11.51

Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Werte Frau Minister! Werte Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie und vor den Bildschirmen zu Hause! Der Grüne Bericht 2019 ist ja jener Bericht, der die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft aus dem Jahr 2018 in Zahlen widerspiegelt. Jetzt ist das nicht sehr zeitnah. Die Präsentation im Jahr 2020 ermöglicht natürlich keine kurzfristigen und zeitnahen Reaktionen.

Zusätzlich – es wurde vorhin schon die Ausschusssitzung angesprochen – möchte ich Sie, Frau Minister, ersuchen, in die Ausschusssitzung bei so einem wirklich ernsthaften und wichtigen Thema wie dem Grünen Bericht eine breiter aufgestellte Vertretung zu entsenden, damit wir auch wirklich Fragen in einer großen Breite beantwortet bekom­men. Das wäre von sehr, sehr großer Bedeutung. Wir nehmen den Grünen Bericht sehr ernst und wollen ihn daher auch wirklich fundiert und gut aufgearbeitet wissen.

Es wurde viel über den Grünen Bericht gesprochen, es wurde viel über die Ursachen des Einkommensrückgangs gesprochen, und ich möchte das auch nicht alles wie­derholen. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass der Berufsstand der Bäuerinnen und Bauern, der Landwirtinnen und Landwirte, der Forstwirtinnen und Forstwirte ein ordent­lich durchgeschüttelter ist. Es ist für alle, die in diesem Bereich tätig sind, keine einfache Zeit gewesen. Ich glaube, man kann da schon fast sagen: Das ist nicht nur ein Berufsstand, das ist ein Berufungsstand, denn jeder Bauer und jede Bäuerin muss schon wirklich eine Berufung haben.

Wir haben viel über die Ursachen des Einkommensrückgangs gehört. Definitiv ist ein Einkommensrückgang von im Durchschnitt 10 Prozent sehr, sehr beachtlich. Es ist ja ganz eindeutig, dass dieser Einkommensrückgang nicht auf weniger Leistung, nicht auf weniger Arbeitseinsatz basiert. Die Bäuerinnen und Bauern haben nach wie vor die gleiche Arbeit, die gleiche Beanspruchung. Es ist nicht ihre Leistung, die ausschlag­gebend ist.

Allerdings führt der Einkommensrückgang natürlich dazu, dass Höfe stillgelegt werden, landwirtschaftliche Betriebe stillgelegt werden. Wir haben im Ausschuss die Auskunft bekommen, dass es im Jahr im Schnitt 1 500 sind, gegen Ende einer Förderperiode sogar 6 000 im Jahr. Das führt auch dazu, dass immer mehr Bäuerinnen und Bauern in eine Situation gedrängt werden, in der es notwendig wird, einen zusätzlichen Erwerb anzunehmen. Die Nebenerwerbsbetriebe sind ja nicht nur Hobbybetriebe, das ergibt sich oft aus der finanziellen Notwendigkeit und eben aus dieser Berufung heraus, trotz­dem LandwirtIn sein zu wollen. Das heißt, das ist eine enorme Mehrbelastung in allen Bereichen.

Neueinsteiger in dem Bereich – das ist mir sehr positiv aufgefallen – sind vor allem Frauen, und zwar vor allem junge Frauen.

Es ist ganz eindeutig, dass die Förderungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik, aus der GAP, für die Bäuerinnen und Bauern in allen Bereichen höchst notwendig sind, denn nur mit diesen Förderungen ist es möglich, dass sie auch die gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gerichtet sind, erfüllen. Ausgleichszahlungen, Mittel aus dem Öpul, sind wichtig. Sie müssen auch weiterhin für den Agrarbereich zur Verfügung stehen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Raggl.)

Das ist die erste Säule der GAP: die Direktzahlungen. Es gibt aber auch noch eine zweite Säule, diese zweite Säule, bei der es ganz stark um die ländliche Entwicklung geht. Ich glaube, es war Kollege Raggl, der vorhin gemeint hat, wir reden immer von den „nur 4,5 Prozent“, die in der Landwirtschaft arbeiten. Es ist halt tatsächlich so. Österreich ist ein Land, in dem 90 Prozent der Fläche im ländlichen Bereich liegen, in dem 70 Prozent der Menschen auf dem Land leben, aber halt 95,5 Prozent nicht im landwirtschaftlichen Bereich beschäftigt sind. Auch diese Gruppe muss in der länd­lichen Entwicklung Berücksichtigung finden. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht da ganz viel auch um die Frauen. Wir wissen, wenn die Frauen abwandern, dann stirbt der ländliche Bereich. Wir wissen, dass Frauen im ländlichen Bereich vor allem soziale Dienstleistungen benötigen, dass Infrastruktur notwendig ist. Genau das ist mit der zweiten Säule möglich, nämlich mit dem Eler-Fonds, dem Fonds für die ländliche Entwicklung. Es ist der SPÖ in dieser Förderperiode gelungen, dem damaligen Regierungspartner, der ÖVP, abzuringen, dass ein Teil – was im rechtlichen Rahmen ja möglich ist – tatsächlich für soziale Projekte, für soziale Dienstleistungen verwendet wird. (Beifall bei der SPÖ.)

90 Prozent der Mittel des Eler-Fonds fließen ohnedies nach wie vor direkt in die Agrar­betriebe. Gerade Niederösterreich, das Bundesland, aus dem ich komme, hat sehr von dieser Möglichkeit profitiert – und die soziale Inklusion ist eine der sechs Prioritäten –, Eler-Mittel zu verwenden. Ich darf nur an eine Pressekonferenz unserer Landes­haupt­frau – ich glaube, es war im Jahr 2017 – gemeinsam mit Landesrätin Schwarz erin­nern, als sie sehr froh darüber war, 30 Millionen Euro für die Errichtung von Kin­dergärten im ländlichen Bereich verwenden zu können. Diese Summe wurde in Nieder­österreich dann mit 30 Millionen Euro aus den Mittel des Landes aufgestockt.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass gerade Niederösterreich neben Oberöster­reich und Salzburg ganz enorm davon profitiert hat, dass aus den Eler-Mitteln, aus dem Programm Access Eler, der Breitbandausbau finanziert wurde. Das ist nicht un­wichtig, und es ist vor allem für die Frauen wichtig.

Zur Frauenpolitik: Die ländliche Entwicklung ist auch ein wichtiges frauenpolitisches Thema. Bei einem meiner Vorredner, er ist von den Grünen, habe ich das Thema Frauenpolitik ein bisschen vermisst. Da gibt es aber diese tolle Idee: „Entwickeln und Fördern des Konzepts ‚Bauernhof als Zentrum der Dörfer, insbesondere die Möglich­keit von Kinder- bzw. Nachmittagsbetreuung von Schulkindern auf dem Bauernhof, Altenpflege, Nachhilfe“.

Das kommt jetzt nicht von Monika Gruber, das kommt auch nicht aus einer Sitcom (Bundesrat Rösch: Ist aber gut!), das kommt von hier. (Die Rednerin hält die ent­sprechende Seite des Regierungsprogramms in die Höhe.) Unter dieser großen Über­schrift im Regierungsprogramm findet sich dieser Absatz auf Seite 162. So viel war die ländliche Entwicklung den Verfassern des Regierungsprogramms wert. (Vizeprä­siden­tin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Jetzt richte ich direkt an die Grünen folgende Frage: Wo ist hier der frauenpolitische Ansatz? In den Betrieben gibt es durchschnittlich 1,43 betriebliche Arbeitskräfte, 93 Pro­zent werden nicht entlohnt. Sogar in den Dauerkulturbetrieben werden von 2,01 durchschnittlichen betrieblichen Arbeitskräften 70 Prozent nicht entlohnt.  – Das spricht eine eindeutige Sprache. Es arbeiten die Familienmitglieder, die Bäuerinnen und Bauern. Die Bäuerinnen selbst haben dabei wirklich schon einiges zu leisten. Sie sind Spezialisten in einem ganz breiten Feld. Zusätzlich sollen sie jetzt auch noch Päda­goginnen sein, zusätzlich sollen sie Pflegerinnen sein, zusätzlich sollen sie Lehrerinnen sein? (Bundesrätin Mühlwerth – erheitert –: Ja, weil sie so multitaskingfähig sind! – Bundesrätin Schumann – ebenfalls erheitert –: Multitasking!) Das heißt, der neue Weg der Unterstützung der Frau am Land ist, dass man den Bäuerinnen noch zusätzliche Aufgaben gibt, anstatt sie zu entlasten, anstatt soziale Inklusion voranzutreiben. (Beifall bei der SPÖ.)

Da es uns wichtig ist, dass die Eler-Fondsmittel für soziale Dienstleistungen zum Einsatz kommen, bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Andrea Kahofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „verbind­liche Vorgaben für die Mitgliedsstaaten zur Verwendung von Fördermitteln für soziale Dienste sowie Mobilität im ländlichen Raum sowie für einen eigenen Frauenför­derschwerpunkt in der nächsten Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik 2020+“, einge­bracht im Zuge der Debatte zu TOP 1

„Der Grüne Bericht liefert alljährlich wichtige Daten, die auch die Verteilung der Förder­mittel der sog. Säulen 1 und 2 der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) betreffen.

Auf EU-Ebene läuft die Diskussion rund um die gesetzlichen Vorgaben für die nächste Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik 2020+. Das Verteilungsvolumen der derzeitigen Periode 2014-2020 beträgt in Österreich insgesamt 12,5 Milliarden Euro (Direktzahlun­gen und kofinanzierte ELER-Mittel).7,7 Milliarden Euro EU-Fördermittel inklusive natio­naler Kofinanzierung stehen in der laufenden Programmperiode innerhalb des Pro­grammes für die ländliche Entwicklung (ELER-Fonds) zur Verfügung, die zu 90% an Agrarbetriebe verteilt werden.

90%der Gesamtfläche Österreichs ist ländlicher Raum - über 70% der Menschen leben dort, jedoch nur 4,5% der Erwerbstätigen in Österreich sind in der Land- und Forst­wirtschaft tätig (Agrarquote). Die Bundesregierung ist aufgerufen, sich dafür einzu­setzen, dass in der nächsten Förderperiode alle Menschen im ländlichen Raum vom Programm für die ländliche Entwicklung profitieren. Es war ein wichtiger Verhandlungs­erfolg der SPÖ, dem damaligen Regierungspartner ÖVP abzuringen, dass erstmalig die im Rechtsrahmen enthaltene Möglichkeit, EU-Fördergelder auch für soziale Dienst­leis­tungen (Kinderbetreuung, Pflege und Gesundheit) zu verwenden, von Österreich genutzt wurde. 3% wurden in Österreich für diese Maßnahme für die laufende GAP-Periode -und damit 118 Millionen Euro EU-Gelder (ELER-Mittel) - gewidmet.

Es braucht auf EU-Ebene eine konkrete Vorgabe, damit in der nächsten Periode ab 2021 ein deutlich höherer Anteil vom Mitgliedstaat für soziale Dienste verwendet werden muss.

Die Entwicklung des ländlichen Raums hängt maßgeblich von den Rahmen­bedin­gun­gen für Frauen ab - wandern die Frauen ab, stirbt die Region. Fördermittel, die für den ländlichen Raum zur Verfügung stehen werden, müssen auch dafür eingesetzt werden, dass es für Frauen attraktiv ist, in ihrer angestammten Region zu bleiben.

Es müssen alle Anstrengungen dahingehend unternommen werden, damit in den der­zeit laufenden Verhandlungen erreicht wird, dass den Mitgliedstaaten vorgeschrieben wird, einen gewissen - hohen - Prozentsatz für soziale Dienstleistungen und Mobilität veranschlagen zu müssen und, dass es einen eigenen Frauenförderschwerpunkt im Programm für die ländliche Entwicklung gibt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

‚Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regio­nen und Tourismus, wird aufgrund der Tatsache der fehlenden sozialen Infrastruktur und ausreichenden Möbilitätsmöglichkeiten im ländlichen Raum, was insbesondere junge Frauen zur Abwanderung bewegt, aufgefordert, sich bei den Verhandlungen zu den inhaltlichen Vorgaben der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die Periode 2020+ dafür einzusetzen, dass

1. die Fördermittel des Fonds für die ländliche Entwicklung (ELER) gerechter verteilt werden und daher mindestens 50% der Mittel für sektorübergreifende Maßnahmen eingesetzt werden, so dass alle Menschen im ländlichen Raum davon profitieren, wobei

a) die Hälfte dieses Anteiles der Mittel für eine zeitgemäße soziale Infrastruktur ver­wendet werden muss, also für soziale Dienstleistungen gebunden wird, damit unter anderem der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, Ge­sundheits­vorsorge und anderer dringend nötiger Maßnahmen vorangetrieben werden kann - vor allem für Frauen und junge Menschen ist eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur maßgeblich für die Entscheidung, in den Regionen zu bleiben;

b) die andere Hälfte dieses Anteiles der Mittel für andere sektorübergreifende Maß­nahmen eingesetzt werden muss, wovon ein Teil für Maßnahmen im Zusammenhang mit Mobilität, wie für öffentlichen Verkehr, Verbesserung der Erreichbarkeit von Haltestellen und Bahnhöfen (Radwegenetz ausbauen, Radabstellanlagen), deren Aufenthaltsqualität und Sicherheit sowie für Anschlusssicherheit, Direktverbindungen und kurze Wartezeiten verwendet werden soll - leistbare, flächendeckende und qualitätsvolle Mobilität sind ein entscheidender Faktor insbesondere für Frauen, um am Erwerbsleben teilhaben zu können und Beruf und Familie im ländlichen Raum besser vereinbaren zu können, sowie

2. ein eigener Frauenförderschwerpunkt im Rahmen des Programmes für die ländliche Entwicklung als Maßnahme vorgesehen wird.‘“

*****

Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.08

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Der von den BundesrätInnen Andrea Kahofer, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „ver­bindliche Vorgaben für die Mitgliedsstaaten zur Verwendung von Fördermitteln für soziale Dienste sowie Mobilität im ländlichen Raum sowie für einen eigenen Frauen­förderschwerpunkt in der nächsten Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik 2020+“ ist genügend unterstützt und steht damit mit in Verhandlung.

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Markus Leinfellner zu Wort. Ich erteile es ihm.