13.16.48

Bundesrat Dr. Gerhard Leitner (SPÖ, Kärnten)|: Herr Präsident! Meine Damen Minis­terinnen! Liebe Damen und Herren des Bundesrates! Bevor ich zu meinem Referat komme, das ich mir vorbereitet habe (Bundesrat Mayer: Wer hat es dir denn ge­schrieben?), ein Hinweis: Sehr geehrte Frau Wirtschaftsministerin, Sie haben von ei­nem Fachkräftemangel gesprochen. Den haben wir natürlich und wir wissen auch, dass beispielsweise insbesondere bei den Köchen im Tourismusbereich bereits schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen. Ich glaube, dass diese durch dieses Gesetz noch schlechter werden, und zwar deshalb, weil Sie die Ruhezeit für die Tourismusberufe – insbesondere auch bei den geteilten Diensten – von 11 auf 8 Stunden reduzieren. Das mag auch ein Grund dafür sein, warum es zu Mängeln in diesem Bereich kommt. (Bei­fall bei der SPÖ.)

Ein zweiter Hinweis zur Rede meines Kollegen Ofner, der heute auch sehr polarisie­rend und doch ein wenig polemisch war: Ich meine ganz einfach, lieber Kollege Ofner, dass sich bei deiner Argumentation die Katze in den Schwanz beißt. Auf der einen Sei­te attestierst du, dass die SPÖ eine Partei ist, die unfähig ist, die nichts versteht. Auf der anderen Seite repräsentierst gerade du eine Partei, die meines Erachtens für den größten Wirtschaftsskandal dieser Zweiten Republik in Österreich zuständig ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wissen, dass das Land Kärnten am Rande des Abgrunds gestanden ist, dass der Exekutor mehr oder weniger bereits vor der Tür gestanden ist und dass es eigentlich erst der Regierung Peter Kaiser und auch Finanzminister Schelling gelungen ist, diese Frage zu klären und damit auch diesen Finanzskandal zu bereinigen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Spanring: Griss-Bericht lesen! – Ruf bei der ÖVP: Nicht ablenken!)

Ich verstehe deine Argumentation auch deshalb nicht, weil ja dein Parteiobmann – und das ist auch publiziert worden – gesagt hat, dass sich am gesetzlich festgelegten 8-Stun­den-Tag und der 40-Stunden-Woche nichts ändert, es schon gar nicht eine Kürzung der Ruhezeiten gibt und es selbstverständlich auch weiterhin Überstunden nach Kol­lektivvertrag gibt. Es ändert sich laut Strache nichts, und wenn, dann nur freiwillig. (Bun­desrat Samt: Das stimmt ja! Genau das passiert!) – Ich weiß nicht, was man sich hier eingekauft hat, aber in jedem Fall ist das nicht der einzige Umfaller, den die FPÖ hier vorgenommen hat. Das soll auch hier gesagt werden!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Reformen werden an sich durchgeführt, um Entwicklungen grundsätzlich zu verbessern, wenn es notwendig ist, Anpassungen durch­zusetzen und auch eine entsprechende und erforderliche Transparenz zu schaffen. Sie sind notwendig und waren auch in den letzten Jahren in der Innenpolitik unseres Lan­des dort spürbar, wo es einen Bedarf an Reformen gegeben hat. (Ruf bei der FPÖ: Welche?) Es geht also nicht so sehr um die Frage, ob reformiert werden soll, sondern es geht vielmehr darum, wie Reformen angegangen und umgesetzt werden. (Bundes­rat Rösch: Beispiele!)

Die von der Regierung jetzt angebotenen Vorschläge, die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stun­den und ebenso die wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden zu erhöhen, belasten in Österreich Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Abgesehen von der fi­nanziellen Nichtabgeltung von sogenannten freiwilligen Überstunden sind auch sozial­politische und gesellschaftspolitische Auswirkungen zu bedenken. (Bundesrätin Mühl­werth: Ach Gott!)

Bei einer Verlängerung der Arbeitszeit steigt das Gesundheitsrisiko enorm, die Müdig­keit erhöht sich und damit steigt die Unfallgefahr sowohl im Arbeitsbereich als auch bei der Heimfahrt. Man bedenke auch, dass bei einer Arbeitszeit von12 Stunden und einer Anfahrt zum Arbeitsplatz von 1,5 Stunden bereits 15 Stunden des Tages verbraucht sind. Wie viel Zeit verbleibt dann noch für Familie und Kinder oder auch für einen selbst? – Da möchte ich Herrn Mag. Buchmann schon widersprechen, der gemeint hat, dass das soziale Engagement und die Zeit für die Familie steigen würden.

Um die entsprechende Leistungsfähigkeit im Arbeitsprozess zu erhalten und zu ge­währleisten, ist eine Begrenzung der Arbeitszeit ein unbedingtes Muss, meine sehr ge­schätzten Kolleginnen und Kollegen! Das liegt sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch im Interesse der Arbeitgeber. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Hammerl: Hören Sie doch auf mit dieser Polemik! – Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Man bedenke auch, und das wurde heute schon gesagt, dass der 12-Stunden-Tag vor allem zulasten der Frauen geht, vor allem zulasten der Frauen mit Kindern: Wer wird für diese Kinder sorgen? Wo gibt es entsprechende Kinderheimstätten, in denen die Kinder zum Beispiel 12 Stunden lang beherbergt und beaufsichtigt werden? – Das be­deutet eine ungemeine Mehrbelastung für arbeitende Frauen, die von der Regierung nicht als Problem erkannt oder anerkannt wird. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat May­er: Was ist mit den Krankenschwestern?)

Wenn Sie sich die Statistiken anschauen, sehen Sie: Nur jeder zweite Kindergarten in Österreich hat 9 Stunden lang geöffnet. (Der Redner hält ein Schriftstück in die Höhe, auf dem ein Diagramm mit der Überschrift „Nur jeder 2. Kindergarten in Österreich hat 9 Stunden offen“ zu sehen ist.) Wir haben es von Kollegin Schumann gehört, in Nieder­österreich, aber auch in Oberösterreich ist die Zahl dieser Kindergärten am geringsten, Wien und Kärnten sind hingegen relativ stark vertreten.

Man denke aber auch an den stets wichtiger werdenden Bereich der Pflege: Die Ver­einbarkeit von Pflege und Erwerbsarbeit wird praktisch verunmöglicht, wenngleich man weiß, dass gerade die Pflege ein Thema ist, das uns in Zukunft außerordentlich be­schäftigen wird. Das ist eine ungemein große Herausforderung, der wir uns werden stellen müssen.

Gestern hat ein Kollege – das hat mich verwundert – von einer Form der roten Klas­senkampfpolitik gesprochen. Ich möchte daher eine Ihnen eher nahestehende Insti­tution zitieren, nämlich die Österreichische Bischofskonferenz. Diese hat zum vorlie­genden Gesetzentwurf Folgendes zu sagen – ich zitiere –: „Die beabsichtigten Geset­zesänderungen verletzen völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Österreich und sind verfassungsrechtlich bedenklich. Die Planung derart umfassender Gesetzesände­rungen ohne Begutachtungsverfahrungen ist demokratiepolitisch bedenklich und eine Geringschätzung des Familienlebens mit gravierenden Auswirkungen auf die gesell­schaftliche Ordnung.“

Weiters verletzt „die nicht abgestimmte Vorgehensweise bei den geplanten Gesetzes­änderungen den in Österreich üblichen gesellschaftlichen Konsens [...], gesamtgesell­schaftliche Anliegen und Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Wege sozial­partnerschaftlicher Gespräche auszuhandeln, bevor diese im Parlament beschlossen wer­den“.

Es stellt sich die Frage, warum der bisher in unserer Republik so erfolgreiche Weg des Dialogs, das dialogische Prinzip, das Gespräch zwischen den Sozialpartnern verlassen wurde: Geht es da einzig und allein um politisches Machtstreben? (Zwischenruf des Bundesrates Köck.) Geht es um die Vergabe von Steuergeschenken an Kapitalgesell­schaften und Besserverdiener? 100 Jahre, nachdem der 8-Stunden-Tag eingeführt – ja, ich möchte schon sagen, erkämpft! – wurde, soll nun der 12-Stunden-Tag unter dem Pseudonym der Arbeitszeitflexibilisierung eingeführt werden. Das ist im Grunde ein enormer sozialer Rückschritt für unsere gesamte Gesellschaft! (Bundesrat Samt: Es gibt keinen 12-Stunden-Tag!)

Ich bin auch Vertreter des PVÖ, der größten österreichischen Pensionistenorganisa­tion, und möchte daher auch als Sprecher für die ältere Generation noch ein paar Wor­te sagen, die sicherlich auch die hier anwesenden Vertreter von Seniorenbund und Se­niorenring interessieren werden. Solche Maßnahmen, wie sie mit dieser Gesetzesän­derung vorgeschlagen werden, führen insbesondere bei den älteren Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmern zu enormen Belastungen, zu Verunsicherungen und vor al­lem – und das ist bewiesen – zu Gesundheitsrisiken.

Obwohl die Arbeitslosigkeit insbesondere bei den über 50-Jährigen trotz Hochkonjunk­tur groß ist, wurde die Aktion 20 000 über Nacht eingestellt – eine unverständliche Maß­nahme, bedenkt man doch, dass einigen Familien geholfen werden konnte und Men­schen damit wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden konnten. (Bundesrat Samt: Das haben wir schon vor längerer Zeit gehört!) Wenn es der Bundesregierung ein Anliegen wäre, dass die Menschen bis zum Regelpensionsalter im Arbeitsleben bleiben, dann soll sie Maßnahmen setzen, um diese Gruppe von Menschen zu unter­stützen, und sie sollte auch auf die Erhaltung der Gesundheit dieser Menschen Be­dacht nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Vor den Folgen einer zu erwartenden Überbelastung muss gewarnt werden: Übermü­dung, verminderte Schlafqualität, hohes Arbeitsunfallrisiko, Herz- und Kreislaufbeschwer­den beziehungsweise -erkrankungen, vermehrt Rückenschmerzen, höheres Burn-out-Risiko und vieles mehr. (Bundesrat Samt: Es kommt kein 12-Stunden-Tag, Herr Kolle­ge! – Bundesrat Längle: Glauben Sie den Blödsinn überhaupt, den Sie da erzählen?) Das sind nicht nur meine Bedenken, das sind die Bedenken namhafter und anerkann­ter Arbeitsmediziner in dieser Causa. Wenn solche Erscheinungen auftreten, wird ge­nau das Gegenteil dessen erreicht, was wir uns eigentlich alle wünschen, nämlich ge­sunde Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bis zum Regelpensionsalter arbeiten können. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Längle: 18 Jahre schon in Pension! Sind Sie mit 40 Jahren in Pension gegangen?)

Der Pensionistenverband hat sich dazu ganz klar geäußert: „Nach der Präsentation der Eckpfeiler der Änderungen in der Krankenversicherung [...] ist klar, dass die Patienten die Zeche für die allein ideologisch angelegte ‚Reform‘ durch voraussichtliche Leis­tungseinschränkungen und Selbstbehalte bezahlen werden müssen.“ (Zwischenruf des Bundesrates Hammerl.)

Weiters: „In gesundheitspolitischer Hinsicht sind jedenfalls keine Vorteile für die Versi­cherten erkennbar“ – und eines steht auch fest, nämlich dass die Pensionistinnen und Pensionisten, die mehr als ein Drittel der Beiträge einbezahlen, aufpassen müssen, dass sie auch in die Organisationsstruktur dieser neuen sogenannten Österreichischen Gesundheitskasse miteinbezogen werden. Wer bezahlt, meine Damen und Herren, der muss natürlich auch die Möglichkeit der Mitsprache haben! (Bundesrat Mayer: Arbeits­zeitgesetz!)

Vizepräsident Ewald Lindinger: Herr Kollege, bitte zum Schluss kommen!

Bundesrat Dr. Gerhard Leitner (fortsetzend): Ich komme zum Schluss, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Mit der Sozialversicherung gab es keinerlei Gespräche, der AUVA wurde ausgerichtet, sie habe 500 Millionen Euro einzusparen, den Arbeitnehmern knallt man den 12-Stun­den-Tag vor die Nase, und es gibt keine Verhandlungen mit der Arbeiterkammer, der Gewerkschaft oder den anderen Sozialpartnern. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Pi­sec: Es hört eh keiner mehr zu! – Bundesrätin Mühlwerth: Ja, bla, bla!)

Das ist für mich ein sozialer Kniefall der Regierung vor den Spendengeldern der Indus­trie. Es ist der Wunsch nach noch mehr Profit für ohnehin schon Wohlhabende. Es ist dies für mich eine Rückkehr in die soziale Eiszeit des 19. Jahrhunderts. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner. – Bundesrätin Mühlwerth: Im 19. Jahrhundert ist die Ge­werkschaft!) Ein solches Vorgehen, meine Damen und Herren, gefährdet den sozialen Frieden in Österreich. Die Regierung wäre gut beraten, wenn sie den Weg ihres Drü­berfahrens und Negierens, ihres Vermeidens von Gesprächen und Verhandlungen ver­lässt. (Beifall bei der SPÖ.)

Es muss wieder die Erkenntnis vorherrschen, meine Damen und Herren, dass der Mensch zählt und nicht der Profit. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

13.29

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Bun­desrat Reinhard Todt zu Wort gemeldet. – Bitte. (Ruf bei der FPÖ – in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Bundesrates Todt –: Von der eigenen Partei?)