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Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Ministerin! Kollegen und Kolleginnen! Die Auswirkungen dieser vermeint­lichen Reform sind so weitreichend, dass die Komplexität auf jeden Fall einmal Klarheit braucht.

Ich fasse zusammen: Die staatliche Gesundheitsbeihilfe für Kassen wird gekürzt. Das ist Fakt. Die Patientenmilliarde ist ein schlechter Schmäh, um nicht zu sagen Fra­mingpropaganda. Die Krankenversicherung soll dazu eine Privatklinik von Freunden finanzieren, und es handelt sich um eine pauschale Schädigung der Krankenkassen.

Insgesamt etwa 7,2 Millionen Menschen haben in Österreich Anspruch auf Leistungen einer Gebietskrankenkasse. Bei einem Gesamtbudget von rund 15 Milliarden Euro ist für 2020 ein Defizit von 73 Millionen Euro vorhergesagt. – Sie können gerne mit­schreiben, es würde mich interessieren, was Sie zu diesen Zahlen sagen (Bundesrätin Mühlwerth: Das zahlt sich bei Ihnen nicht aus! – Zwischenruf bei der ÖVP); das sind nämlich nur ein paar, zu denen im Vorfeld dieses Gesetzes Stellung zu beziehen und klare Berechnungen vorzulegen Sie nicht imstande waren. Das ist insofern tragisch – und da geht es nicht um irgendwelche Befürchtungen der Oppo­sition –, als es vor allem die Patienten und Patientinnen betrifft, die jetzt nicht wissen, was auf sie zu­kommt.

Es sind nämlich zahlreiche praktische, rechtliche und auch finanztechnische Fragen offengeblieben. Ein entscheidender Effekt des Sozialversicherungs-Organisations­ge­setzes ist die Aushebelung des demokratischen Prinzips in der Selbstverwaltung, diese Kritik haben wir im Vorfeld des Öfteren gehört. Obwohl nämlich – ich erkläre es auch gerne – in der zukünftigen Österreichischen Gesundheitskasse und in der Pensions­ver­sicherungsanstalt kein einziger Selbstständiger beziehungsweise keine einzige Selbstständige versichert sind, erhalten Vertreter und Vertreterinnen der Wirtschafts­kammer – da haben wir sie wieder – nicht nur 50 Prozent der Mandate in den Gremien der beiden Träger, sondern verfügen dort auch faktisch über ein Vetorecht.

Auffällig ist auch, dass die Bundesregierung zwar mit Schlagworten wie Verein­heit­lichung von Leistungen und Gerechtigkeit für ihr Gesetz geworben hat und noch immer wirbt, durch das Gesetz jedoch keinerlei organisatorisch wirksamen Effizienzsteigerun­gen erreicht werden können. So kann es etwa bei der Zusammenlegung der Ver­sicherungsanstalten für Gewerbetreibende und für Bauern, Bäuerinnen oder für Beamten, Beamtinnen und für Eisenbahner schon allein deshalb keine Effizienz­stei­gerung geben, weil unterschiedliche Rechtsgrundlagen – und das sollten Sie wissen! – für diese Berufsgruppen keine sinnvolle Kooperation zulassen.

Fakt ist: Eine Vereinheitlichung von Leistungen der unterschiedlichen Kassen findet nicht statt – das festzuhalten ist mir wichtig; diese findet nicht statt –; statt einer Verein­heitlichung und Gerechtigkeit betoniert die Bundesregierung aber die Mehrklassen­medizin.

Ich habe eingangs von Verunsicherung gesprochen, und Sie könnten den Patienten und Patientinnen zumindest heute ein kleines Weihnachtsgeschenk machen und vielleicht die eine oder andere Frage beantworten, die noch immer im Raum steht und die noch immer für Aufregung sorgt. Zum einen: Wann ist mit dem erstmaligen Erlass einer Verordnung nach § 31 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes hinsichtlich der Einhebung von Selbstbehalten beim Besuch von Ärzten und Ärztinnen zu rechnen? (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Die Bundesregierung nimmt eine lineare Kostenreduktion bei den Verwaltungs- und Verrechnungskosten von 7,5 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2023 an. Gleichzeitig werden der Österreichischen Gesundheitskasse jedoch deutlich mehr Mittel entzogen, als durch die behaupteten Einsparungen eingebracht werden können. Wie ist aus Ihrer Sicht, das ist die zweite Frage, das so entstehende Defizit in den Jahren 2019 bis 2023 abzudecken?

Weiters: Wie rechtfertigen Sie die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und -neh­merinnen hinsichtlich ihrer Vertretung in den Verwaltungskörpern? Und weiter: Wie rechtfertigen Sie die Stimmenmehrheit der Arbeitgebervertreter im Dachverband, obwohl nur etwa ein Sechstel aller Versicherten selbstständig ist?

Auch offengeblieben ist – und das ist für die Länderkammer besonders interessant –: § 443 ASVG sieht vor, dass die Beitragseinnahmen eines Bundeslandes auch für die Leistungen der Versicherten in diesem Bundesland aufgewandt werden müssen. Tatsächlich – das wissen Sie vielleicht – bedecken die Beitragseinnahmen jedoch nur zwischen 80 Prozent, wie in Kärnten der Fall, und 90 Prozent, wie in Salzburg der Fall, der Kosten für Gesundheitsleistungen für die Versicherten. Meine Frage: Auf welche Weise sollen Ausmaß und Qualität der Leistungen für die Versicherten sichergestellt werden, wenn die Beitragseinnahmen die Kosten für Gesundheitsleistungen nicht abdecken können? Und was sagen Sie als Ländervertreter dazu?

Das neue Gesetz sieht weiters keinerlei Vorkehrungen etwa betreffend Fusionskosten vor – das haben wir heute schon gehört –, und mich interessiert, wie aus Ihrer Sicht die anfallenden Fusionskosten finanziert werden sollen, ohne die Versicherungsleistungen zu verringern oder gar zu verschlechtern.

Hinzu kommt: Ein großer Teil der von der Regierung behaupteten Einsparungen findet, sofern sie überhaupt realisierbar sind, in der Pensionsversicherung der Unselbst­stän­digen statt. Gleichzeitig verspricht die Regierung die erwähnte Patientenmilliarde, also mehr Leistungen in der Krankenversicherung. Meine Frage: Inwiefern kommen Ein­sparungen in der Pensionsversicherung den Patienten und Patientinnen in der Kran­kenversicherung überhaupt zugute?

In diesem Zusammenhang ist auch Folgendes relevant: Die Gebietskrankenkassen haben einen Verwaltungs- und Verrechnungsaufwand von 294,6 Millionen Euro – im Jahr 2018 –, wie soll daraus eine Patientenmilliarde finanziert werden?

Weiters: Die gesamte Krankenversicherung verursacht einen Verwaltungs- und Ver­rech­nungsaufwand von 498 Millionen Euro – auch im Jahr 2018 –, und auch da stellt sich die Frage, wie die angekündigte Patientenmilliarde daraus finanziert werden soll.

Die Menschen interessiert weiters auch, wie die Gesundheitskasse die Versicherungs­leistungen für die Versicherten sicherstellt, wenn 30 Prozent des Personals eingespart werden sollen. In diesem Zusammenhang ist auch nicht uninteressant: Der Bundes­kanzler hat ja im Zusammenhang mit der Steuerreform eine Senkung von Beitrags­sät­zen in der Sozialversicherung angekündigt, und mich würde schon interessieren – und ich hoffe, Sie (in Richtung der auf ihr Handy schauenden Bundesministerin Hartinger-Klein) haben sich damit beschäftigt –, welche Vorarbeiten es im Sozialminis­terium dazu gibt – vielleicht finden Sie das am Handy. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Warum wird auch – die letzte Frage – angesichts des behaupteten Ziels einer Effi­zienz­steigerung die Eingriffsmöglichkeit der Aufsicht überhaupt vergrößert? (Zwischen­ruf bei der ÖVP.) Und welche Pläne gibt es hinsichtlich jener Beträge, die die Sozial­versicherung zukünftig für die Arbeit ihrer eigenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Beitragsprüfung an das Finanzministerium zu leisten hat?

Sie schütteln den Kopf, Sie schauen auf Ihr Handy, Sie hören auch nur mit einem halben Ohr zu. (Ruf bei der FPÖ: Ist auch schon zu viel! – Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich habe im Vorfeld überlegt, welches Geschenk ich Ihnen heute mitnehmen (Ruf bei der FPÖ: Pflastersteine wären wahrscheinlich nicht angemessen! – Bundesrätin Mühlwerth: Pflastersteine ...! – Ruf bei der ÖVP: ... nicht so zynisch und gehässig!) könnte, damit die Auswirkungen auf die Patienten und Patientinnen in Österreich für Sie vielleicht doch greifbarer werden, bei all dieser Komplexität (Bundesrätin Mühlwerth: Das halbe Ohr ist auch schon zu viel!), und ja, ich bin auf nichts anderes gekommen als Scheuklappen (eine schwarze Schlafmaske zeigend), die hätte ich mit. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Zwischen­rufe bei der ÖVP.)

Ich denke, Sie haben diese, was die Sozialpolitik der letzten zwölf Monate anlangt, nämlich nicht nur permanent auf, sondern Sie könnten sie vielleicht auch gebrauchen, wenn sich Menschen bei Ihnen melden werden, die von den Auswirkungen betroffen sind, damit Sie überhaupt noch gut schlafen können. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Hartinger-Klein. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Da ich annehme, dass Sie mein Geschenk hier wieder demonstrativ liegen lassen würden, erlaube ich mir, es Ihnen in diesem Fall per Post zukommen zu lassen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

10.11

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Karl Bader zu Wort gemeldet. – Bitte.