9.45

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Wertes Präsidium! Werte Frau Bun­desministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Dieses völlig fälschlich als Reformvorhaben verkaufte vorliegende Sozialversiche­rungs-Organisationsgesetz stellt einen schweren Schlag gegen die Versorgung der Versicherten dar. Mühsam, mit viel Mühe haben sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer das Sozialversicherungsgesetz erkämpft. Das ist nicht geschenkt worden. Da hat kein Arbeitgeber gesagt: Super, wir machen euch jetzt ein Sozial­versicherungs­gesetz! – Mitnichten! Es ist mühsam und schwer erkämpft worden. Und heute wird mit diesem Gesetz die Selbstverwaltung zu Grabe getragen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, Danke zu sagen, weil dieser Herbst gezeigt hat, wie toll, mit wie viel Engagement die Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die Per­sonalvertreterinnen und Personalvertreter arbeiten. Dafür ist hier Danke zu sagen. Es gab Tausende von Betriebsversammlungen. Sie haben sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingesetzt, und darauf kann man stolz sein. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Mit diesem Gesetz wird die Selbstverwaltung zu Grabe getragen. Durch das vorlie­gende Gesetz erhält die Arbeitgeberseite die Mehrheit in den Gremien der neuen Gesundheitskasse. Der Vorsitz wurde für die Wirtschaft gleich für die ersten 15 Monate fix festgeschrieben. Das ist eindeutig eine Machtverschiebung hin zur Wirtschaft. – Na dann, die Wirtschaft hat sich mithilfe dieser Bundesregierung wieder durchgesetzt. (Bundesrat Seeber: Die Wirtschaft sind wir alle! – Zwischenruf bei der FPÖ.)

Von vielen unabhängigen Experten wurde klar festgestellt, dass es sich bei diesem Gesetz um eindeutige Verletzungen von Verfassungsrecht handelt. Auch das ist der Bundesregierung gleichgültig, Hauptsache: durchziehen und ja keine sozialpartner­schaftlichen und echten Verhandlungen.

Die märchenartige Versprechung von der Patientenmilliarde hat sich als Luftballon erwiesen. Längst ist diesem verbalen Luftballon die Luft ausgegangen, und niemand in dieser Republik, übrigens auch nicht der Rechnungshof, glaubt mehr daran, dass diese Milliarde für die Patientinnen und Patienten wirklich zur Verfügung stehen wird. Im Gegenteil: Die Regierung spart bei den MitarbeiterInnen der Österreichischen Gesund­heitskasse ein. 30 Prozent weniger BearbeiterInnen in den nächsten Jahren, das sind 6 000 Arbeitsplätze. Was das für die Bearbeitungsdauer, für die Auszahlung des Krankengeldes, des Kinderbetreuungsgeldes, für die Serviceleistung bedeutet, kann man sich ja leicht vorstellen. Gespart wird aber sicher nicht bei den Leitungsfunktionen.

Was wird man machen, wenn man nicht den gewünschten Einsparungserfolg erzielt? – Es kann dann ja nur zu Leistungskürzungen und zur Einführung von Selbstbehalten kommen.

Innerhalb eines Dreivierteljahres soll diese Reform über die Bühne gehen. Eine Kas­senzentralisierung in diesem Ausmaß – sie betrifft 7,1 Millionen Versicherte – soll innerhalb eines Dreivierteljahres durchgepeitscht werden! Das entspricht einem Jah­resumsatz von 13,5 Milliarden Euro, das ist mehr als der Umsatz der gesamten Voest­alpine. Kein großes Unternehmen der Welt, das verantwortungsvoll handelt, würde eine Zusammenführung in solch einem Zeitkorsett durchziehen.

Auf die Expertise der in den Sozialversicherungsträgern Tätigen wird trotz vielen Angeboten und Handreichungen völlig verzichtet – keine Verhandlungen, wieder kein sozialpartnerschaftliches Miteinander. Was aber sicher ist, sind Fusionskosten in der Höhe von 500 Millionen bis 600 Millionen Euro. Das trägt die neue Gesundheitskasse. Dazu kommen noch 589 Millionen Euro, die durch die Kürzung der Unfallver­siche­rungsbeiträge für die AUVA auf die neue Gesundheitskasse zukommen. Das sind lauter Belastungen. Diese Reform wird ein Milliardengrab. Die Gesundheitskasse wird lange mit der Fusionierung beschäftigt sein – und da werden kein Platz und keine Energie für etwaige sinnvolle Reformen sein.

Ja, ein weiterer Luftballon dieser Regierung war das Versprechen der Leistungshar­monisierung – Luftballon zerplatzt! Im Gegenteil, es kommt zu keiner Harmonisierung der Leistungen auf einem höheren Standard. Die Leistungsunterschiede bleiben be­stehen, kein Risikoausgleich zwischen den Sozialversicherungsträgern. (Heiterkeit und Zwischenruf bei der ÖVP.) Aus unserer Sicht haben alle Menschen in Österreich ein Recht auf eine gleiche qualitätsvolle Gesundheitsversorgung. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

Damit sind wir beim Kern des Regierungsvorhabens: Das öffentliche Gesundheits­system soll geschwächt und Tür und Tor sollen für private Gewinninteressen geöffnet werden. Die Fast Lane in den Ambulanzen und die VIP-Lounges waren ein Vor­ge­schmack dessen, was die Versicherten so erwartet. Wenn man finanzkräftig ist, erhält man eine schnellere und bessere Gesundheitsleistung, wenn man die Mittel nicht hat, dann ist man eben Kranker zweiter Klasse. Das ist der wahre Gedanke dahinter. (Ruf bei der FPÖ: In Wien, ja! In Wien ... drittklassig! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Wir brauchen Kreditkarte statt e-card. Das ist die Zielrichtung (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ sowie des Bundesrates Beer), mit der diese Regierung vorgeht. Es gibt auch 14,7 Millionen Euro für den Fonds zur Finanzierung privater Krankenanstalten. – Na, die Richtung ist doch eindeutig!

Für die Länder sind die Auswirkungen dieser Fusion ganz enorm. Es kommt zu einer Zentralisierung mit allen Auswirkungen. Auch da gab es wieder einen Luftballon: Die Landesstellen werden ihre Selbständigkeit behalten. – Auch diesem Luftballon­argu­ment geht die Luft aus. Es kommt zu einer Zentralisierung, und die Landesstellen sind weisungsgebunden.

Die Wertschöpfung und Kaufkraft in den Ländern wird geschwächt werden, weil zu­künftig die Verträge mit großem Ausschreibungsvolumen nur mehr zentral gemacht werden. Durch solch eine Zentralisierung sind die Ausschreibungsvolumen sehr bald über dem entsprechenden Niveau, wodurch man europaweit ausschreiben muss. Welcher Anbieter dann den Zuschlag bekommt, wird man sehen (Ruf bei der FPÖ: Das ist ein Europagesetz!)  sicher nicht der aus dem eigenen Land, denn die Konkurrenz ist zu groß. Damit verlieren auch wieder die Bandagisten in den Ländern und all die kleinen Gewerbetreibenden.

Die Österreichische Gesundheitskasse wird zukünftig einen Gesamtvertrag mit der Ärztekammer abschließen. Die Auswirkungen dieser Machtlage kann man sich vorstel­len. Die Besetzung der Leitungsfunktionen erfolgt zentral. Die zukünftige Finanzierung ist nicht geklärt; es ist nicht klar, wie es bei den Ländern aussehen wird. Initiativen, die die Länder bisher gesetzt haben, werden durch die Zentralisierung verhindert.

Alle Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Gesetz zustimmen, müssen wissen, dass sie damit zum Schaden der Versicherten handeln. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.) Die Sicherstellung des Funktionierens des bewährten Sys­tems der österreichischen Sozialversicherung wird gefährdet. Wir werden nicht müde werden, dieses Gesetz zu bekämpfen und die Menschen darüber zu informieren, was diese Fusion an Verschlechterungen für sie bedeutet. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

9.52

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Rosa Ecker. Ich erteile ihr dieses.