12.54

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren in der Bundesregierung! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Lassen Sie mich zuerst zwei Personen einmal besonders gratulieren: unserem ehe­maligen Bundesratsvizepräsidenten Magnus Bader (Rufe bei SPÖ und FPÖ: Brunner!) – Brunner. Ich sehe Bader und sage Bader – alles korrigiert, natürlich! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Ich gratuliere Magnus Brunner, der als Staatssekretär eine wichtige Rolle in der neuen Bundesregierung einnehmen wird, und natürlich dem neuen Präsidenten des Bundesrates Robert Seeber. Herzliche Gratulation zu deinem heutigen Einstand! (Allgemeiner Beifall.)

Namens der SPÖ-Fraktion wünsche ich der gesamten Bundesregierung eine glückl­iche Hand und alles Gute im Sinne Österreichs. Uns ist es wichtig, dass niemand ver­gessen wird. Die Sozialdemokratie steht dafür, dass wir niemanden zurücklassen, und dafür werden wir uns immer starkmachen. Wir freuen uns über die große Anzahl von Frauen in der neuen Bundesregierung und hoffen gleichzeitig, dass sich das auch in den Ergebnissen einer modernen, zukunftsorientierten und starken Frauenpolitik widerspiegelt.

Lassen Sie mich eines betonen: Wenn wir in den letzten Wochen und Monaten etwas gelernt haben, dann, dass ein respektvoller, unaufgeregter, sachorientierter Umgang Ruhe in eine bewegte, oft zu bewegte politische Landschaft bringt. Hier gebührt der ExpertInnenregierung unter Brigitte Bierlein und Clemens Jabloner unser großer Dank und unsere höchste Anerkennung. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.)

Respekt muss unsere Arbeit prägen, egal ob als Abgeordnete oder Regierungsmit­glieder, und darauf möchte ich mit einem Blick auf die Geschehnisse der letzten Tage eingehen. Wenn wir in sozialen Medien eine beispiellose Hetzkampagne gegenüber einer Ministerin, die Migrationshintergrund hat, erleben, dann ist das nicht hinzuneh­men. Begegnen wir einander mit Respekt und seien wir Vorbild für die Gesellschaft! Politik muss bei aller inhaltlich hart geführten Auseinandersetzung das Verbindende suchen und darf nicht zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Na, dann macht’s es einmal!)

Positiv möchte ich anmerken, dass in diesem Regierungsprogramm und in diesem Regierungsvorhaben die Sozialpartnerschaft im Gegensatz zu Schwarz-Blau offenbar eine neue Wertigkeit bekommt. Das ist sehr zu begrüßen, vor allem dann, wenn sie kein Schlagwort bleibt, sondern wirklich gelebt wird (Bundesrat Steiner: Aber das ist der letzte Hebstecken für die Sozis, die Sozialpartnerschaft!), und das auf Augenhöhe. Genauso freuen wir uns über die erhöhte Wichtigkeit des Parlaments. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ist die parlamentarische Kultur wesentlich umfassender zu leben, und das begrüßen wir als sozialdemokratische Bundesratsfraktion sehr.

Jetzt zu den Inhalten der neuen Bundesregierung: Das Regierungsprogramm steht unter dem Werbemotto: das Beste aus beiden Welten. Man gewinnt aber eher den Eindruck, es sei das Aufeinandertreffen von zwei Welten, die inhaltlich extrem weit voneinander entfernt sind. Das hat sich jetzt bei der Frage der Unterzeichnung des UN-Migrationspakts wieder gezeigt.

Was darüber hinaus anscheinend nicht wirklich Bestandteil der jeweiligen Welten von ÖVP und Grünen ist, sind die Interessen der arbeitenden Menschen in Österreich. 3,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten äußerst fleißig in unserem Land. 326 Seiten Regierungsprogramm und genau eineinhalb Seiten zum Thema Arbeitsrecht – das ist wirklich enttäuschend, vor allem da wir uns mitten im größten Wandel der Arbeitswelt der letzten Jahrhunderte befinden. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten und die Menschen verunsichert. Berufsbilder, die vor Kurzem noch bestanden haben und wichtig waren, werden ersetzt und fallen weg. Da gilt es Antworten zu geben, und diese finden wir im Regierungsprogramm nicht.

Es gibt wenige Antworten, etwa zur Lehre, aber Antworten auf die Herausforderungen aufgrund von Digitalisierung in der Arbeitswelt, Entwicklungen wie Prekariat, Crowd­working, Plattformarbeit sowie arbeitsrechtliche Antworten zu den Themen Qualifizie­rung und Homeoffice fehlen gänzlich, und – das ist wirklich schmerzhaft – der allge­meine 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden-Woche bleiben (Ruf bei der FPÖ: Die gibt’s eh nicht!), genauso wie die Verkürzung der Ruhezeit.

Alle unter Schwarz-Blau eingeführten Verschlechterungen für die Beschäftigten blei­ben, inklusive der Machtübernahme der Arbeitgeber in der Sozialversicherung. Der Bereich Arbeit wird völlig unverständlicherweise aus dem Sozialministerium heraus­gelöst und mit dem Bereich Jugend und Familie zu einem Ministerium verbunden.

Der Arbeitnehmer, der Kollege, der 60 Stunden in der Woche arbeitet, aber doch noch Zeit für ein schönes, gemeinsames Familienleben haben möchte, hat in Zukunft keine Chance darauf (Bundesrat Steiner: Und die Arbeitnehmerin nicht vergessen!), und das ist nicht fair.

Was bei diesem Regierungsprogramm noch auffällt: Eine Welt ist sehr klar aus­defi­niert, mit Zeiträumen, Zielen, Überschriften, Prüfverfahren, Ankündigungen. Und im Unterschied dazu ist die andere Welt eher vage. Ansonsten ist diese Regierung – allen Werbeeinschaltungen zum Trotz – wie jede andere auch, getragen von Vereinbarun­gen, Kompromissen; also sie ist ganz profan aus einer Welt.

Dabei haben wir eine sehr große Sorge, und diese möchte ich hier auch erwähnen, nämlich den koalitionsfreien Raum, der ja, wenn man den Aussagen von Kanzler und Vizekanzler glaubt, angeblich gar keiner ist. Gerade in der Krise die Koalition zu lockern, scheint mit Blick auf tatsächliche Regierungsverantwortung nicht nachvollzieh­bar und in Hinsicht auf die sensible Thematik, in der das vorgesehen ist, wirklich nicht klug. Da braucht es Augenmaß und Kooperation, damit herausfordernde Situationen nicht zu schweren Krisen werden. Diesbezüglich nehmen wir Sie alle in die Pflicht. Es ist Ihre Aufgabe, Krisen nicht entstehen zu lassen und Krisen zu verhindern, statt gleich Ausstiegsszenarien für den Krisenfall zu vereinbaren.

Kommen wir wieder zu einem wesentlichen und verbindenden Thema, der Frage des Klimaschutzes. Was sich bereits im Wahlkampf gezeigt hat und über fast alle politischen Lager hinweg betont worden ist, ist die enorme Bedeutung des Klima­schutzes. Das hat viel damit zu tun, dass wir extreme Wetterphänomene erleben und schmerzhaft erkennen müssen, dass sich das Klima verändert, und dass wir uns der vollen Härte der Folgen dessen bewusst werden. Deshalb sind wir unter anderem froh, dass sich im Regierungsprogramm mit dem 1-2-3-Klimaticket eine Forderung der SPÖ wiederfindet. Damit wird der öffentliche Verkehr endlich leistbar und für viele noch attraktiver werden. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes ist von größter Be­deutung, vor allem für einen lebenswerten ländlichen Raum. Auch da gilt: Der Ausbau muss so erfolgen, dass er für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich eine Chance bietet. Wenn der Bus um 19 Uhr nicht mehr fährt, ist es für all jene, die 12 Stunden arbeiten, nicht mehr möglich, öffentlich nach Hause zu kommen. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes muss sich also sehr wohl nach den Bedürf­nissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richten. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir werden die Menschen in Österreich, die zum Pendeln gezwungen sind – und das sind sehr viele –, auch nicht vergessen. Wir werden an sie denken und ihre Rahmen­bedingungen auf jeden Fall verbessern. Für uns SozialdemokratInnen ist klar: Bei jedem Schritt in Richtung Ökologisierung muss auch die soziale Frage miteinbezogen werden. Dazu braucht es die volle Kraft bei der Entwicklung und Umsetzung von Maß­nahmen für Klima und für Arbeit. Bei jeder Maßnahme, die hier gesetzt wird, werden wir genau auf die Arbeits- und Lebenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeit­neh­mer schauen, sie mitbedenken und beachten. Wir wollen nicht, dass jemand zurück­bleibt, niemand soll bei all den herausfordernden Veränderungsprozessen vergessen werden. Ein gutes Leben für alle – das ist möglich und muss unser Ziel sein.

Da setzt einer unserer Hauptkritikpunkte am Regierungsprogramm an: Als Sozial­demo­kratie vermissen wir die Maßnahmen zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Programm nämlich extrem. Wurde im Rahmen des Wahlkampfes gerne von Kinderarmut ge­sprochen, so findet sich jetzt keine Maßnahme, die diese wirklich wirksam bekämpft. Das ganz bewusste Wegschauen bei diesem gesellschaftlichen Problem, das eines der Markenzeichen der schwarz-blauen Regierung war, hat sich leider unter Schwarz-Grün nicht gebessert. Für jene Menschen, die nicht auf die Butterseite gefallen sind, wird nichts getan, und das werden wir als SPÖ natürlich so nicht einfach zur Kenntnis nehmen. Diesbezüglich haben wir uns wirklich mehr erwartet und da werden wir mit allen Mitteln versuchen, etwas im Sinne der von Ihnen in diesem Land leider ver­ges­senen Menschen zu schaffen.

Eine der großen Herausforderungen – das ist jetzt eines Ihrer Schwerpunktprojekte – ist natürlich die Frage der Pflege. Da gibt es eine Reihe von Vorhaben zur Verbes­serung, aber leider sind diese oft auch nicht genau definiert. Bedauerlich ist, dass der Fokus fast ausschließlich auf der Pflege durch Angehörige liegt. Wir wissen, dass es in Österreich hauptsächlich Frauen sind, die Angehörige pflegen. Es wäre wichtig ge­wesen, ihnen die Pflegelast nicht automatisch wieder aufzubürden. Entlastung der Angehörigen durch bessere Beratung vor Ort und den Ausbau der mobilen und der stationären Pflege sind die Antwort.

Wie die Steuersenkungen und all die durchaus auch positiven Maßnahmen des Regie­rungsprogramms finanziert werden, ist noch offen. Konzerne und Superreiche werden finanziell begünstigt, das steht fest. 2 Milliarden Euro wandern direkt zu den oberen Hunderttausend. Für uns wäre es wesentlich wichtiger, die regionale Wirtschaft zu stärken. Und ganz ehrlich: Der Schmäh von der über einen Milliarde, die man im Bud­get plötzlich gefunden hat, ist schon ein bisschen peinlich; das muss man ganz ehrlich sagen. Wenn diese Milliarde plötzlich da ist, dann investieren wir sie doch bitte in die Pflege und investieren wir sie in bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung für die Menschen in der Pflege. Das wäre eine ganz, ganz wesentliche Forderung. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

Die Frage wird letztendlich sein: Wie werden die voraussichtlich fehlenden in Summe 4,4 Milliarden Euro aufgebracht? Setzt man Prioritäten oder lässt man Vorhaben zurück? Wie wird der Finanzausgleich für die Länder gestaltet sein? Wie ist das im Regierungsprogramm zu findende Bekenntnis für mehr Mittel für „Kooperationsbereite Gemeinden“ genau zu verstehen? Kommt am Ende für die Österreicherinnen und Österreicher wieder ein schmerzhaftes Sparpaket, um die fehlenden Mittel aufzu­bringen? Wir sagen: keine Einsparungen bei Gesundheit, Bildung, Pflege, sozialer Ver­sorgung und Pensionen! Ein gutes Leben für alle!

Wir wünschen Ihnen für Ihre Tätigkeit als Bundesregierung im Sinne aller Menschen in unserem Land alles Gute und dürfen Ihnen sagen: Unsere Hand ist bei konstruktiver Politik immer ausgestreckt. Wir werden Sie aber an Ihren Taten messen, das ist selbst­verständlich. Wir werden uns sinnvollen Vorhaben nicht verschließen, aber wir werden unserer Rolle als Opposition sicher gerecht werden. (Bundesrätin Mühlwerth: Wo war eigentlich Ihre Hand die letzten zwei Jahre?) Wir freuen uns auf eine Politik auf Augen­höhe. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

13.07

Präsident Robert Seeber: Zu Wort gelangt Herr Fraktionsobmann Bundesrat Karl Bader. Ich erteile dieses.