15.32

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin der festen Überzeu­gung, dass das Abschaffen des Zugriffs auf Vermögen bei der Unterbringung von Per­sonen in stationären Pflegeeinrichtungen ein ganz wichtiger und gerechter Schritt ist. Eine solidarische Gesellschaft beruht auf dem Prinzip, dass bessergestellte Menschen die Menschen, die weniger privilegiert sind, zu unterstützen haben, dass die jüngere Generation sich um die ältere Generation kümmert.

Genauso sehe ich es beim Thema Pflege und Betreuung von älteren Menschen, denn, ganz ehrlich, jeder von uns wünscht sich irgendwann einmal die Gewissheit, egal wie und wohin das Leben auch verlaufen ist, dass man im Alter nicht ganz alleine und auf sich gestellt ist. Gerade in Zeiten, in denen die Arbeitsmarktsituation immer prekärer wird, junge Menschen hinsichtlich ihrer Zukunft immer unsicherer sind, von Praktikum zu Praktikum springen müssen, braucht es eine Gewissheit, dass zumindest die Pen­sion, die Betreuung im Alter abgesichert ist.

Unsere Aufgabe als PolitikerInnen ist es, Sicherheit, soziale Sicherheit zu schaffen – und das beginnt nun einmal bei der Finanzierung. Wir Grüne haben bereits im Ju­li 2017, als die Abschaffung mittels Abänderungsantrag durch das Parlament gebracht worden ist, auf das Riesenproblem der Finanzierung hingewiesen; denn die 100 Millio­nen Euro, die der Pflegefonds zur Ausschüttung erhalten hat, sind – und man sieht es jetzt genau – unmöglich ausreichend, um den Entfall der Einnahmen für die Sozialhil­feverbände, für die Länder und die Gemeinden auszugleichen. Es wurde dazumal kei­ne Kostenabschätzung gemacht, es gab keine Vereinbarung mit den Ländern – und wir Grüne haben dieses Vorgehen auch hier im Bundesrat als Ländervertreter massiv kritisiert. Diese gerechte und längst überfällige Abschaffung des Pflegeregresses war damals leider als Schnellschuss ohne wirkliche Gegenfinanzierung dem Wahlkampf geschuldet. Und so ehrlich muss man sein, so positiv ich es auch finde: Man hätte das schon viel früher, viel stärker, viel durchdachter, viel sinnvoller umsetzen können.

Das wird jetzt ausgebessert, deswegen werden wir Grüne dem natürlich auch zustim­men, das ist überhaupt keine Frage. Ich möchte aber schon noch eines sagen, das muss ich bei dem wichtigen Thema Pflege ansprechen: Es braucht ein Konzept, um die Pflege zukunftsfit und auch finanzierbar beziehungsweise attraktiv zu gestalten. Ohne ein umfassendes Konzept wird die Betreuung von älteren Menschen gegen die Wand gefahren werden – das müssen wir begreifen und auch angehen –, denn auf­grund der demografischen Entwicklung und des zunehmend verringerten Pflegepoten­zials innerhalb von Familien wird sich die Situation zukünftig noch weiter zuspitzen.

Die Pflege innerhalb der Familie ist nach wie vor die wichtigste Pflegeform – Kollegin Schumann hat es schon angesprochen –, es sind nach wie vor mehrheitlich Frauen, die sich unentgeltlich um Angehörige kümmern. Dieses System gerät jedoch aufgrund der demografischen Entwicklung, der Veränderung von Haushaltsstrukturen, es gibt immer mehr Singlehaushalte, der Gesundheitsentwicklung und der erhöhten Erwerbs­beteiligung von Frauen immer mehr in Ungleichgewicht, immer mehr unter Druck. Die Frage, wie Langzeitpflege in den kommenden Jahren organisiert und finanziert werden kann, soll uns alle gerade auch hier im Bundesrat wirklich beschäftigen.

Aktuelle Studien gehen davon aus, dass die Ausgaben für das Pflegegeld bis zum Jahr 2050 um 67 Prozent und die Ausgaben für Pflege- und Betreuungsdienste sogar um 360 Prozent steigen werden – also da kommen noch ganz andere Hürden und He­rausforderungen auf uns zu. Es ist höchste Zeit, um eine langfristige finanzielle Absi­cherung der Pflege sicherzustellen. Der Pflegefonds, der Länder und Gemeinden mit Zweckzuschüssen finanziell unterstützt, leistet einen guten Beitrag dazu, das steht meiner Meinung nach außer Frage, er wird jedoch immer nur temporär finanziell aus­gestattet. Das bedeutet, es fehlt Bund, Ländern und Gemeinden einfach die langfristige Perspektive.

Für uns Grüne ist klar, dass man aufgrund der steigenden Kosten nicht ohne zusätzli­che Mittel aus Erbschafts- und Schenkungssteuer für die Pflege auskommen wird. Wir Grüne sprechen uns klar für die Beibehaltung eines Pflegesystems aus, das durch all­gemeine Steuern finanziert wird, denn dadurch ist auch in Zukunft – und das ist mir wichtig – sichergestellt, dass wirklich alle und nicht nur die privilegierten Menschen in Österreich einen Anspruch darauf haben.

Wir fordern eine massive Aufwertung der Carearbeit, die fast ausschließlich von Frau­en geleistet wird. 75 bis 80 Prozent der Pflegeleistungen werden informell geleistet, das heißt, 80 Prozent der zu pflegenden Menschen werden von Angehörigen, Ver­wandten, FreundInnen, Nachbarn oder sonst irgendjemandem betreut – und das, wie bereits gesagt, ohne Bezahlung. Diese wichtige Arbeit leisten die Frauen ohne Anrech­nungszeiten, ohne Versicherungszeiten und mit allgemein verschwindender Wertschät­zung bezüglich Sozialleistungen.

Es braucht nun endlich einmal einen bundeseinheitlichen Personalschlüssel in den sta­tionären Betreuungseinrichtungen, der sich auch wirklich an die aktuellen Herausfor­derungen, die aktuellen Situationen in den Pflegeeinrichtungen anpasst. Ich sage nur: Stichwort Demenz, Pflegestufe 3 – die Leute, die sich mit diesem Bereich beschäfti­gen, wissen, was ich meine.

Ein riesiges Problem, das auf uns zukommt, das noch gar nicht, glaube ich, wirklich an­gesprochen worden ist – und alle, die im Sozialhilfeverband, in den Bezirken und so weiter tätig sind, wissen es –, ist, dass es einfach keine Pflegekräfte mehr gibt. Wir ha­ben einen akuten Pflegekräftemangel draußen in der Peripherie, das ist ein Riesenpro­blem, das müssen wir angehen. Egal ob in der mobilen oder in der stationären Betreu­ung, da braucht es definitiv eine Anhebung der Löhne, moderne Arbeitszeitmodelle, Personalschlüssel, klare Kompetenzverteilung, Druck von den Pflegekräften. Ich glau­be, das wird für die langfristige Absicherung im Sinne der Pflege wirklich notwendig sein. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Das ist auch an Sie, Herr Vi­zekanzler, gerichtet: Vielleicht können Sie das dem Sozialministerium ausrichten, da braucht es wirklich Antworten, damit wir zukunftsfit werden.

Herr Vizekanzler, so ungern Sie das auch hören, reden wir doch bitte wirklich einmal über eine Erbschafts- und Schenkungssteuer mit einem Schonvermögen! Ich rede jetzt nicht von einem generellen Drüberfahren oder einer Massensteuer, wie es die Sozial­ministerin im Nationalrat behauptet hat (Bundesrat Schuster: Noch mehr Steuer! Ab­zocke!) – nein! –, sondern davon, dass es wirklich nur die trifft, die es sich leisten kön­nen, die Millionäre sind, die erben. Ich rede nicht von einer Angleichung von allen, ich rede von einer solidarischen Gesellschaft, davon, dass die Reichen etwas für die Ar­men hergeben, dass es eine solidarische Gesellschaft ist. In einer sozial abgesicherten Gesellschaft profitieren auch die reichen, die wohlhabenden Menschen, das wäre sinn­voll. Davon, dass es jemandem schlechter geht, profitieren ja die Reichen auch nicht. Wir brauchen eine solidarische, eine sozial abgesicherte Gesellschaft.

Hinsichtlich der Finanzen braucht es auch längerfristige Perspektiven der Finanzierung von Bund und Ländern, die über Legislaturperioden, über Finanzausgleichsperioden hi­nausgehen, und nicht jedes Jahr wieder neue Finanzverhandlungen. Es braucht fi­nanzielle Absicherungen für alle Stakeholder da draußen. Zudem muss es gelingen, dass im Rahmen des Pflegefonds eine österreichweite Vereinheitlichung des Pflege- und Betreuungsangebots erreicht wird. Das wäre notwendig, denn derzeit entscheidet de facto die Postleitzahl über das Ausmaß, die Kosten und die Qualität der Leistungen, die pflegebedürftige Menschen erhalten. Das ist ungerecht und das müssen wir än­dern.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die steigenden Kosten in der Pflege nicht nur als Problem, sondern auch als Chance gesehen werden. In einer gesamtwirt­schaftlichen Perspektive führen die Investitionen zu einer höheren Beschäftigung, zu Mehreinnahmen bei der Lohnsteuer und im Sozialversicherungssystem sowie geringe­ren Ausgaben in der Arbeitslosenversicherung. Pflegepolitik verlangt Weitblick und ein langfristiges Konzept, damit auch weiterhin jeder Mensch einen Zugang zu qualitätsvol­ler Pflege und Betreuung hat.

Ich hoffe wirklich, dass sich diese Bundesregierung dieses Themas ernsthaft annimmt. Es ist jetzt ein Entwurf gekommen – die Frau Kollegin hat da schon hineingeschaut –, wir werden ihn genau begutachten, wir werden darüber reden und, wie gesagt, wir Grüne werden uns konstruktiv, wenn gewollt, daran beteiligen, auch in den Ländern draußen. Ich glaube, es ist notwendig, dafür zwischen Bund und Ländern eine gute Ko­operation zu finden.

Ich sage vielen Dank, und natürlich werden wir dem heute zustimmen. – Danke. (Bei­fall bei BundesrätInnen der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

15.40

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Zu Wort gelangt Herr Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Ich erteile es ihm.