15.39

Bundesrat Dr. Gerhard Leitner (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Meine sehr geehrten vier Damen von der Bundesregierung! Sehr geehrte Herren und Damen KollegInnen im Bundesrat! Es steht heute das Bundesministeriengesetz zur Diskussion, das geändert werden soll, wozu es natürlich auch im Nationalrat bereits eine recht lebhafte Dis­kussion gegeben hat.

In der vorliegenden Form stellt diese Gesetzesnovelle eine politische Machtde­monstra­tion dar. Sehen Sie das nicht als Bewertung im klassischen Sinne, sondern eben so, wie es sich für einen politisch Andersdenkenden darstellt. Wir haben mit Teilen der Novelle des Bundesministeriengesetzes keine Freude. Die Gründe darf ich im Folgen­den kurz darlegen.

Ich darf unsere Position vorab so zusammenfassen: Für uns gehört Arbeit ins Sozial­ministerium, die Telekommunikation zur Infrastruktur, die Sicherheitsministerien in die Obhut verschiedener Parteien, Frauenagenden in ein eigenes Ressort und ein Staats­sekretariat entweder zu den mächtigen Finanzen oder zumindest in den Sicherheits­bereich, eben dorthin, wo es in einer Koalition Kontrolle und Ausgleich braucht.

Gestützt durch das Wahlergebnis hat die ÖVP nunmehr den alleinigen Schlüssel zur Republik in der Hand und das spiegelt sich im Abänderungsantrag zur Neuverteilung der Ressorts wider. Die ÖVP konnte auch ihre Forderungen konkret und im Detail verankern, während sich grüne Punkte nur als Überschriften und Absichtserklärungen ohne Zeitplan und leider Gottes auch ohne jede Finanzierungsidee finden.

Wir sind sehr gespannt darauf, welche Vorschläge Sie machen werden. Dass ich heute darüber spreche, soll nicht so verstanden werden, dass ich überhaupt gegen Reformen und Veränderungen wäre; zweifellos muss es die ja auch geben, weil sich Gesell­schaft, Menschen und Strukturen verändern, daher muss sich auch die Politik ver­än­dern. Die Maßnahmen, die zu setzen sind, sollten jedoch immer im Dienst der Men­schen gesetzt werden. Das ist zumindest mein politisches Verständnis und dies­bezüglich sehe ich einige Missstände in der gewünschten Neukonstellation.

Alle Verschlechterungen, die von uns Sozialdemokraten kritisiert worden sind, bleiben: der 12-Stunden-Tag, die Zerschlagung der Sozialversicherung zwecks mehr Macht für die Wirtschaft, die Retrobildungspolitik mit Studiengebühren für Berufstätige. Für Kon­zerne und Millionäre gibt es ein 2-Millionen-Euro-Steuergeschenk, eine KÖSt-Senkung, eine Senkung des Spitzensteuersatzes, für Gutverdiener gibt es eine Erhöhung des Familienbonus und so weiter.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Wir freuen uns, dass es eine Entlastung für Familien gibt, eine Förderung für Kinder, aber wir sagen auch deutlich: Uns ist jedes Kind gleich viel wert! Da hätten wir uns im Sinne der Vermeidung von Kinderarmut eine stärkere Durchsetzung grüner Wahlkampfinhalte gewünscht. (Beifall bei der SPÖ.)

Sozialpolitik und das Thema Gerechtigkeit bleiben auch für die neue Regierung Stief­kinder: keine Unterstützung für 400 000 Arbeitsuchende, kein Konzept für eine Unter­haltsgarantie oder eine Kindergrundsicherung, keine Ideen für moderne Arbeitszeiten, keine Ideen, wie die wachsenden Vermögen einen gerechten Beitrag zu den Erforde­rnissen der Gesellschaft leisten und so weiter.

Als Fazit bleibt: Es profitieren Großkonzerne und Superverdiener. (Bundesrat Raggl: Na geh!) Sozialpolitik, Verteilungsgerechtigkeit und gerechte Bildungschancen kom­men kaum vor. Die ÖVP hat mit diesem Gesetzesvorschlag die Macht bei sich konzen­triert.

Im neuen Regierungsprogramm findet sich keine einzige Silbe zum Sozialhilfegesetz. Das durchgepeitschte Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wurde vom Verfassungsgerichtshof in wesentlichen Teilen gekippt. Der Aufruf: Zurück an den Verhandlungstisch!, wird ungehört verhallen, wenn sich die Dialogbereitschaft der Regierung nicht erhöht. Die Länder haben sich seinerzeit, so wie das ursprünglich geplant war, auf eine gemein­same 15a-Vereinbarung akkordiert. Wäre die möglich gewesen, hätte Österreich heute ein gutes und verfassungsrechtlich wasserdichtes Sozialhilfegesetz.

Dem neuen Minister für Soziales, Rudi Anschober, ist viel Glück zu wünschen. Auf ihn kommen große Herausforderungen zu. Bei der Mindestsicherung hat er mit seinem Vorschlag aufhorchen lassen, dass diese künftig auf Länderebene zu regeln sein wird. Da frage ich ihn aber schon: Wer finanziert das letztendlich und wie will er als Sozialminister da einen Wettlauf nach unten und eine Verdrängung bedürftiger Men­schen verhindern? – Wir denken weiterhin, dass eine bundesweite Lösung der sinn­vollere Weg wäre.

Ich möchte aber auch eine positive Ankündigung des neuen Sozialministers loben, die mit der Österreichischen Gesundheitskasse zu tun hat, nämlich die Überprüfung des gesamten Pakets der schwarz-blauen Regierung inklusive der fehlenden Parität in den Gremien. Es ist im Grunde blamabel, dass man die wichtige Gruppe der älteren Ge­neration aus den Entscheidungs- und Mitwirkungsprozessen ausgeschlossen hat, also jene Gruppe, die in hohem Maße pünktlich ihre Beiträge bezahlt, die durch ihre Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung dieser Republik geleistet hat, und die es aber jetzt im Sozialversicherungssystem als Mitentscheider einfach nicht mehr gibt. Wir dürfen gespannt sein, ob sich die ältere Generation dies gefallen lässt. Jedenfalls wird sie das sicherlich nicht widerspruchslos so zur Kenntnis nehmen.

Das neue Bundesministeriengesetz konzentriert, wie wir heute schon gehört haben, alle Sicherheitsministerien samt allen Geheimdiensten mit der Berichterstattung an den Bundeskanzler in den Händen einer Partei. Dafür gibt es von unserer Seite keinerlei Verständnis. Ich möchte Ihnen auch gerne sagen, warum: Wenn wir an das BVT denken, so scheint es, als ob dort parteipolitisch geprägte Netzwerke vorhanden ge­wesen wären – sehr zum Leidwesen der Reputation des BVT und der Republik –, die der blaue Innenminister mit allen Mitteln zerschlagen wollte. (Bundesrat Saurer: Sehr gut!) Da wäre es das Mindeste gewesen, eine Staatssekretärin oder einen Staats­sekretär im Innenministerium einzusetzen (Bundesrat Saurer: Das haben wir ja ge­habt!), stattdessen hat man diese jedoch beim Vizekanzler untergebracht; eine ver­gebene Chance für die Sicherheit.

Dass die Agenden der Arbeit aus dem Sozialministerium herausgelöst worden sind, ist verwunderlich und nicht begründbar. Letzteres geschieht gegen den Willen der Grü­nen, denen sichtlich nur ein Wunsch besonders wichtig war, nämlich in einer Re­gierung als Juniorpartner verankert zu sein. Im Nationalrat hat ein Abgeordneter damit argumentiert, dass es der ÖVP wichtig ist, den Bereich Arbeit entsprechend weiter zu verbessern, sodass ein Schwerpunkt auf dieses Thema gelegt werden soll, und dass Arbeit, Familie und Jugend zusammengehören. Das ist zwar sachlich richtig, die Zusammengehörigkeit dieser Bereiche in einem Ressort erschließt sich uns daraus jedoch nicht. Insbesondere vergisst man damit auf die älteren Menschen, also eine Gruppe, in der die Arbeitslosigkeit beständig weiter steigt. Evaluierungen haben ge­zeigt, dass die Aktion 20 000 sehr wohl erfolgreich gewesen ist. Hunderten älteren Langzeitarbeitslosen wurde der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Da besteht akuter Handlungsbedarf; auch deshalb hätten wir uns den Bereich Arbeit im Sozialministerium gewünscht.

Mit dem Regierungsprogramm ist kein guter Wurf gelungen. Es fehlt die Struktur­reform, die Pensionsreform, es ginge um eine Föderalismusreform und auch um eine Gesundheitsreform. All das wird in Zukunft immer teurer werden und die gesamte Gesellschaft zunehmend beschäftigen. Daher sind die sozialen Probleme jetzt anzu­gehen und einer für alle zufriedenstellenden Lösung zuzuführen.

Zum Stichwort Föderalismus und ländlicher Raum: Das Landwirtschaftsministerium ist anscheinend das Kompetenzzentrum dieser Regierung. Zivildienst, Post, Telekom, Breitband – alles plötzlich Landwirtschaftsthemen. Für kurze Zeit waren sogar Teile der Agenden für Kohle, Öl und Gas angedacht. (Bundesrat Saurer: Nachhaltigkeit!) Das konnte jedoch im Nationalrat gerade noch verhindert werden. (Bundesministerin Köstinger: Das betrifft den ländlichen Raum!) Nur eines verwundert, nämlich dass nach Auflösung des eigenständigen Frauenministeriums diese Agenden nicht auch noch bei Elli Köstinger gelandet sind. (Bundesministerin Köstinger – seufzend –: Tja! – Heiterkeit bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ.)

Es ist schade, wenn man erkennen muss, dass die vielfach beschworene Dialog­bereitschaft ausgeschlagen wird. (Bundesministerin Köstinger: Dann fangt doch damit an!) Opposition ist Opposition und Regierung ist Regierung. Im Sinne einer gedeih­lichen demokratischen Entwicklung müsste es möglich sein, einen Konsens im Inter­esse der Bürgerinnen und Bürger zu finden. Wenn man Mehrheiten braucht, dann ist es nicht klug, einfach geradeaus zu fahren und es dem Zufall zu überlassen, dass sich Hindernisse, die sich vor einem aufbauen, auf einmal freiwillig aus dem Weg räumen. So funktioniert Demokratie nicht! Nur das Gespräch, der Dialog führt zum Konsens, zum Abgleich der Interessen und zur Entwicklung von Maßnahmen, die den Men­schen, die wir als politische Repräsentanten vertreten, gerecht werden.

Lassen Sie mich abschließend betonen, dass wir jedem und jeder von Ihnen bei einer wichtigen Arbeit im Sinne der österreichischen Bevölkerung alles Gute wünschen. Unsere Hand ist sicher für eine konstruktive Zusammenarbeit ausgestreckt. Wir sind als Bundesräte an guten Lösungen für dieses Land mehr als interessiert. Zugleich werden wir aber im Rahmen unserer Oppositionsarbeit auch darauf schauen, wie der Nationalrat und die Ministerien ihre Arbeit erledigen, und dieses Haus hoffentlich noch stärker mit parlamentarischem Geist durchfluten. Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

15.51

Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. Ich erteile ihm dieses.