freizeit, in ihrem Urlaub, und um Kosten zu sparen, wird in Betrieben mit immer weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gearbeitet. (Bundesrat Rösch: Produktivitätssteigerung!)

250 Millionen Überstunden werden in Österreich von den Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmern geleistet, 50 Millionen davon unbezahlt. In dieser Situation beschließt die Regierung (Ruf bei der ÖVP: Das Parlament, nicht die Regierung!) eine Ausweitung der Arbeitszeit auf 12 Stunden täglich und 60 Stunden in der Woche (Bundesrätin Mühlwerth: Das stimmt nicht!), in der Gastronomie werden Ruhezeiten verkürzt. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf die Veränderungen in der Arbeitswelt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Das ist falsch!)

Das Arbeitsruhegesetz ist anscheinend nur ein Klotz am Bein der Wirtschaft: keine für so ein wesentliches Gesetz notwendige ausreichende Begutachtung (Rufe: Karl Marx! ... Marx, praktisch Murks!); schnelle, marginale Änderungen, die in der Praxis nicht wirklich etwas verbessern; die Sozialpartnerschaft, das Erfolgsmodell für Öster­reich, wird außer Kraft gesetzt, und demokratisch gewählte Betriebsrätinnen und Be­triebsräte werden in ihren Mitspracherechten eingeschränkt. (Ruf bei der ÖVP: Das tut euch ...!) In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde das Inkrafttreten des Gesetzes auf 1.9. vorverlegt (Bundesrätin Mühlwerth: Das haben wir heimlich beschlossen ...!), das ist eine unglaubliche Vorgangsweise! (Beifall bei der SPÖ.)

Die sozialdemokratische Fraktion hat deshalb die Zivilgesellschaft aufgerufen, Stel­lungnahmen zu dieser Gesetzesänderung abzugeben, weil es sonst nicht möglich war. (Einen durch ein rot-weiß-rotes Band zusammengehaltenen Stapel A-4-Blätter in die Höhe haltend:) 200 Stellungnahmen (Bundesrat Steiner: Von euren Mitgliedern! – Zwi­schenruf des Bundesrates Köck) von Organisationen genauso wie von Einzelpersonen sind eingetroffen, unter anderem auch von der Bischofskonferenz. (Bundesrat Steiner: Von euren 200 übrig gebliebenen Mitgliedern! – Heiterkeit bei der FPÖ. – Ho-Ho-Rufe bei der SPÖ.) – Nein, nein, auch von der Bischofskonferenz, die sich strikt gegen die Arbeitszeiterweiterung ausspricht. (Ruf bei der ÖVP: Es haben ja nicht einmal alle Funktionäre zurückgeschrieben!)

Das Gesetz stellt einfach einen Raubzug an den Geldbörsln, an der Gesundheit und der Freizeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Die Arbeitszeit wird nicht wirklich flexibler, sondern sie wird einfach nur länger. Es fin­det kein Dialog statt (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), und alle Flexibilität, de­rer man sich jetzt so rühmt, geht nur zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer.

Ein wichtiger Punkt ist die Frage der Vereinbarkeit. Die Frauen tragen in Österreich die Hauptlast der Betreuungs- und Pflegearbeit. Jede zweite Frau in Österreich arbeitet bereits Teilzeit, mit all den Auswirkungen der Teilzeitarbeit auf das Einkommen und auf die zu erwartende Pensionsleistung, und oftmals ist das nicht freiwillig. (Hallo-Ruf bei der ÖVP.) Es fehlt mit Ausnahme von Wien in vielen Regionen an einer Betreuungs­struktur, die eine Vollzeitbeschäftigung überhaupt ermöglichen würde. (Bundesrat Stei­ner: Und warum fehlt es? – Bundesrat Weber: ... Mittel gekürzt!) Außerhalb von Wien sind nur 2 Prozent der Kinderbetreuungseinrichtungen 12 Stunden geöffnet. Inmitten dieser Problematik steht nun dieses Gesetz, und die Frauenministerin, die Familien­ministerin sagt, der weitere Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen sei eh nicht so wichtig; es stehen jetzt um 30 Millionen Euro weniger für diesen Ausbau zur Verfügung.

Kennen Sie die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen in Ihrer Region? (Rufe bei ÖVP und FPÖ: Ja, natürlich! Ja! Ja!) Ermöglichen diese Vollzeitbeschäfti­gung? (Ja-Rufe bei ÖVP und FPÖ.) – Dann muss die Tagesheimstatistik lügen, wenn Sie alle sagen, dass in allen Regionen Vollzeitarbeit für Eltern möglich ist. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Ich wage das zu bezweifeln, denn die Statistik schaut ganz anders aus. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Der Ausbau der Ganztagsschulen (Bundesrat Schuster: Zwangstagsschulen!) wird bis zum Jahr 2032 ausgedehnt. Wie können Eltern angesichts dieses neuen Arbeitszeitge­setzes zukünftig Beruf und Familie vereinbaren? Wie macht man das als Alleinerziehe­rin? 12 Stunden arbeiten, 2 Stunden hin- und herpendeln, um 7 Uhr aus dem Haus, um 21 Uhr zurück: Wie macht man das mit kleinen Kindern, wie macht man das mit älteren Angehörigen? Das gilt nämlich auch für die älteren Angehörigen, da in Österreich 80 Pro­zent der älteren Menschen zu Hause gepflegt werden. (Bundesrat Spanring: Das ist jetzt nicht anders!) Mit diesem Gesetz verfestigt man die Teilzeitarbeit von Frauen, und es besteht die Gefahr, dass sie aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Wir wollen kei­ne Altersarmut von Frauen! (Bundesrat Spanring: ... aber verursacht! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.)

Betreuungsarbeit braucht grundsätzlich Planbarkeit, Struktur und Rahmenbedingun­gen, das weiß jeder und jede, der oder die einmal Kinder aufgezogen hat. Kinder kann man nicht flexibel irgendwo hinstellen, sondern sie brauchen Rahmenbedingungen (Zwischenruf der Bundesrätin Ecker) und sie brauchen eine klare Struktur, die ihren Tag strukturiert. (Bundesrat Schuster: Auf die warten wir in Wien schon seit Langem!) Denken wir bitte an die Kinder: Was ist das für ein Zeichen für unsere Kinder, wenn man sie 14 Stunden lang in Betreuungseinrichtungen lässt? Ist das gewollt? Ist das der Sinn der Sache? – Das wird durch dieses Gesetz möglich, und das wollen wir auf kei­nen Fall. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Das findet ja jetzt schon statt!)

Die Gesundheit ist durch dieses Gesetz bedroht. Durch überlange Arbeitszeiten steigt das Risiko von Herzinfarkt und Schlaganfall genauso wie die Unfallgefahr. (Bundesrat Schuster: Was Sie da jetzt alles reininterpretieren ...!) Wir denken an die Menschen, die in Kälte und in Hitze arbeiten (Bundesrat Köck: ... alles zugelassen ...!), die schwe­re Lasten heben. Zukünftig ist es möglich, in einem Callcenter 12 Stunden lang Be­schwerden entgegenzunehmen. (Zwischenruf des Bundesrates Schuster.) – Ist das die Arbeitswelt, die wir wollen?

Lehrlinge über 18 Jahre dürfen ab nun auch 12 Stunden arbeiten. (Bundesrätin Mühl­werth: Ja, die dürfen auch mit 18 wählen! – Zwischenruf der Bundesrätin Ecker. – Bun­desrat Längle: Mit 18 ist man volljährig!) Ist das der Sinn der Lehrausbildung?

Aufgeweicht wird auch der besondere Schutz der Sonn- und Feiertagsarbeit. Die Aus­nahmen gelten nun für jeden einzelnen Mitarbeiter, das heißt, in einem Betrieb kann bei entsprechender Anzahl an MitarbeiterInnen das ganze Jahr über sonn- und feier­tags geöffnet werden – für Eltern mit Betreuungspflichten eine unglaubliche Belastung! (Vizepräsident Lindinger übernimmt den Vorsitz.)

Erholungszeiten und Privatleben haben für die Menschen viele Facetten. Es ist nicht nur die so wichtige gemeinsame Zeit mit den Kindern, mit der Familie; ArbeitnehmerIn­nen wollen und müssen sich erholen, sich weiterqualifizieren, Hobbys nachgehen oder – vor allem – sich in der Freiwilligenarbeit engagieren. Österreich ist dafür wirklich be­rühmt und hat eine wunderbare Freiwilligenstruktur – mit einer Ausdehnung der Ar­beitszeit wird das aber immer mehr verunmöglicht.

In der Gastronomie sollen die Ruhezeiten generell verkürzt werden. Gerade in diesem Bereich, in dem die Arbeit körperlich so anstrengend ist, ist eine derartige Verkürzung und ein Ausweiten der Arbeitszeit auf 12 Stunden eine extreme Belastung (Zwischen­ruf des Bundesrates Schuster); und wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch pendeln müssen, dann ist das wirklich unzumutbar.

Vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen sind leitende Angestellte und nun auch Perso­nen, die maßgeblich selbstständige Entscheidungsbefugnis haben. Das ist völlig un­ausgegoren. Wir wissen gar nicht, wie da die Personengruppe sein wird: IT-Spezialis­ten, WissenschaftlerInnen, Leute in den Gesundheits- und Sozialberufen – sie sind zu­künftig ungeschützt.

Dieses Gesetz – und das zu betonen ist, glaube ich, ganz wichtig – ist eine unglaublich große Herausforderung für die Länder. In den Ländern ist eine flächendeckende Betreu­ungsstruktur, um einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen zu können, nicht gegeben – mit Ausnahme von Wien. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Die Finanzierung der Kinderausbildungseinrichtungen wird gekürzt. Die Umsetzung bis zum 1.9.2018 bedeutet für die Länder: kein organisatorischer Vorlauf, es sind bereits alle Kindergartenplätze vergeben; der Zeitraum für den Ausbau der Ganztagsschule wurde bis 2032 verlängert. Es fehlt in vielen Regionen – und das zu betonen ist eben­falls wichtig – auch an der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs, die es den Men­schen ermöglicht, zeitflexibel zu ihren Arbeitsstätten und wieder zurück zu kommen.

Eine weitere Gruppe, die noch zu erwähnen ist, sind die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sind unglaublich leistungsfähig, sie haben ein unglaubliches Potenzial, und sie sind mit großem Wissen und großer Erfahrung ausgestattet; aber wir wissen aus den wissenschaftlichen Studien, dass sie Regenerations- und Erholungs­zeiten brauchen. Wie wird der Arbeitsmarkt nun für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aussehen, die eine stark von Arbeitslosigkeit bedrohte Gruppe sind? Wie wird es für sie zukünftig werden? Wie werden sie am Arbeitsmarkt mithalten können?

Die Bitte an alle Bundesrätinnen und Bundesräte ist, diesem Gesetz heute nicht zuzu­stimmen, denn man muss sich dessen bewusst sein, dass jede Zustimmung dazu bei­trägt, dass die Lebenssituation und die Arbeitssituation der Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer erschwert werden. (Bundesrätin Schulz: Das ist falsch!) Die Menschen in Österreich brauchen gute Arbeit und ein gutes Leben. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

12.12

Vizepräsident Ewald Lindinger: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile dieses. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach. – Bundes­rätin Zwazl – auf dem Weg zum Rednerpult –: Stefan, es braucht dir nicht schon im Vorfeld schlecht werden! – Bundesrat Schennach: Habe ich nicht gesagt!)