13.19

Bundesrat Dr. Gerhard Leitner (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Frau Ministerin! Mit­glieder des Bundesrates! Sehr geehrte Zuseher und Interessierte! Aufgrund eines Na­tionalratsbeschlusses vom 17. April 2018 ist die Aufbringung eines Fotos auf allen neu ausgestellten e-cards für Personen über 14 Jahre ab dem 1. Jänner 2020 verpflich­tend. Die flächendeckende Ausgabe der e-cards mit Foto muss bis 31. Dezember 2023 abgeschlossen sein. Ausgenommen sind Pensionistinnen und Pensionisten ab einem Alter von 70 Jahren sowie Behinderte.

Zur Erinnerung: Den ersten Einsatz der e-card gab es bereits am 15. Dezember 2004, mit der Zielsetzung, die e-card als Schlüssel zur Elektronischen Gesundheitsakte, El­ga, zu nutzen. Ende Mai 2005 begann der Hauptverband mit dem Versand der Karten an rund acht Millionen Versicherte und der Installierung von Lesegeräten bei rund 12 000 Vertragsärzten. Übrigens: Bis 2004 protestierten die Ärzte vehement gegen die Einführung der e-card, bis es dann Ende 2005 zu einem Gesamtvertrag kam. Wir alle haben diese Zeit damals miterlebt und kennen die Gründe für die hartnäckige Gegner­schaft der Ärzte.

Zur aktuellen Situation: Die Regelung der Regierung fußt auf der Überlegung der Ver­hinderung von Missbrauch, der darin bestehen soll, dass e-cards an Angehörige und Freunde weitergegeben werden könnten. Man spricht von bisher rund 530 000 ge­stohlenen Karten, und gibt an, dass seit der Einführung 1,6 Millionen Karten verloren worden seien, und man meint, dass eine mit Bild versehene e-card eine leichtere Zu­ordnung der Personen bei einem Arztbesuch ermöglicht.

Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass verlorene und gestohlene e-cards sofort gesperrt werden (Bundesrat Steiner: Wenn sie gemeldet werden!) und Ärzte und Ärz­tinnen verpflichtet sind, zusätzlich zur Identifizierung einen Lichtbildausweis zu verlan­gen. Um Missbräuche zu verhindern, wurde mit dem Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz eine verpflichtende Ausweisleistung eingeführt, um die Identitätsprüfung zu ermögli­chen. Damit ist die aktive Mitarbeit der Ärzte gefordert, und die Kontrolle muss gesetz­lich zwingend vorgeschrieben werden. Das ist bis jetzt nicht der Fall, da die Ausweis­kontrolle, wie sie jetzt geregelt ist, unter Vertragsvorbehalt steht und eine gesamtver­tragliche Einigung voraussetzt.

Faktum ist aber, dass die Mehrkosten wesentlich höher sind als der durch eventuelle Missbrauchsfälle entstandene Schaden – und das ist der wesentliche Kritikpunkt zu diesem Thema.

Ohne Ausschüsse zu bemühen oder Gespräche zu führen, wird hier wiederum ein Ge­setz durchgepeitscht, das, mangelhaft vorbereitet, einen unverhältnismäßig hohen bü­rokratischen Aufwand und enorm hohe Kosten verursacht, die in gar keinem Verhältnis zu einem erwarteten oder prognostizierten Erfolg stehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Der überdies hohe Verwaltungsaufwand für die Sicherheitsbehörden, aber auch für die durchführenden Mitarbeiter rechtfertigt die Kosten von rund 33 Millionen Euro in den ersten fünf Jahren nicht. Eine Abgeordnete hat im Nationalrat vorgerechnet, dass sich, ausgehend von 813 Missbrauchsfällen innerhalb von drei Jahren mit einer Schadens­summe von rund 300 000 Euro, die vorgesehenen Maßnahmen erst in 300 Jahren rechnen. (Bundesrätin Mühlwerth: Sie wissen schon, dass Rechnungen nicht immer stimmen?!) Zudem gibt es verfassungsrechtliche Fragen, meine Damen und Herren, die zu prüfen sind, und zwar hinsichtlich einer möglichen Ungleichbehandlung von Ös­terreicherinnen und Österreichern und Ausländerinnen und Ausländern. Es stehen in diesem Gesetz auch keinerlei Kriterien betreffend die Art und das Alter der Fotos, die da Verwendung finden sollen. Dieses Gesetz verlangt direkt nach einer Rückverwei­sung an den Ausschuss, um es mit Experten zu beraten, neu aufzustellen und Klarheit über Sinn und Unmöglichkeit zu schaffen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die e-card ist Teil des österreichischen E-Governments, sie verwendet elektronische Signaturen und ist keine reine Krankenversicherungskarte oder Gesundheitskarte, son­dern eine allgemein nutzbare Chipkarte. Mit ihr ist auch außerhalb der Sozialversi­cherung die elektronische Authentifizierung der Kartenbesitzer möglich, denn die Karte bietet sicheren Zugriff auf persönliche Daten, die bei anderen Stellen gespeichert sind. Seit Anfang Dezember 2009 werden neue e-cards mit den Buchstaben SV in Braille­prägung ausgegeben, um einen weiteren Schritt in Richtung barrierefreie Nutzung des Gesundheitssystems zu setzen.

Damit wird unser Leben nicht nur noch transparenter gemacht, der Mensch wird kom­plett durchsichtig. Die Bezeichnung gläserner Mensch, meine Damen und Herren, steht als Sinnbild für die ausufernde und übergriffige Sammlung personenbezogener Daten durch öffentliche oder private Stellen. Es geht in diesem Zusammenhang um den Ver­lust der Privatsphäre ebenso wie um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Mit einem Foto auf der e-card, meine Damen und Herren, wird die medizinische Ver­sorgung nicht verbessert, die Wartezeit nicht verringert und kein höheres Wohlbefinden für die Patienten geschaffen. Die Aufgabe, die Arbeiten zu erledigen, wird verteilt, sie wird delegiert. Dienststellen der SV-Träger werden autorisiert, Tätigkeiten wahrzuneh­men, die an sich den Behörden obliegen, die dem Magistrat, der Bezirkshauptmann­schaft, den Polizeidienststellen und anderen zufallen. Sie dürfen, so ist es vorgesehen, dabei alle Daten erheben, und zwar mit dem vorgegebenen Ziel, sozialen Missbrauch zu verhindern oder diesen einzudämmen. Die SV-Dienststellen werden damit zur Be­hörde und dürfen personenbezogene Informationen, Daten und Dokumente von Si­cherheits-, Personenstands- und Staatsbürgerschaftsbehörden einholen. So steht es in § 31a Abs. 10 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes.

Das E-Government kann und soll dem Individuum Zugang zu seinen eigenen Daten eröffnen. Der Staat soll, er muss den Rahmen setzen, damit Bürgerinnen und Bürger ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen können. Dies wird ihnen aber mit dem besagten Gesetz versagt, nicht nur durch die Anbringung eines Fotos, sondern durch die Handhabung des gesamten Vorgangs, die beteiligten Stellen, die Delegierung der Arbeit und auch der Verantwortung. Wenn sich der Mensch diesem Vorgehen nicht fügt, verliert er das Anrecht, verliert er eventuell die Möglichkeit der medizinischen Versorgung und Betreuung. Von Selbstbestimmung kann da wohl keine Rede mehr sein. Durch diese Form der gesetzlichen Vorschriften verfällt auch der An­spruch auf die Selbstverwaltung der Sozialversicherung – also wieder ein Punkt für die Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof. (Beifall bei der SPÖ.)

Man sieht, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Regierung geht leider einen autoritären Weg: einen Weg der einsamen Beschlüsse, einen Weg, der andere Mei­nungen ausschließt, sie nicht einmal zu Wort kommen lässt. Es gibt keinen Dialog, Ge­meinsamkeit ist für sie ein Fremdwort, und es herrscht nach wie vor das Prinzip der sozialen Kälte. Es wurde heute schon gesagt: Es ist ein demokratiepolitisch außer­ordentlich bedenkliches Vorgehen und Verhalten, wenn man die Aufgaben und die Ver­pflichtungen des Bundesrates und den Bundesrat als gesetzgebende Körperschaft nicht ernst nimmt.

Dass unter solchen Voraussetzungen und Umständen keine Zustimmung gegeben werden kann, ist wohl selbstverständlich. Das ist in einer bisher so erfolgreichen und aufstrebenden Demokratie schade, das ist schade für unser Österreich und die Men­schen, die hier leben und die andere Erwartungen hinsichtlich des Vorgehens, der Ar­beit dieser Regierung haben. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.28

Vizepräsident Hubert Koller, MA: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitschthaler zu Wort. Ich erteile es ihr.