12.34

Bundesrätin Andrea Wagner (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge­ehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen und auf der Galerie! Mit dem Genos­senschaftsspaltungsgesetz haben Genossenschaften in Zukunft die Möglichkeit, ge­nauso wie die Kapitalgesellschaften eine Spaltung vorzunehmen. Aus meiner Sicht ist das eine gute Weiterentwicklung und in Deutschland längst gesetzmäßig vorgesehen.

Herr Minister Moser hat im Nationalrat gemeint, dass dieses Gesetz nicht nur moder­ner wird, da Ungleichheiten beseitigt werden, sondern es wird auch durch den neuen Titel, nämlich Genossenschaftsgesetz statt Gesetz über Erwerbs- und Wirtschafts­ge­nossenschaften moderner. Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dessen Geburtstag sich heuer zum 200. Mal jährt, würde sich freuen zu wissen, dass seine Idee so beständig ist und hiermit weiterentwickelt wird.

Weltweit sind heute beinahe eine Milliarde Mitglieder in rund einer Million Genossen­schaften organisiert. In Österreich gibt es mehr als 1 500 Genossenschaften nach dem System Raiffeisen mit rund 2,1 Millionen Mitgliedern. 2016 erklärte die Unesco die Idee und Praxis der Genossenschaft zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit.

Was ist jetzt so besonders an einer Genossenschaft, welche Werte stehen dahinter? Und wie ist der wirklich moderne Name oder Begriff für eine Genossenschaft, bei dem auch die Jugend weiß, was gemeint ist? Oder anders: Wie transformieren, moder­ni­sieren wir den alten Begriff Genossenschaft und die Werte, die dahinter stehen, für die heutige Zeit?

Kurz gesagt könnte man sagen, Genossenschaften sind irgendwie die Urform des Crowdfunding. Wir haben heute schon über die Digitalisierung und die Digital Natives gesprochen, und da müssen uns wir Alten – sage ich einmal so – oft einmal infor­mieren, was Crowdfunding ist: Crowdfunding ist eine Form der Finanzierung, eben Funding durch eine Menge von Internetnutzern. Zur Spende oder Beteiligung wird über persönliche Homepages, professionelle Websites und spezielle Plattformen aufge­rufen. Die Rechtsform der Genossenschaft bietet sich in idealer Weise für die Um­setzung nutzenorientierter Crowdfundingprojekte an, auch weil sie mögliche Risiken einschränkt.

Vor allem im Rahmen regionaler Selbsthilfeaktivitäten bietet die Genossenschaft Vor­teile wie keine andere Rechtsform. Die demokratische Mitbestimmung der Bürger und eine regelmäßige Gebarungskontrolle durch die gesetzliche Revision steigern einer­seits die Entfaltungsmöglichkeiten der Genossenschaft, sorgen aber gleichzeitig auch für mehr Investitionssicherheit für die Mitglieder.

Was sind jetzt genau die Besonderheiten der Genossenschaft? – Eben die Selbst­hilfe­vereinigung: Ziel ist die gemeinschaftliche Selbsthilfe nach dem Leitmotiv: Was einer nicht schafft, das schaffen viele.

Der Förderungsauftrag wird erfüllt: Genossenschaften bezwecken zuallererst die wirt­schaftliche Förderung ihrer Mitglieder. Die Mitglieder können zugleich Kunden und/oder Lieferanten der Genossenschaft sein. Professionelles Wirtschaften schafft die nötige Grundlage für die nachhaltige Erbringung von Förderleistungen. In der Geschäfts­beziehung zu ihren Mitgliedern stellt die Genossenschaft den Nutzen des Mitglieds und nicht die Maximierung ihres eigenen Profits in den Vordergrund. Die Molkereige­nos­senschaft beispielsweise versucht auf Basis ihres Verarbeitungs- und Vertriebserfolgs den ihr angehörenden Milchbauern einen möglichst guten Milchpreis zu zahlen. Dass das nicht immer einfach ist, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, denn als landwirtschaftlicher Betrieb sind wir natürlich bei der Molkereigenossenschaft und auch beim Lagerhaus Mitglied.

Die Selbsthilfe ist ein weiterer wichtiger Punkt, die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe. Die Idee, die der heutigen Genossenschaft zugrunde liegt, hat eine ihrer Wurzeln in der alten Erkenntnis, dass ein Einzelner gemeinsam mit anderen eben mehr erreichen kann als allein. Der Mensch braucht die Gemeinschaft und ordnet sich daher in sie ein. Er gibt seinen Mitmenschen Hilfe und erwartet andererseits Hilfe von ihnen.

Die Selbstverwaltung: Die Genossenschaft ist eine demokratisch organisierte privat­wirtschaftliche Unternehmensform, bei der alle Mitglieder gleiche Rechte und Pflichten haben. Und dann noch die Selbstverantwortung: Die solidarische Wirtschaftsgesinnung der Mitglieder kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie auf Basis eines gemeinsamen Ziels für die Genossenschaft einstehen.

Als Beispiele neben den allgemein bekannten Genossenschaften gibt es auch Bei­spiele, die oft nicht gleich eine Genossenschaft als Rechtsform vermuten lassen, wo man die Genossenschaft sozusagen nicht gleich am Namen erkennt. Bei uns in Nie­derösterreich ist das zum Beispiel die Erzeugergemeinschaft Gut Streitdorf. Dann gibt es noch die Autarkler, eine Gemeinschaft für naturnahes Leben, oder den Kreispunkt Physiotherapie in Bregenz. Etliche Biomasseheizwerke sind genossenschaftlich organisiert. Die Vorarlberger, habe ich festgestellt, haben bereits viele Ideen in Form einer Genossenschaft umgesetzt.

Die Genossenschaft ist aufgrund der Ausgestaltungsmöglichkeiten, die das Genossen­schaftsgesetz bietet, eine sehr flexible Rechtsform, und daher gibt es eine Vielzahl von Gestaltungsformen. Eine ist zum Beispiel die Direkte Bürger-Genossenschaft. Ein gutes Beispiel aus Vorarlberg – bei dem ich Mithilfe bei der richtigen Aussprache brauche – ist üser Wirtshus im Bregenzerwald. In diesem Ort hat durch die Schließung des Cafés ein Treffpunkt gefehlt, es hat keine geeignete Lokalität für die Jugend gegeben oder einen Raum, wo man Sitzungen abhalten kann. Gleichzeitig hat es auch an einer gesicherten Einkehrmöglichkeit für einheimische Gruppen und Touristen ge­fehlt. Daher hat sich eine Gruppe engagierter Bürger in Form einer Bürger-Genos­senschaft zusammengeschlossen, das Café erworben, renoviert und wieder in Betrieb genommen.

Die Mitglieder und Bürger haben eine direkte Mitsprache, eine direkte Verbindung zum Projekt. Es ist eine sichere und nachhaltige Wirtschaftsform. Durch das Spaltungs­gesetz können Genossenschaften auch wieder kleiner werden und sich auf ihre Kern­kom­petenzen konzentrieren. Das ist meiner Meinung nach eine wesentliche Weiter­entwicklung des Genossenschaftsgedankens und stellt eine zeitgemäße Gesetzge­bung dar, damit die Genossenschaften auch weiterhin unter dem Motto „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“ eine Zukunft haben. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

12.41

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Bernhard. Ich erteile dieses. – Bitte.